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Warum in Österreichs Politik keine italienischen Zustände eingezogen sind

Der Kanzlerwechsel von Alexander Schallenberg zu Karl Nehammer könnte auf absehbare Zeit der letzte gewesen sein.

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Guten Morgen!

Italien, das ist das Land des gutes Essens und guten Espressos, der schönen Innenstädte und antiken Ruinen. Italien ist aber auch das Land der „italienischen Zustände“. Zumindest verwendet man diese Phrase in Österreich gern, wenn von politischer Instabilität und häufigen Wechseln an der Regierungsspitze die Rede ist. Und die italienischen Zustände drohen auch in Österreich einzuziehen, hört man dieser Tage oft.

Mehr Kanzlerwechsel als in Italien

„Österreich hatte in zehn Jahren mehr Kanzlerwechsel als Italien“, titelt die Austria Presse Agentur (APA). Es waren gezählte sechs, einer mehr als in Italien, und „dabei sind die beiden Interimskanzler Reinhold Mitterlehner und Hartwig Löger noch gar nicht eingerechnet“.

Von Werner Faymann zu Christian Kern zu Sebastian Kurz zu Brigitte Bierlein zu Sebastian Kurz zu Alexander Schallenberg zu Karl Nehammer. Der letzte Wechsel war gerade erst gestern. Da wurde der vormalige ÖVP-Innenminister Nehammer in der Hofburg vom Bundespräsidenten als Bundeskanzler angelobt.

Schattenkanzler, Schattendasein

Doch alle, die jetzt die italienischen Zustände heraufdräuen sehen, lassen dabei außer Acht: Sämtliche Kanzlerwechsel bis auf einen einzigen – den ersten von Faymann zu Kern, der an SPÖ-internen Querelen lag – haben mit der Person des Sebastian Kurz zu tun. Konkret: Mit Kurz‘ Sprengung der rotschwarzen Regierung unter Christian Kern. Mit Kurz‘ darauffolgender Sprengung der schwarzblauen Koalition infolge der Ibiza-Affäre (die wohlgemerkt aufgrund unbewiesener Vorwürfe erfolgte - eine Vorgehensweise, die sich Kurz strikt verbittet, sobald sich die Vorwürfe gegen seine eigene Person richten). Und schließlich mit Kurz‘ zweimalig unerwartetem Abtritt: einmal wegen der Inseraten-Affäre, einmal deshalb, weil ihm das Dasein als Schattenkanzler doch zu schattig war.

Vielleicht hat also gar keine Italienisierung der österreichischen Innenpolitik stattgefunden. Vielmehr liegen die Wechsel der vergangenen Zeit schlicht daran, dass ein politischer Gambler mit ausbaufähiger Paktfähigkeit die Macht im Staat errungen hat. Und es war nicht einmal ein Italiener.

Neuwahlen sind unwahrscheinlich

Von Kurz’schen Zuständen statt von italienischen sollte also viel eher die Rede sein. Diese hören sich offenkundig mit dessen Abritt wieder auf. Mit Nehammer ist ein Kanzler von Gnaden der ÖVP-Landeshauptleute angetreten. Sie haben ihre alte Macht voll und ganz zurückgewonnen und stellen - im Verbund mit dem derzeit äußerst starken Roten Wien - die wahre Macht im Staate dar. Wiens SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig lehnt Neuwahlen strikt ab, die ÖVP-Länderchefs sowieso. Gut möglich also, dass unter diesen Rahmenbedingungen die türkisgrüne Koalition länger hält, als es ihre Kritiker glauben. Arrividerci, italienische Zustände. Grüß Euch zurück, altbekannte österreichische.

Einen möglichst italienischen Morgen wünscht Ihnen,

Joseph Gepp

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