Rosemarie Schwaiger: Wahlkampf brutal
Über 35 Prozent für Norbert Hofer: Das ist, pardon für diese Plattitüde der Wahlberichterstattung, ein politisches Erdbeben. Wie dramatisch die tektonischen Verschiebungen waren, zeigt sich erst recht in den Details: SPÖ-Kandidat Rudolf Hundstorfer liegt in der SPÖ-Hochburg Bruck an der Mur nicht weniger als 25 Prozentpunkte hinter dem FPÖ-Sieger. Nur etwas mehr als zehn Prozent der tiefschwarzen Vorarlberger wählten Andreas Khol; dreimal so viele entschieden sich für Norbert Hofer.
Was ist nur passiert in diesem Land?
Die ewige große Koalition ist natürlich eine Erklärung. Aber bei dieser Bundespräsidentenwahl gab es Alternativen. Alexander Van der Bellen und Irmgard Griss haben mit der Politik der Regierung überhaupt nichts zu tun – und wurden dennoch deutlich abgehängt.
Aus Sicht ihrer Wähler hatte die FPÖ in letzter Zeit wohl einfach zu oft Recht mit ihren Prognosen: Die Öffnung des Arbeitsmarktes hat tatsächlich, wie von den Blauen prophezeit, die Arbeitslosigkeit in Österreich stark erhöht. Die massive Zuwanderung der vergangenen zehn Jahre sorgt in der Tat für soziale Spannungen. Und wie von den Blauen stets getrommelt, sind unter den Flüchtlingen des Jahres 2015 nicht in erster Linie Ärzte und Ingenieure, sondern deutlich mehr Menschen ohne brauchbare Ausbildung und ohne Perspektiven in der heimischen Gesellschaft.
Es ist keine Kunst, gelegentlich richtig zu liegen, wenn man wie die FPÖ grundsätzlich gegen alles kampagnisiert, was von der Regierung kommt. Leider fiel den politischen Gegnern der blauen Vereinfacher darauf nie eine überzeugende Antwort ein. Jetzt kam die Antwort eben von den Wählern.
Die FPÖ hat derzeit mehr Anhänger als jede andere Partei – aber sie hat auch mehr erbitterte Gegner als alle anderen.
Trotz seines gewaltigen Vorsprungs ist keineswegs ausgemacht, dass Norbert Hofer die Stichwahl gegen Alexander Van der Bellen gewinnen wird. Die FPÖ hat derzeit mehr Anhänger als jede andere Partei – aber sie hat auch mehr erbitterte Gegner als alle anderen. Außerdem ging und geht es vielen Blau-Wählern mehr um den Protest als um das Ergebnis. Gut vorstellbar, dass nicht jeder, der ihn heute gewählt hat, Norbert Hofer tatsächlich in der Hofburg sehen will.
Anders als die erste Etappe des Wahlkampfs wird der zweite Teil vermutlich kein Vergnügen und auch kein Gewinn für die Demokratie sein. Absehbar ist die totale Polarisierung der Lager. Dem Land drohen vier Wochen lang Triumpfgeheul von rechts und Moralisieren von links.