Warum die Wiedervereinigung der SPÖ eine Illusion ist
Ich bewundere die Leichtigkeit einer Kollegin, mit der sie das Wort „Gremien“ ausspricht. Sie ist ein Political Native. Als thematischer Quereinsteiger bringe ich das Wort nicht über die Lippen, ohne mir den inneren Apparatschik-Alarm anmerken zu lassen. Die SPÖ liebt ihre „Gremien“. Anders ist es nicht zu erklären, dass sie heute von neun Uhr früh bis 18 Uhr im Stundentakt tagen: Partei-Präsidium, Partei-Vorstand, Klub-Präsidiumssitzung, Klub-Vorstandsitzung, Klub-Vollversammlung. Die kurzen Pausen sind offensichtlich nur für Wurstsemmeln, nicht fürs Bandscheiben-Yoga vorgesehen. Sitzfleisch hat man oder nicht.
Das große Thema an diesem Tag: Einigkeit. Der neue SPÖ-Chef Andreas Babler soll ein personelles und inhaltliches Paket vorlegen, um die Anhänger von Hans Peter Doskozil hinter sich zu vereinen. Der burgenländische Landeshauptmann schwänzt die Gremien. Er hat sich nach der Niederlage gegen Babler „ein für alle Mal“ aus der Bundespolitik zurückgezogen.
Einigung versus Selbstbetrug
Trotz Doskozils Burgenland-Gelübde scheint die Chance auf eine Wiedervereinigung der gespaltenen SPÖ gering. Das zeigen die ersten Äußerungen aus dem Doskozil-Lager sehr deutlich. Anstatt eines entspannten „Schau ma mal“, warnen sie Babler vom ersten Tag seiner Obmannschaft an davor, zu links abzubiegen - sei es bei der 32-Stunden-Woche oder in der Zuwanderungspolitik.
Ein rechterer Kurs bei der Migration war der Kitt, der die Doskozil-Unterstützer zusammenhielt. Sie werden an ihrer Überzeugung festhalten, dass die SPÖ (außerhalb Wiens) nur so wieder mehrheitsfähig wird. Sich Bablers linker Migrationslinie unterzuordnen käme für sie einer Selbstaufgabe gleich. Eher werden die Genossen im rechten Parteiflügel auf ihr Momentum warten, sollte Babler auf dem schwierigen Terrain der Migrationspolitik ausrutschen. Ein Sellbstbetrug wäre es genauso für Babler, seine betont tolerante und humanitäre Haltung in Asylfragen auf dem Altar der Einigkeit zu opfern.
Mythos Doskozil
Der zweite Grund, der gegen einen baldigen Parteifrieden spricht: Doskozil lebt in manchen Köpfen als Mythos fort. In Hintergrundgesprächen weisen seine Anhänger darauf hin, dass er die „eigentliche“ Befragung unter 148.000 Mitgliedern gegen Pamela Rendi-Wager und Andreas Babler gewonnen habe. Das hat im Dokozil-Lager mehr Gewicht als Bablers finaler Sieg beim Parteitag unter den "nur" 609 Delegierten. Der Salzburger Ex-Wohnbaulandesrat Walter Blachfellner begründete seinen Austritt aus der SPÖ ganz offen damit. Dass Doskozil selbst nach dem Ausscheiden Rendi-Wagners eine Stichwahl gegen Babler durch die Mitglieder ablehnte, fehlt in dieser Mythenbildung.
Für Babler stellt sich die Frage, ob er potenzielle Heckenschützen von morgen um jeden Preis einbindet. Oder ob er sich der Illusion gar nicht erst hingibt und sie möglichst kleinhält. Das alles werden - wie es sich in der SPÖ gehört - die Gremien zeigen.
profil-online für Babler & Co.
Im "Frühstück bei mir" auf Ö3 schilderte Babler am Sonntag, dass er heimische Medien nur noch online konsumiert. Papierzeitungen sind für ihn offenbar so passé wie für die Bierpartei "Gremien". Wir hoffen, dass er auf diesem Weg auch mit einem neuen Faktencheck in Berührung kommt, der ihm gewidmet ist. Dieser Faktencheck ist online-only, weil wir längst nicht mehr jede Story nur fürs gedruckte Heft produzieren. Ein weiteres Stück ohne Papierhintergrund stammt von Wirtschaftschefin Marina Delcheva. Sie fand bei ihren Recherchen über die neuen Gastarbeiter aus Drittenstaaten heraus, dass Russen bei der Rot-Weiß-Rot-Card auf dem dritten Platz liegen. Trotz Ukraine-Krieges. Oder gerade deswegen? Nur wenige Stunden nach der Todesmeldung ging der fundierte Nachruf auf Silvio Berlusconi aus der Digitalfeder unseres Italien-Korrespondenten Thomas Migge online.
Für Lesestoff ist gesorgt, auch in roten Gremien.
Kommen Sie gut gelaunt durch den Tag!