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Warum die SPÖ in Wien auf S wie Sicherheit setzt

Alkoholverbot, Waffenverbot, Polizei: Wiens Bürgermeister Michael Ludwig setzt vor der Wien-Wahl auf Law and Order. Was dahintersteckt.

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Yppenplatz, Wien-Ottakring. Für die einen gilt er als Hotspot der Hipster, für andere als Brennpunkt ausufernder Gewalt. Zweiteres ist nicht ganz unberechtigt: zwei Schwerverletzte und ein massives Rettungs- und Polizeiaufgebot waren das Ergebnis eines Schusswechsels im Oktober des Vorjahres. Dass mitten am Tag Schusswaffen zum Einsatz kommen, sorgt selbst im liberalen Viertel für Verstörung. Ermittlungen ergaben, dass es sich um eine Auseinandersetzung im Drogenmilieu handelte, die unweit von Marktstandlern und Gastronomen nahe einem Spielplatz eskalierte.

Mittlerweile sind einige Monate vergangen. Die zentrale Frage, die nach wie vor bleibt: Ist Wien unsicherer geworden? Oder ist das nur ein Gefühl, das durch Medienberichte und Oppositionskritik entsteht?

Die Eskalation am Yppenplatz stellt die in Bezirk und Stadt regierende SPÖ vor eine Herausforderung: Das Thema Sicherheit beanspruchen auch FPÖ und ÖVP lautstark für sich, sie fordern bei jeder Gelegenheit mehr Härte. Die Sozialdemokraten haben eher einen liberalen Zugang. Die neue Ottakringer SPÖ-Bezirksvorsteherin Stefanie Lamp versucht den Spagat und wirbt für ein gewaltfreies Miteinander: „Damit der Yppenplatz ein Ort ist, an dem sich alle wohlfühlen können und wo man gerne ist.“ Ihr Rezept: mehr Polizei, mehr Sozialarbeit, mehr Infostände. Ein Konzept, das an bekannten Brennpunkten Wiens – vom Favoritner Reumannplatz bis zum Floridsdorfer Franz-Jonas-Platz – wiederholt zum Einsatz kommt.

Der Stadtsheriff

Die Opposition zeichnet seit den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen syrischen und tschetschenischen Jugendlichen im Vorjahr das Bild einer Stadt, die angeblich in Chaos und Gewalt versinkt. Die Kriminalitätsstatistik des Innenministeriums bestätigt diesen Befund aber nur zum Teil: seit 2021 steigt die Zahl der Gewaltverbrechen in der Hauptstadt – allerdings im geringeren Ausmaß als im österreichischen Schnitt.

Ob Obdachlosigkeit, Drogen, Bettelei oder Rivalitäten zwischen Jugendbanden: die Wiener Oppositionsparteien ÖVP und FPÖ setzen seit Jahren auf das Sicherheitsthema – am liebsten im Zusammenhang mit Migration. Unter dem Motto „Unsere Stadt. Unsere Regeln. Sicherheit in Wien.“ setzt Dominik Nepp den freiheitlichen Kurs seines Vorgängers Heinz-Christian Straches fort. Die ÖVP Wien kürte Karl Mahrer, den ehemaligen Vizepräsidenten der Landespolizeidirektion, zum Spitzenkandidaten für die kommende Wien-Wahl. Seine Devise lautet: „Wien bleibt Wien. Nur sicherer.“

Der rote Bürgermeister möchte offensichtlich die Sicherheitsfrage nicht den Blauen und Schwarzen überlassen und profiliert sich als starker Mann: Alkoholverbotszonen, Waffenverbote und mehr Polizeipräsenz – schließlich stehen bald Wahlen vor der Tür. Wird die städtische Sozialdemokratie nun zur Law and Order Partei?

Im Rathaus wird Bürgermeister Ludwig schlicht als „der Chef“ bezeichnet. Dass in Wien zuletzt Anschläge auf die Taylor-Swift-Konzerte und den Westbahnhof verhindert wurden, nahm der Stadtchef zum Anlass, sich – entgegen der bisherigen SPÖ-Linie – für eine bundesweite Überwachung von Messenger-Diensten auszusprechen.

In seinem eigenen Zuständigkeitsbereich Wien setzt Ludwig schon länger auf die Ordnungskarte: Die Videoüberwachung und das Alkoholverbot am Praterstern waren die ersten Maßnahmen, die der neue Bürgermeister 2018 verkündete – eine Maßnahme, die in der Hauptstadt und selbst in der Sozialdemokratie nicht unumstritten war.

Schon als Wohnbaustadtrat setzte sich Ludwig für die strenge Durchsetzung der Hausordnung in Gemeindebauten ein. 2015 verschärfte er zudem den Zugang zum kommunalen Wohnungsmarkt (längere Wartefrist für Zugezogene). Für die einen gilt Ludwig als Proponent des rechten Flügels innerhalb der Sozialdemokratie. Für die anderen als Pragmatiker, der breitenwirksame Themen glaubwürdig vertreten kann, ohne sich den Freiheitlichen anbiedern zu müssen. So setzt das Rathaus im Kampf gegen Kriminalität auf akute Symptombekämpfung von Hotspots in den Bezirken, gleichzeitig auf Begleitmaßnahme wie Sozialarbeit und Information, um das dahinterstehende Problem zu bekämpfen: Armut. Soweit jedenfalls die Theorie.

Der Sicherheitskurs der Wiener SPÖ und ihres „Chefs“ ist auch im Wiener Straßenbild sichtbar: Öffi-Securitys in Schutzwesten, die stadteigene Einsatzgruppe für Sofortmaßnahmen in roten Jacken und die Wiener Polizei in blauer Montur.

Gefühle statt Fakten

„Die Wienerinnen und Wiener fühlen sich unsicher, das nehme ich ernst“, ist die Botschaft des Bürgermeisters. Laut Arno Pilgram vom Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie ist nicht die objektive Datenlage entscheidend, sondern das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung. Globale Krisen und die damit verbundene Verunsicherung würden dazu beitragen, dass Menschen sich bedroht fühlen. „Nach 80 Jahren Frieden rücken Kriege wieder näher. Das stellt nicht nur den Sicherheitsapparat infrage, sondern auch das Vertrauen in politische Institutionen“, so Pilgram.

Während sich die allgemeine Grundstimmung verschlechtere, gibt es tatsächliche Hotspots, wie die U6-Station Gumpendorfer Straße. Dort verbringen viele Drogenabhängige ihre Tage, weil gegenüber die Wiener Suchthilfe stationiert ist. „Natürlich werden sie vermehrt Suchtkranke antreffen, wenn sie dort therapeutisch betreut werden“, sagt Pilgram. Das sei eben – wie die Notversorgung von Obdachlosen – auch Aufgabe einer Stadt und Teil eines erweiterten Sicherheitsverständnisses: Menschen in Notlagen abzusichern, so der Kriminalsoziologe.

Dass dabei Interessen von Anrainern und Suchtkranken aufeinandertreffen, ist offensichtlich. Aber wohin sollen Betroffene ausweichen? Pilgram betont: „Das Problem würde sich verlagern, eventuell in Bezirke, wo die Anwohnerschaft weniger Beschwerdegehör findet.“ Er plädiert: „Wien ist kein Schrebergarten.“ Wer in einer Stadt leben möchte, müsse lernen, mit solchen Zuständen und gesellschaftlichen Randgruppen umgehen zu können.

Mehr Polizei als Lösung?

Die Polizeiinspektionen ächzen unter der aktuellen Situation. Laut Polizeigewerkschaft ist in den vergangenen zehn Jahren der Personalstand im Stadtkommando in Wien um rund 1000 Beamte gesunken – ein Rückgang, der vor allem auf Pensionierungen und verschleppte Nachbesetzungen zurückzuführen sei.

Ob Wien unsicherer geworden sei, sehen Polizisten differenziert. Trotz des Personalmangels sei die Stadt nicht gefährlicher, betont Personalvertreter Walter Strallhofer. Doch er fügt hinzu: „Wien ist nur deshalb nicht unsicherer geworden, weil wir mit weniger Polizisten deutlich mehr Überstunden leisten müssen.“ Ein Zustand, der auf Dauer für die Beamten im Dienst nicht tragbar sei. Das Innenministerium verweist auf die laufende Rekrutierungsoffensive der Landespolizeidirektion. Aus Sicht der Personalvertretung versteht sich die Polizei als Teil der städtischen Infrastruktur, die präventiv für Sicherheit sorgen soll. Doch dafür, so Strallhofer, brauche es eine ausreichende Personalstärke.

Am Ottakringer Yppenplatz reagierte bereits die Bezirksvertretung mit konkreten Maßnahmen: Flutlichtanlagen sollen Drogenverstecke ein Ende bereiten, ein eigenes „Grätzelbüro“ dient als Anlaufstelle für besorgte Anrainer. Neben verstärkter Sozialarbeit setzt Bezirksvorsteherin Stefanie Lamp auf mobile Polizeieinheiten, die zwischen Yppenplatz und Josefstädter Straße patrouillieren – als Erinnerung an die Wiener Hausordnung und präventive Abschreckung gegen illegale Aktivitäten, wie sie im profil-Gespräch betont.

Offenbar spürt die SPÖ, dass sie dieses Thema besetzen muss. „Als Kommunalpolitikerin ist es meine Aufgabe, die Themen aufzugreifen, die für die Menschen wichtig sind“, so Lamp. 

Kriminalsoziologe Pilgram sieht verstärkte Polizeipräsenz kritisch: „Die Weltlage wird sich dadurch nicht ändern, auch die wirtschaftliche Prosperität Wiens nicht.“ Mehr Beamte könnten zwar kurzfristig das Sicherheitsgefühl stabilisieren, langfristig könne eine übermäßige Präsenz jedoch Unsicherheit schüren: „Je mehr Uniformierte im Stadtbild auftauchen, desto eher entsteht der Eindruck, es gebe eine akute Bedrohung.“

Er plädiert für ein umfassenderes Sicherheitsverständnis: Sicherheit bedeute nicht nur Kontrolle, sondern auch die Absicherung sozialer Grundbedürfnisse. Damit könnte Wien nicht nur gefühlt, sondern auch strukturell sicherer werden.

Kevin Yang

Kevin Yang

seit November 2024 im profil Digitalressort.