Wahlen in Oberösterreich: Die SPÖ hat den Kampf schon aufgegeben
Die oberösterreichische Sozialdemokratie hat eine große Vergangenheit. Der heroische und blutig niedergeschlagene Arbeiteraufstand des Februar 1934 ging von den Schutzbündlern in Linz aus. Man erinnert in diesem Wahlkampf gern an die mehr als 100-jährige Geschichte der Partei, an Werte wie Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität.
Man bedauert jene Aktion, bei der die Genossen zu Sommerbeginn mit Plakaten am Straßenrand standen und die vorbeifahrenden Linzer aufforderten zu nicken, wenn auch sie kein weiteres Asylheim in Linz wollten. Das sei „missverständlich“ gewesen. So sei man gar nicht. Man lobt jetzt die freiwilligen Helfer – die Flüchtlinge sind ja nur auf Durchreise. Man hofft, dass sich angesichts der Bilder erschöpfter Frauen und Kinder, die an europäischen Grenzen mit Tränengas und Wasserwerfern empfangen werden, die Stimmung dreht. Doch die Realisten unter ihnen wissen: Das Denken ihrer Wählerklientel hat sich nicht geändert. Die Leute reden nur nicht mehr so laut dagegen. Selbst die Freiheitlichen sind in diesen Tagen etwas leiser geworden.
Das Flüchtlingsthema drückt sie weiter nach unten.
Seit dem Wahldebakel bei den vergangenen Landtagswahlen, als die SPÖ auf den bisher historischen Tiefstand von knapp 25 Prozent gefallen war, hat die Landesparteizentrale laufend Umfragen in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse fielen immer katastrophaler aus. Seit drei, vier Jahren schon liegen die Sozialdemokraten nur noch bei 20 bis 22 Prozent. Das Flüchtlingsthema drückt sie weiter nach unten.
Die SPÖ ist auf dem Weg zu einer Kleinpartei mit zwei Restposten der Macht: Gewerkschaft und Arbeiterkammer, die in Oberösterreich in Personalunion von Johann Kalliauer geführt werden – und dem Pensionistenverband. Die Jugend hat man offenbar abgeschrieben. 2009 wählten nur noch zwölf Prozent der unter 30-Jährigen die SPÖ. Das traditionelle Wahlkampfinale am Linzer Hauptplatz wurde für heuer ganz abgesagt. Bühne und Equipment will man dem Bündnis „Linz gegen rechts“ andienen, das eine Kundgebung „Lichter der Menschlichkeit“ plant.
Der Wahlkampfauftakt der sozialdemokratischen Gewerkschafter fand in der Kürnberg-Halle in Leonding bei Linz statt. 500 Gewerkschafter waren in Bussen und Privatautos angereist. Am Eingang bekam jeder einen fransigen FSG-Schal im Stil eines Fußballfanartikels in die Hand gedrückt, außerdem ein Spielzeug mit SPÖ-Logo, eine Klappenhand aus Plastik, die ein bisschen Krach macht, wenn man sie schwenkt. Ein junger Gewerkschafter in einem Leiberl mit der Aufschrift „Nazis finde ich doch eher uncool“ wirkt hier wie ein Fremdkörper. Er hat das T-Shirt über einen Freund bei den Grünen erworben.
Tröten. Klappern. Nein, das ist nicht der Villacher Fasching.
Im Foyer die obligaten Würstel, zähe Semmeln und jede Menge Bier, Spritzer und Almdudler. Das Ambiente sollte an die siegreiche Nationalmannschaft gemahnen. Auf der Bühne waren zwei Fußballtore aufgestellt. Das Programm wurde mit dem Comic-Film „Fußballspiel der Tiere“ eröffnet und ging in die Performance eines Stimmenimitators über. Nebenthema: Verhöhnung von Genossinnen. Reißverschluss-Prinzip? Großes Gelächter. Rasseln und Tröten kommen zum Einsatz. Bekanntlich hatte die oberösterreichische Partei verhindert, dass die SPÖ-Politikerin Sonja Ablinger der verstorbenen Barbara Prammer im Parlament nachfolgte. Das Mandat ging an einen Gewerkschafter. Was ist Damenfußball? „Frauen in der Kabine, die nachdenken: Was ziehe ich an?“ Tröten. Klappern. Nein, das ist nicht der Villacher Fasching.
Als endlich der „Reini“, Landesparteichef Reinhold Entholzer, ans Mikrofon tritt, ist es schon sehr lustig im Saal. Entholzers Stimme wirkt fast sanft im Vergleich zu dem Lärm davor. Er sagt: Hier sei eine Stimmung, hier sei er daheim. Heimat sei dort, wo man sich wohl fühle, und die angebliche Heimatpartei FPÖ habe keine Ahnung, was Heimat sei. Dann hält er ein Buch hoch, das der FPÖ-Landesparteichef Manfred Haimbuchner mitherausgegeben hat. Alle sollten es lesen – „wegen der Grauslichkeiten“, die drohten, wenn die FPÖ an die Macht käme: Pensionen würden gekürzt, das Antrittsalter werde erhöht, Biennalsprünge, Kammern und die Bezahlung des ersten Krankenstandstags würden abgeschafft. Die Empörung ist groß. Er dankt der Jugend, die den Flüchtlingen hilft. Es gibt Zwischenapplaus. „Mit diesen Hetzern“ von der FPÖ könne man keinen gemeinsamen Pakt eingehen, sagt Entholzer.
Doch in der Partei- und Gewerkschaftsbasis hört man anderes. Man sei ja nicht gegen Flüchtlinge an sich, aber es seien zu viele. Der ungarische Premierminister Viktor Orbán habe recht: Man müsse die Grenzen dichtmachen. Die EU sei unfähig und lasch. Den Flüchtlingen werde alles hingestellt, während die eigenen Leute … Außerdem seien die Asylanten gar nicht so arm. Sie mäkelten am Essen und am Gewand herum, das man spendet. Es dauert nicht lang, und die Sozialdemokraten hören sich an wie freiheitliche Parteigänger.
Eine fromme Lüge, wie sie in diesem Wahlkampf öfters vorkommt.
Als ob sich die Geschichte wiederholte. Selbst in der heroischen Zeit der oberösterreichischen Sozialdemokratie, im Februar 1934, wandte sich nach Schätzungen von Historikern jeder dritte Schutzbündler aus Enttäuschung über die Parteiführung in Wien den Nazis zu; nicht wenige wurden Kommunisten. Auch nach 1945 waren die Beziehungen zwischen der oberösterreichischen Parteizentrale und dem nationalen Lager besonders gut. Der VDU, die Vorläuferpartei der FPÖ, feierte große Erfolge bei Betriebsratswahlen in der Voest (vormals „Göring-Werke“) und war bei den Landtagswahlen 1949 mit einem Ergebnis von 20 Prozent zu einer ernsthaften Konkurrenz für die SPÖ (30 Prozent) geworden. Ältere Sozialdemokraten nehmen es der SPÖ heute noch übel, dass sie im Jahr 1967, als sie das einzige Mal bei Landtagswahlen stärkste Partei wurde, nicht mit der FPÖ verhandelte und der ÖVP diesen Schachzug und den Landeshauptmann überließ.
Ein Wahlkampf, der sich auf die Organisationskraft der Gewerkschaften und auf die treuen Pensionisten stützt, hat eine eigenartig rückwärtsgewandte Anmutung.
Eine Pensionistenkonferenz in Linz-Ebelsberg war am vergangenen Donnerstag für neun Uhr morgens anberaumt. Es war ein strahlender Tag. 160 Pensionisten waren angeblich angemeldet, um den Linzer Bürgermeister Klaus Luger und Landesparteichef Entholzer in einer Doppelconférence zu beklatschen. Man war schon über der Zeit, als die Organisatoren begannen, die letzten Sesselreihen im Volkshaus Ebelsberg wieder abzubauen, in dem gerade einmal drei Dutzend Menschen in der rechten Saalecke saßen. Draußen beratschlagten Luger, Entholzer und Entourage, was zu tun sei. Die Presse war da. Wie würde das aussehen? Luger ging ans Mikrofon und sagte, die öffentlichen Verkehrsmitteln würden derzeit nicht fahren. Es habe einen Unfall oder Ähnliches gegeben. Während er das sagte, quietschten draußen die Straßenbahnen vorbei. Eine fromme Lüge, wie sie in diesem Wahlkampf öfters vorkommt.
Die Stadt Wels mit ihren rund 60.000 Einwohnern und einem Ausländeranteil von 18 Prozent steht an der Kippe zu einem Machtwechsel von Rot zu Blau.
Vor allem die Jungen kritisieren, dass die Linzer SPÖ zu einem türkischen Verein, hinter dem die nationalistischen Grauen Wölfe stecken, Kontakt pflegt. Ein kritischer Bericht der Bundespartei dazu soll nicht vor den Wahlen bekannt gemacht werden. Funktionäre behaupten, die Stimmung sei bestens. Man mache unglaublich viele Hausbesuche und rede mit den Menschen „face to face“. Hinter vorgehaltener Hand heißt es: Tagsüber sei kaum jemand zu Hause, und wenn man schon einmal in eine Wohnung gebeten werde, dann sei es sicher eine Flüchtlingsfamilie, die froh sei, dass sich jemand ihrer annehme.
Ein eher trauriger Wahlkampfeinsatz war auch der Besuch in der Markthalle von Wels. Die Stadt mit ihren 60.000 Einwohnern und einem Ausländeranteil von 18 Prozent steht an der Kippe zu einem Machtwechsel von Rot zu Blau. Der freiheitliche Herausforderer Andreas Rabl ist ein freundlich-glatter Jungpolitiker. Zum Ärger des sozialdemokratischen Bürgermeisterkandidaten, Hermann Wimmer, einem 62-jährigen Magistratsbeamten, hat Rabl zu einem „Fest gegen Hetze“ geladen.
Wimmer und Entholzer gehen Morgens durch die leere Markthalle. Viele Stände sind nicht besetzt. Sie schenken müde wirkenden Verkäuferinnen über aufgetürmtes Gemüse hinweg Schokoherzen. Die Frauen nehmen es freundlich entgegen. Es ist ja auch Fernsehen dabei.
Entholzer, der aus der Gewerkschaftsbewegung kommt, müssten die beschämend niedrigen Kollektivverträge der Handelsangestellten bekannt sein. Und deren Arbeitsbedingungen. Beim Stand einer Bäckerei fragt Entholzer die Verkäuferin, ob sie mit ihrem Chef zufrieden sei. Die Frau sieht ihn ungläubig an. Sie wird in diesem Augenblick von allen Seiten geknipst und gefilmt. Sie sagt Ja.
Es geht einiges schief in diesem Wahlkampf.