Sophie heißt jetzt Safiya. Es ist gut ein Jahr her, dass sie zum Islam konvertiert ist. „Alhamdulillah“, „Gott sei Dank“, schreibt sie, „schon ein Jahr, wie die Zeit vergeht.“ In einer Telegram-Gruppe für Konvertitinnen erzählt die 22-Jährige über ihre Konversion. Sie kommt aus Linz und ist katholisch aufgewachsen. Ihre Mutter ist gläubig, geht sonntags regelmäßig in die Kirche. Ihr Bruder hält nicht sonderlich viel von Religion. Beide können nicht verstehen, was Sophie am Islam so fasziniert. Warum sie plötzlich ein Kopftuch trägt, fünfmal am Tag betet, im Ramadan fastet. Warum sie ihr Leben nach strengen Regeln führt, die eine Religion vorgibt. Sie hingegen kann die Skepsis ihrer Familie nicht nachvollziehen. „Man ist doch immer noch dieselbe Person“, sagt sie, „alles bleibt beim Alten.“
Und doch wird Sophie anders. Erst ändert sie ihren Namen, mit der Zeit auch ihre Überzeugungen, ihre Sprache und ihr Aussehen. Safiya feiert kein Weihnachten und Ostern mehr, sie trinkt auch keinen Alkohol, wenn sie mit ihren Freundinnen unterwegs ist, aber sie ging ohnehin nie so gern aus. Beim Rauchen ist es anders, „aber ich habe es schon viel reduziert und inshallah kann ich bald ganz aufhören.“ Safiya geht nicht mehr zur Maniküre, „das fehlt mir schon sehr, dass ich mir meine Nägel nicht mehr schön machen kann“, weil es ihr der Glaube nicht erlaubt. Sie trägt einen Hijab und eine Abaya, aber nicht jeden Tag: „Ich glaube, dass ich noch nicht bereit dafür bin, aber inshallah bin ich bald ganz bedeckt.“
Wie bei vielen jungen Mädchen führt auch Sophies Weg zu Allah über TikTok. Am Anfang scrollt sie noch durch Schminktipps und Hautpflegeroutinen, doch dann tauchen die ersten Videos auf, in denen Influencerinnen religiöse Botschaften verkünden. Und der Algorithmus lernt schnell. Je mehr Videos Sophie anschaut, desto mehr solcher Inhalte bekommt sie ausgespielt. Bald geht es nur noch um die Vorzüge des Hijabs, um das Leben als gläubige Muslimin. Sie fängt an, sich immer mehr für den Islam zu interessieren und merkt: Sie ist damit nicht allein.
Faszination Islam
„In den letzten drei Jahren haben 194 Menschen die Beratungsstelle Extremismus kontaktiert, weil jemand aus ihrem Umfeld zum Islam konvertiert ist. Das ist ein spürbarer Anstieg. In den meisten Fällen sind es Eltern, die sich Sorgen um ihre Tochter oder ihren Sohn machen, weil ihr Kind einen anderen Glauben angenommen hat“, sagt Verena Fabris, Leiterin der Beratungsstelle. Wie viele Jugendliche in den vergangenen Jahren
konvertiert sind, ist unklar. Selbst die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) führt dazu keine verlässlichen Zahlen, weil nur Konversionen, die in Moscheen stattfinden, erfasst werden. In Österreich gibt es rund 400 muslimische Gebetshäuser, etwa 280 davon gehören zur IGGÖ. Bis zum 1. April wurden in den Moscheen der Glaubensgemeinschaft zehn konvertierte Personen registriert – sechs davon sind Frauen ohne Migrationshintergrund.
Für viele Eltern kommt die Veränderung unerwartet, fast über Nacht. Noch vor Kurzem stand die Tochter im Crop Top vor dem Spiegel, jetzt trägt sie weite Kleider und einen Hijab. Der Sohn, der nie Interesse an Religion gezeigt hat, wirft den Eltern vor, Schweinefleisch zu essen. Sie sind noch keine 18, sprechen von Halal und Haram und leben ihr Leben nach den Geboten des Korans.
Beobachter sprechen von einem Trend, der durch TikTok massiv zunimmt. Doch was fasziniert die Jungen so am Islam?
Fast alle Konvertitinnen finden ihren Weg zum Islam über Influencerinnen. Es sind charismatische, selbstbewusst auftretende Frauen, mal mit Kopftuch, mal ohne. Ihre Stimmen klingen sanft, ihre Botschaften sind klar. In der Welt der schnellen Bilder strahlen sie Ruhe aus. Viele Influencer sind selbst zum Islam konvertiert und haben ihre Erfahrung zu einem Geschäftsmodell gemacht, das auf Verständnis und Unterstützung setzt. Ein Beispiel dafür ist die Deutsche Hanna Hansen. Mehr als 144.000 Follower zählt ihr Account auf TikTok. Eine davon ist Sophie aus Linz. „Ich liebe diese Frau“, schreibt sie. Warum genau, kann sie nicht sagen. „Ich finde einfach, sie erklärt den Islam so gut.“ Vor allem für Konvertitinnen ist Hanna Hansen ein Vorbild – weil sie selbst erst vor wenigen Jahren zum Islam konvertiert ist.
Vom Model zur islamischen Influencerin
Hanna Hansen ist 40 Jahre alt, geboren in Herford, einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen. Nach ihrem Schulabschluss macht sie eine Ausbildung zur Physiotherapeutin, zieht kurze Zeit später nach Paris, um Model zu werden. Sie modelt für berühmte Designermarken wie Escada, Vivienne Westwood oder Hugo Boss. In den 2010er-Jahren wechselt sie von der Mode- in die Musikbranche und legt als DJ bei großen Veranstaltungen auf, darunter auf Partys bei Formel-1-Rennen. Dann wird sie Mutter zweier Töchter und findet ihre neue Leidenschaft im Sport. Um fit zu bleiben, fängt sie an zu boxen, wird kurz darauf fünffache deutsche Meisterin und Weltmeisterin. Dann kommt Corona – und damit ihre Konversion. In ihrem Podcast „Warum Islam?“ erzählt Hanna Hansen, wie sie auf Geschäftsreisen in arabische Länder erstmals mit dem Glauben in Berührung kam. Dort sei sie vom Islam überzeugt worden, sagt sie. Mittlerweile hat sie ihre Boxkarriere aufgegeben und ist bis auf ihr Gesicht vollverschleiert. Ihr neues Geschäftsmodell ist der Verkauf ihres selbst geschriebenen Islambuchs, außerdem organisiert sie Pilgerfahrten nach Mekka – eine einmonatige Reise kostet 1799 Euro inklusive Hotel, Flug und Transfer vor Ort. Sie hält Vorträge, Workshops und Seminare und führt „Blitzkonvertierungen“ mit jungen Frauen durch – schnelle Übertritte zum Islam, oft ohne ausführliche Vorgespräche oder echte Auseinandersetzung mit der Religion. Meistens sind die Frauen nicht einmal im selben Raum wie die Influencerin. Manchmal genügen ein Telefonat, ein kurzes Glaubensbekenntnis, und wenige Sekunden später sind sie Musliminnen. Im März reist Hanna Hansen nach Wien und hält einen Vortrag in einer Eventhalle in Floridsdorf. Es war das erste Mal, dass die Influencerin dort einen Auftritt hatte. Drinnen ist alles mit beigen Tapeten und weißen Styropor-Ornamente geschmückt. Männern ist der Zutritt streng verboten, die Veranstaltung ist nur Frauen vorbehalten. Normalerweise werden hier große türkische Hochzeiten gefeiert, die Halle bietet Platz für mehr als 1000 Menschen. An diesem Tag sind es weitaus weniger – aber viele sind aus demselben Grund hier: Sie wollen Hanna Hansen sehen. Als die deutsche Influencerin die Bühne betritt, wird sie wie ein Popstar empfangen. Sie ist wie gewohnt ganz in Schwarz gekleidet, trägt einen eng anliegenden Hijab und eine lange Abaya, die bis zum Boden fließt. Unter ihrem Ärmel blitzt ein Tattoo auf ihrer Hand hervor, ein Überbleibsel von vor ihrer Zeit als gläubige Muslima. Junge Mädchen stellen sich an, um ein Foto mit ihr zu machen.
„Blitzkonvertierungen“
Später sitzt sie in einem bosnischen Lokal in Wien-Simmering. In ihrer Hand hält sie ein Telefon, die Lautsprecherfunktion ist an. Am anderen Ende der Leitung spricht eine Frau. Die Influencerin dokumentiert den Moment später in ihrer Instagram-Story. Zuerst begrüßt Hansen die Frau, dann gibt sie ihr Anweisungen. Sie soll die Schahada, das islamische Glaubensbekenntnis, auf Arabisch aufsagen: „Aschhadu alla ilaha illa Allah wahdahu la sharika lahu, wa aschhadu anna Muhammadan abduhoo wa rasuluhu.“ Auf Deutsch übersetzt: „Ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt außer Allah, dem Einzigen, der keinen Partner hat, und ich bezeuge, dass Muhammad sein Diener und Gesandter ist.“ Mehr ist nicht nötig, um Muslim zu werden – kein Imam, keine Moschee. Die Dokumentationsstelle Politischer Islam stuft Hanna Hansens Inhalte auf TikTok jedenfalls als salafistisch ein. In ihren Videos vergleicht sie die Scharia mit einem Arzt, „der die beste Medizin kennt“, den Atheismus nennt sie die „Ursache aller Krisen“ und behauptet, die Medien würden in ihrer Berichterstattung alle Muslime pauschal als „Terroristen“ darstellen.
„In den letzten drei Jahren haben 194 Menschen bei uns angerufen, weil jemand aus ihrem Umfeld zum Islam konvertiert ist.“ - Verena Fabris, Leiterin Beratusstelle Extremismus
Influencerinnen wie Hanna Hansen stoßen mit ihren Videos und ihrer übertriebenen Frömmigkeit oft erst die Tür zu anderen dschihadistischen Predigern auf, die den Islam für ihre eigene Ideologie missbrauchen. Davor warnt auch die Beratungsstelle Extremismus.
Vor einem Monat startete die Stelle die Kampagne „Frag die Abla“, die sich gezielt an Konvertitinnen richtet und Aufklärungsarbeit leistet. Doch die entscheidende Frage, warum gerade jetzt vermehrt junge Menschen zum Islam übertreten, wird selten gestellt – geschweige denn wirklich beantwortet. Dabei gibt es Muster. Oft spielen das soziale Umfeld, eine Partnerschaft oder die Sehnsucht nach klaren Rollenbildern eine Rolle. Manche Jugendliche konvertieren aus Protest gegen ihr Elternhaus, andere suchen Halt in einer Gemeinschaft, die ihnen klare Regeln vorgibt.
Sophie wäre selbst gern von der Influencerin konvertiert worden, aber sie wollte nicht so lange warten, bis Hansen nach Österreich kommt. Also entscheidet sie, in eine Moschee zu gehen. Den Weg zum Islam findet sie über salafistische Prediger, darunter Abul Baraa und Marcel Krass. „Marcel Krass feiere ich voll. Der hat so eine angenehme Stimme“, sagt Sophie. In seinen Videos trägt er Hemd und Sakko, sein Bart ist gestutzt, er spricht mit ruhiger Stimme. Auf den ersten Blick wirkt Marcel Krass eher wie ein konservativer
Dozent als ein radikaler Prediger. Doch seine Botschaften erzählen eine andere Geschichte. In einem Video erklärt Krass, dass Homosexualität eine Neigung sei, gegen die man kämpfen müsse, um ins Paradies zu kommen. Er vergleicht sie mit einem Glas Whisky oder Spareribs – beides sei für Muslime verboten. Seinen YouTube-Kanal nennt er „Föderale Islamische Union“.
In Deutschland steht Krass seit Jahren unter Beobachtung des Staatsschutzes. Vor einem Jahr hält er einen großen Vortrag in Wien. Organisiert wird die Veranstaltung von Cage Austria, dem österreichischen Ableger einer Initiative mit Sitz in Großbritannien. In Österreich wurde Cage vor allem durch die umstrittene Operation Luxor bekannt – eine Razzia gegen mutmaßliche Mitglieder der Muslimbruderschaft und der Hamas, die später stark kritisiert wurde. Krass soll laut dem Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg außerdem Kontakt zu Ziad Jarrah gehabt haben, einem der islamistischen Terroristen vom Anschlag auf das World Trade Center in New York vom 11. September 2001. Die beiden sollen damals mehrmals telefoniert haben. Marcel Krass ist genauso wie Hanna Hansen zum Islam konvertiert. Beide teilen nicht nur ähnliche Ansichten, sondern treten oft auch gemeinsam bei Veranstaltungen auf. Vor etwa einem Jahr waren sie als Redner für ein Ramadan-Event in Köln angekündigt, doch die Veranstaltung wurde kurzfristig abgesagt. Die Betreiber der Location gaben an, dass sie erst zu diesem Zeitpunkt von Krass’ Beobachtung durch den Verfassungsschutz erfahren hatten. Daraufhin haben sie das Event abgesagt.
Am Sonntag, dem 6. April, steht Hanna Hansen erneut in Wien auf der Bühne. Sie spricht vor mehreren Hundert muslimischen Frauen – wer möchte, kann auf der Bühne direkt und kostenlos zum Islam konvertieren. Alles, was es dazu braucht, ist eine Anmeldung. Der Eintritt: 55 Euro. Sophie hat ihr Ticket schon besorgt.