Österreich

Volksbegehren-Boom: Ehrliches Anliegen oder Geschäftemacherei?

Die Regierung will den „Missbrauch“ von Volksbegehren eindämmen. Wer sind die, die ständig Initiativen einbringen? Der Versuch einer Annäherung.

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„Das Recht geht vom Volk aus“, sagt Anatolij Volk, „und ich heiße zufällig Volk“. Dann setzt er an zu einem Redeschwall, der kaum noch zu stoppen ist, denn es geht um sein Lieblingsthema: Direkte Demokratie.

Volk ist 66 Jahre alt, Pensionist, spielt gerne Schach und Fußball, und sein größtes Anliegen ist es „Politik für das Volk umzusetzen“. 2022 wollte er bei der Bundespräsidentschaftswahl kandidieren, hat aber laut seiner eigenen Website bis zum Stichtag keinen Wahlvorschlag eingereicht. Vor allem ist Volk aber einer jener Menschen, die am laufenden Band Volksbegehren einleiten. Denn: „Ich mache mir Sorgen um unsere Gesellschaft und die Parteienlandschaft, dass unsere Demokratie zu Grunde geht.“ Er ist Teil der „Initiative Gemeinsam Entscheiden“, auf deren Website eine Vielzahl an bereits erfolgreichen und aktuellen Volksbegehren ausgewiesen wird. Volk selbst war bei insgesamt acht Volksbegehren unter den stellvertretenden Bevollmächtigten – alle bis auf eines haben mehr als 100.000 Unterstützungserklärungen erreicht. Er betont allerdings: 70 Prozent der geplanten Volksbegehren würden die Eintragungsphase nicht einmal erreichen. 

Unter den aktuellen Volksbegehren seiner Initiative findet sich derzeit eine „Abstimmung“ mit dem Betreff „EU-Austritt: JA/NEIN“. Das ist, wenn man so will, das Markenzeichen von „Gemeinsam Entscheiden“: Sie leiten häufig zwei Volksbegehren zum gleichen Thema ein, die einmal pro und einmal contra ausgelegt sind. Das Begehren, das mehr Unterstützung bekommt, hat aus Sicht der Initiative gewonnen. Im Idealfall soll dieses Ergebnis dann genau so im Parlament beschlossen werden – so wünscht es sich zumindest Volk.   

Dass ihm das ein derart großes Anliegen ist, merkt man an seiner ausgeprägten Redebereitschaft. Denn während andere bekannte Volksbegehren-Kaiser wie Robert Marschall – auch er wollte 2016 bei der Bundespräsidentenwahl kandidieren, scheiterte aber an den erforderlichen 6.000 Unterstützungserklärungen – eine Anfrage nur mit einem knappen „Habe kein Interesse an einem profil-Interview“ quittieren; und wieder andere zwar mit profil sprechen, ihre Zitate dann allerdings zurückziehen, weil sie sich falsch wiedergegeben fühlen, ruft Volk gleich selbst in der Redaktion an.

Das Gespräch eröffnet er zunächst mit Kritik an der Berichterstattung über sein Engagement. „Was mir bei den Medien abgeht ist, dass man nie über die Themen berichtet, und auch nicht über die Initiatoren und die vielen Freiwilligen, sondern über etwas anderes.“ Nämlich: Das Geld.

Bei den Volksbegehren verhält es sich nämlich so: Erreicht ein Begehren mehr als 100.000 Unterschriften, dann muss es nicht nur im Parlament behandelt werden, sondern dann erfolgt auch eine Kostenrückerstattung seitens des Innenministeriums. Erstattet wird dabei das Fünffache der Gebühren, die die Bevollmächtigten dem Innenministerium überweisen müssen, damit ein Eintragungsverfahren beginnen kann. In Summe beträgt der „Einsatz“ für Volksbegehren 3.421,50 Euro – der Betrag ergibt sich aus 622 Euro für die Registrierung und einem Druckkostenbeitrag von 2.799,50 Euro. Die Höhe der Rückerstattung beläuft sich im Erfolgsfall somit auf 17.107,50 Euro.

Das soll nun aber geändert werden: Auch, um den Anreiz für sogenannte „Stammkunden“ zu senken, plant die Regierung, den Kostenersatz zu reformieren. ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl sagte dem Kurier dazu: „Ein wichtiges Instrument unserer Demokratie darf nicht für Geschäftemacherei missbraucht werden. Gesetzliche Anpassungen sind dringend notwendig.“ Das Innenministerium und der grüne Koalitionspartner unterstützen diesen Vorstoß. Seit 2018 ist es möglich, auch online Unterstützungserklärungen abzugeben – dadurch ist die Zahl der eingebrachten Volksbegehren stark angestiegen.

 

„Was heißt überhaupt Missbrauch, das muss man sich ja auf der Zunge zergehen lassen. Haben Sie schon selbst ein Volksbegehren gestartet?“ echauffiert sich indes Volk. „Das ist kein Vorwurf“, beschwichtigt er dann, „aber es ist einfach sehr aufwändig und sehr viel Arbeit, Volksbegehren zu starten und zu Ende zu bringen.“   

Ebenfalls gegen eine etwaige Reform ist die FPÖ. Die blaue Verfassungssprecherin Susanne Fürst spricht von einem „schwarz-grünen Angriff auf ein zentrales direktdemokratisches Instrument“ und plädiert dafür, die Gebühren komplett zu streichen – während der Kostenersatz in seiner jetzigen Höhe erhalten bleiben soll. „Engagierte Bürger, die Volksbegehren auf den Weg bringen, dürfen nicht einfach auf dem vollen finanziellen Risiko sitzenbleiben und bestraft werden“, meint Fürst.

Volk zählt verschiedenste Arbeitsschritte auf, die für ein Volksbegehren notwendig sind – „Wir beantworten ständig Mails, haben Infostände, drucken Flyer“ – und redet sich dann gleich wieder in Rage: „Ich möchte keine Neiddebatten führen, ich spreche nur von Fakten. Volksbegehren sind ganz ein wichtiges Instrument demokratischer Mitbestimmung, und die werden jetzt reduziert auf das Geld. Das ist eine Unverschämtheit, und da steckt Absicht dahinter. Mein Eindruck ist, es stört die Politik, dass man sich überhaupt mit den Bürgern und Bürgerinnen auseinandersetzen muss. Und davon versucht die Regierung, abzulenken.“ Volk wirkt mehr wie ein Überzeugungstäter als ein Geschäftemacher – wobei es wohl auch die Kategorie an Initiator:innen gibt, denen es ums Geld geht. 

Er wiederholt seine Forderungen mehrfach, biegt immer wieder in verschiedene Richtungen ab. „Wissen Sie, dass Sie Friedensnobelpreisträgerin sind?“, fragt er zum Beispiel unvermittelt im Gespräch. Es ist ihm nämlich auch ein großes Anliegen, dass das Bewusstsein dafür geschärft wird, dass der Europäischen Union 2012 der Friedensnobelpreis verliehen wurde – und somit alle EU-Bürger:innen Friedensnobelpreisträger:innen sind. Ist dieses Faktum seinen Gesprächspartner:innen bekannt, reagiert Volk geradezu euphorisch. „Gratuliere! Wenn man Spitzenpolitiker dazu fragt, weiß niemand Bescheid. Ich habe das schon so oft angeregt, dass man das sichtbarer macht! Das sind so Dinge, die wichtig sind, aber die Politik und die Parteien, die reden über alles Mögliche, aber wenn es darum geht, Demokratie zu stärken, dann passiert plötzlich nichts.“

Und weil es eben seiner Ansicht nach verabsäumt wird, sich im Parlament den wirklich wichtigen Themen zu widmen, sieht Volk es als seine Verantwortung an, Volksbegehren einzuleiten. „Ich muss ja nicht immer Recht haben mit den Themen oder mit meiner Meinung“, meint er dann fast noch versöhnlich zum Abschluss. Dass sich nicht jede gesellschaftliche Frage in ein simplifiziertes „Ja – Nein“-Schema pressen lässt, ist eine andere Geschichte.

Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

war bis Oktober 2024 stv. Online-Ressortleitung und Teil des faktiv-Teams.