Terrorbericht: Ein Anschlag mit Anlauf
Dieser Artikel erschien im profil Nr. 5 / 2021 vom 31.01.2021.
Vier Tote, 23 Verletzte, Ausnahmezustand, Staatstrauer. Kaum ein Verbrechen der jüngeren Zeit erschütterte die Öffentlichkeit so sehr wie das Attentat in der Wiener Innenstadt am 2. November 2020. Rasch wurde klar, dass besonders der heimische Verfassungsschutz eine unwürdige Rolle in dem Drama spielte. Attentäter K.F. war ein amtsbekannter Dschihadist, zum Zeitpunkt des Anschlages auf Bewährung und unter Beobachtung. Spätestens im September ahnten Beamte, dass sich F. um Munition für ein Sturmgewehr bemühte - doch niemand schritt ein oder informierte die Justiz.
Eine von der Regierung beauftragte Kommission lieferte Ende Dezember weitere Anzeichen für Versagen: Der Verfassungsschutz habe "immer nur punktuell und teilweise verzögert" auf die erkennbare Radikalisierung des späteren Attentäters reagiert, heißt es im entsprechenden Zwischenbericht. Unklar sei, wieso "keiner der vorliegenden Sachverhalte an die Staatsanwaltschaft" gemeldet wurde. Besonders die Zusammenarbeit zwischen BVT und den Landesämtern zeigt sich "suboptimal". Dabei wäre das in akuten Gefährdungslagen entscheidend: Auf der einen Seite das Bundesamt, das Hinweise aus dem Ausland erhält, analysiert und Operationen plant; darunter die neun Landesämter (LVT), welche die radikalen Szenen kennen, "Gefährderansprachen" führen, nah am Geschehen sind. Im Vorfeld des Anschlags scheiterte die Arbeitsteilung zwischen dem BVT und dem Wiener LVT fulminant.
Kenner der Vorgänge berichten, dass vor allem zwischen diesen beiden Ämtern seit Längerem Misstrauen herrscht. In eine Observation deutscher Kontakte mit Wiener Islamisten im Juli 2020 - darunter war auch K.F. - sei das LVT vom BVT zu wenig eingebunden worden, zitiert die Expertenkommission einen Amtsvermerk des Landesamtes. Der Hinweis aus der Slowakei zum versuchten Munitionskauf des späteren Attentäters blieb vier Wochen im BVT liegen, ehe man den Fall an das Landesamt weitergab. Der dortige Sachbeamte identifizierte K.F. dann binnen Stunden.
Die Konsequenzen? Der Wiener LVT-Chef Erich Zwettler wurde für die Dauer der Tätigkeit der Untersuchungskommission abberufen. Im BVT gab es bislang keine dienstrechtlichen Reaktionen, teilt das BMI mit. Man wolle auf den Endbericht der Kommission warten, der am 10. Februar fertig sein soll. Aufklärung hat sich auch der Wiener Anwalt Karl Newole auf die Fahnen geschrieben. Er vertritt 16 Opfer, die durch das Attentat unmittelbar geschädigt wurden, darunter Hinterbliebene und Schwerverletzte. "Die bisherigen Ergebnisse der Kommission weisen eindeutig auf Behördenfehler hin", so Newole. Der Jurist plant deshalb nach Vorliegen des Endberichtes eine Amtshaftungsklage gegen die Republik. Nach dem Opferschutzgesetz erhielten seine Mandanten bisher lediglich 2000 Euro pauschal, in einem Fall 4000 Euro. "Das ist angesichts der entstandenen Schäden natürlich nichts", so Newole. Über die Amtshaftungsklage stünden weit größere Entschädigungszahlungen in Aussicht, außerdem könnte vor Gericht das vermutete Behördenversagen unter Wahrheitspflicht geklärt werden.