Wahlplakate für die Bundestagswahl in Deutschland
Deutschland-Wahl

Wählen in Wien, Stimme für Berlin: Austro-Deutsche vor der Bundestagswahl

Am Sonntag entscheidet Deutschland über seinen neuen Bundestag – nicht nur im eigenen Land. Rund 239.000 Deutsche leben in Österreich und können mitbestimmen. Doch wie wählen sie? Und welche Hürden gibt es für Wähler:innen aus dem Ausland?

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Schon bevor Deutschland am Sonntag seinen neuen Bundestag wählt, zeichnet sich im Vorfeld ein neuer Rekord ab: Das Interesse von Auslandsdeutschen, an der vorgezogenen Bundestagswahl teilzunehmen, ist so groß wie nie zuvor. Das Auswärtige Amt schätzt die Zahl von wahlberechtigten Auslandsdeutschen auf insgesamt drei bis vier Millionen. Im Vergleich zur vergangenen Bundestagswahl 2021 verzeichnet die Bundeswahlleiterin allerdings einen Anstieg von rund 60 Prozent bei jenen Auslandsdeutschen, die an der Wahl am Sonntag teilnehmen möchten.

Unklare Datenlage

Deutsche zählen zur größten Gruppe ausländischer Staatsangehöriger in Österreich – rund 239.000 leben (Stand Jahresbeginn 2025) in Österreich. Gleich nach der Schweiz ist Österreich das beliebteste Zielland für deutsche Auswanderer:innen. Die meisten zieht es nach Wien und Tirol, die wenigsten ins Burgenland.

Eine von ihnen ist Victoria*, 26. Sie kommt ursprünglich aus Düsseldorf und lebt seit Herbst 2022 in Wien. Nach Österreich ist sie für ihr Masterstudium an der Universität Wien gekommen. Um an ihre Wahlunterlagen zu gelangen, mussten sich Deutsche im Ausland spätestens drei Wochen vor dem Wahltermin bei ihrer letzten deutschen Heimatgemeinde melden und um Eintragung ins Wählerverzeichnis ersuchen. Funktioniert hat das bei der 25-Jährigen allerdings nicht: „Ich musste mir dann die Wahlkarte zu meiner Mutter nach Düsseldorf schicken lassen, damit sie sie mir nach Wien weiterleitet“, so die Studentin: „Mit dem vorgezogenem Wahltermin war alles sehr kurzfristig.“

Bei Jasper, 25 war der Briefwahlprozess viel unkomplizierter. Der Magdeburger arbeitet während der Wintersaison als Skilehrer in Zell am See. Seine Wahlkarte ist pünktlich im Pinzgau angekommen, sodass er sie bereits zwei Wochen vor der Wahl wieder zurück nach Deutschland schicken konnte.

Jaspers Stimme ging an die Linke, Victoria wählte die Grünen: „Ich habe zwischen den Linken und den Grünen überlegt, bin aber dennoch eine Öko-Tante, die die Klimakrise immens beschäftigt.“

Ich musste mir die Wahlkarte zu meiner Mutter nach Düsseldorf schicken lassen, damit sie sie mir nach Wien weiterleitet.

Victoria

Bei ihr wäre die Wahlkarte sonst nie in Wien angekommen

Die heterogenen „Piefke“

Weder Victoria noch Jasper sind mit ihren Wahlentscheidungen repräsentativ für Deutsche in Österreich, denn: Den oder die klassische deutsche Wähler:in in Österreich gibt es nicht. Das erklärt auch der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier im Gespräch mit profil: „Die Deutschen in Österreich sind eine heterogene Gruppe, die vom Manager über den Saisonarbeiter bis hin zum Studierenden reicht.“

Es ist schwierig, Aussagen darüber zu treffen, welche Parteien deutsche Auswanderer:innen generell bevorzugen – Aufzeichnungen und Statistiken gibt es hier deshalb auch keine.

Austro-Deutsche wirken auf Außenstehende fast wie eine ungreifbare, schwer einzuschätzende Community. Jockel Weichert ist, wie Victoria und Jasper, Teil dieser Community und setzte 2008 einen ersten Schritt, um zumindest die Deutschen in Wien zu mobilisieren. Er gründete die Facebook-Gruppe „Piefke Connection Austria“ – ursprünglich, um Leute zu finden, mit denen er Fußballspiele schauen und unbeschwert das deutsche Team anfeuern könnte, erzählt er profil.

Seit fast 25 Jahren ist der gebürtige Schwabe in Wien – er wurde damals für einen PR-Job angeworben und leitet mittlerweile seine eigene Kommunikationsagentur.

Jockel Weicherts Facebook-Gruppe zählt über 4000 Mitglieder und ist einer der wichtigsten virtuellen Treffpunkte für Deutsche in Österreich. Hier hilft man einander beim Verstehen der österreichischen Bürokratie oder tauscht sich über Fußball und Politik aus – Letzteres gerade vor der Bundestagswahl intensiver: „Vor allem, wenn es darum geht, wie man an die Wahlunterlagen kommt. Bei einigen sind die Briefe nämlich sehr spät oder teils noch immer nicht angekommen.“

Jockel selbst zählt sich allerdings zu denen, die Glück hatten: „Ich habe meine Wahlkarte schon lange abgeschickt.“

Ein Trend, für welche Parteien die „Piefkes“ eher stimmen, gibt es auch in Weicherts Gruppe nicht. Aber: „Mitglieder der Gruppe sind eher Menschenfreunde als -feinde. User, die Verschwörungstheorien, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus oder Hass verbreiten oder zu Putin-freundlich sind, werden verwarnt oder bei Wiederholung sogar rausgeschmissen.“

„Bei einigen sind die Briefe sehr spät oder teils noch immer nicht angekommen.“ - Jockel Weichert, Gründer der Gruppe „Piefke Connection“, über Probleme bei der Briefwahl

Probleme durch verkürzte Fristen

Der deutschen Botschaft in Wien sind keine Probleme bekannt, die die Briefwahl betreffen. Anders als die meisten deutschen Botschaften außerhalb Europas bietet die Botschaft in Wien außerdem keinen Kurierservice für Wahlkarten nach Deutschland an – sie verweist auf den Postweg zwischen den beiden Nachbarländern.

Die Möglichkeit, direkt an einer Botschaft seine Stimme abzugeben, kennt das deutsche Wahlrecht nicht, und eine elektronische Stimmabgabe über das Internet steht derzeit nicht zur Debatte. Wie auch im Fall von Auslandsösterreichern ist eine Stimmabgabe per Briefwahl somit die einzige Möglichkeit für Auslandsdeutsche, an der Bundestagswahl teilzunehmen.

Problematisch ist dieser Umstand derzeit für jene Deutschen, die sich außerhalb Europas aufhalten. Die durch den Zerfall der Ampelkoalition vorgezogenen Neuwahlen und die damit einhergehenden verkürzten Fristen könnten einige Auslandsdeutsche bei dieser Wahl ihre Stimme kosten. Die für den Versand der Unterlagen zuständigen Gemeinden konnten in diesem Jahr erst knapp drei Wochen vor dem Wahltermin die Unterlagen an Auslandsdeutsche schicken – da die Parteien von der vorgezogenen Neuwahl überrascht wurden und noch ihre Wahllisten zu erstellen hatten.

In den Tagen und Wochen vor der Wahl häufen sich daher Medienberichte über fehlende Wahlunterlagen für Deutsche, die sich außerhalb Europas aufhalten.

Wie viele Auslandsdeutsche neben Victoria, Jasper und Jockel genau für die Wahl registriert sind, ist unklar. Die genaue Zahl kennt man laut Bundeswahlleiterin erst frühestens sechs Wochen nach der Wahl.

*Name von der Redaktion geändert.

Natalia Anders

Natalia Anders

ist Teil des Online-Ressorts und für Social Media zuständig.

Laura Schatz

Laura Schatz

seit Februar 2025 Volontärin im Digitalteam und im Auslandsressort.