Warum Kurz nicht wollte – und Stocker vorerst übernimmt
Es war spät am Samstagabend, gegen 23:30 Uhr, da hatte die ÖVP eine Option weniger. Sebastian Kurz, so kam man zum Schluss, wird die Volkspartei nach dem angekündigten Rücktritt von Karl Nehammer nicht übernehmen. Warum es dazu kam, wird von verschiedenen Seiten unterschiedlich berichtet. Die Kurz-freundliche Erzählung lautet so: Sebastian Kurz habe Bedingungen gestellt, die schlicht nicht erfüllt wurden. Er hätte die ÖVP in Neuwahlen geführt, nicht sofort in Koalitionsverhandlungen mit der FPÖ. Weil die Partei sich vor einer Wahl ziert, habe er auf eine Rückkehr verzichtet.
Es gibt aber auch eine andere Version. Sie wird von Personen ventiliert, die von Kurz' Verhalten frustriert sind: Es gebe in Teilen der Partei Widerstand gegen ein Kurz-Comeback. Außerdem habe ihn der Mangel an Kontrolle mehr verunsichert als die Aussicht auf das Vizekanzleramt – unter blauer Regierungsführung.
Damit verlor das politische Comeback für Kurz wohl seinen Reiz, für beide Seiten. 2017 hatte Kurz noch minutiös seine Machtübernahme des Kanzleramts und der Parteispitze vorbereitet und sich von den ÖVP-Granden schriftlich sieben Bedingungen zusichern lassen. Sämtliche Macht über personelle und inhaltliche Entscheidungen sollten in seiner Hand liegen, die Partei sogar am Stimmzettel seinen Namen tragen. Der Wahlerfolg bei den Neuwahlen schien die logische Konsequenz seiner Vorbereitungen. Die Macht lag damals alleine bei Sebastian Kurz. Die innenpolitische Plattentektonik hat sich nach dem Beben der Nationalratswahl aber völlig verschoben. In der ÖVP herrscht Chaos, und der Mann mit der parlamentarisch stärksten Partei ist der FPÖ-Obmann, nicht der ÖVP-Chef.
Kurz-Sehnsucht in der ÖVP
Die Sehnsucht nach seiner Rückkehr war allerdings real. „Es wäre die Polit-Sensation 2025: Sollte es nach den gescheiterten Koalitionsgesprächen in Österreich Neuwahlen geben, könnte Ex-Kanzler Sebastian Kurz als Kanzlerkandidat antreten!“, schrieb die deutsche Bild-Zeitung. Aussagekräftig war neben der Schlagzeile auch der Autor: Paul Ronzheimer ist nicht nur stellvertretender Chefredakteur des Blattes, sondern schrieb auch eine Kurz-Biografie. Ronzheimer weiß also, was Kurz will. Er weiß aber auch, was er nicht will: Seinen politischen Neuanfang aus einer Position der Schwäche und ohne absolute Kontrolle beginnen.
Auch manche in der Volkspartei wünschten sich Sebastian Kurz an die Spitze. Oder richtiger: Jemanden, der für eine selbstbewusste Hardliner-ÖVP steht. Karl Nehammer blieb standhaft bei seiner Position, nicht mit den Freiheitlichen unter Herbert Kickl koalieren zu wollen. Teile des Wirtschaftsbundes und der (ÖVP-nahen) Industriellenvereinigung kokettierten schon vor der Nationalratswahl mit einer Kooperation mit den Blauen. In den Wirtschaftsprogrammen von ÖVP und FPÖ gibt es einige Überschneidungen – so viele, dass vermutet wurde, die IV hätte an den freiheitlichen Positionen mitgearbeitet.
Kritiker haben allerdings nicht vergessen, dass gegen Sebastian Kurz nach wie vor ermittelt wird. Und auch Sebastian Kurz hat einige – finanzielle – Gründe, die gegen sein Comeback sprechen.
Über das Waldviertel ins Silicon Valley
Viel Zeit verging zwischen Kurz' Abgang im Dezember 2021 und seinem Wechsel in die Privatwirtschaft nicht. Am 25. Jänner 2022 ging der Ex-Kanzler unter die Unternehmer und gründete eine Beratungsfirma: die SK Management GmbH mit Sitz in Burgschleinitz im Waldviertel. Nicht unüblich, dass Ex-Politiker ihr aufgebautes Netzwerk für Geschäftsanbahnungen, Vermittlungs- oder Beratungsleistungen versilbern.
Rund um den Jahreswechsel 2021/22 wurde zudem bekannt, dass der junge Alt-Kanzler diese Leistungen künftig auch für den US-Unternehmer und Trump-Anhänger Peter Thiel als „Global Strategist“ erbringen wird. Thiel gilt als Größe im Silicon Valley. Nicht nur, weil er 1998 die Vorgängerfirma von PayPal gründete, er war 2004 auch der erste Investor des Social-Media-Dienstes Facebook.
Dass dem Ex-Kanzler die Kontakte aus seiner Zeit als Spitzenpolitiker wirtschaftlich von Nutzen sein werden, zeigt sich ein dreiviertel Jahr später, als im September 2022 Alexander Schütz über seine AS²K Beteiligungs GmbH mit 50 Prozent der Geschäftsanteile bei Kurz einstieg. Eva Schütz, die Ehefrau des ÖVP-Großspenders und Ex-Wirecard-Aufsichtsrats Schütz, war zwischen 2018 und 2019 als stellvertretende Kabinettschefin im Finanzministerium tätig und gilt als Mitgründerin des ÖVP-nahen Medienportals „Exxpress“. Der Name Kurz und seine möglichen Ambitionen finden sich in der dortigen Berichterstattung in regelmäßigen Abständen wieder. Das Ehepaar Schütz ist aber längst nicht die einzige wirtschaftliche Verbindung zurück in die Zeit als Spitzenpolitiker.
Millionengeschäft am Stubenring
Spätestens mit Ende des Jahres 2022 teilten sich Kurz und seine früheren Vertrauten auch wieder ein Büro. Nicht nur die SK Management GmbH operiert mittlerweile vom Stubenring – unweit des Wiener Stadtparks – aus. Auch die Firmen von Ex-Finanzminister und Kurz-Vertrauten Gernot Blümel (ÖVP) und Ex-Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) haben ihren Hauptstandort an der Adresse in der Wiener Ringstraße. Ebenfalls mit von der Partie am Stubenring ist der ehemalige Kanzlersprecher Viktor Niedermayr, der bis November 2022 im Bundeskanzleramt als Pressesprecher tätig war. Wirtschaftliche Verflechtungen geht Kurz außerdem mit seinem ehemaligen Kabinettschef Bernhard Bonelli ein. Im Jänner steigt Bonelli über seine Cocoon Capital Advisory GmbH bei Kurz ein. Im April 2024 gründen sie gemeinsam die GREG Beteiligungs GmbH.
Der Blick ins Firmenbuch zeigt aber nicht nur, wie eng Sebastian Kurz nach wie vor mit seinen damals engsten Vertrauten arbeitet. Ein Blick auf die jüngste Jahresbilanz der SK Management GmbH offenbart zudem, dass die Geschäfte des Ex-Kanzlers gut laufen: Nach 1,9 Millionen Euro Gewinn im Geschäftsjahr 2022 verdoppelte sich dieser 2023 auf 3,94 Millionen Euro.
Bis auf Weiteres wird Kurz also Privatier bleiben – und die ÖVP weiter nach Optionen suchen. Denn auch andere Personen sagten nach profil-Informationen ab: Karoline Edtstadler soll sich genauso wie Wolfgang Hattmannsdorfer, Generalsekretär der Wirtschaftskammer, zieren. Während die ÖVP-Spitzen im Bundeskanzleramt tagten, machte im politischen Wien Meldungen über einen Kompromiss-Kandidaten die Runde. Christian Stocker, derzeit Generalsekretär der ÖVP, wird interimistisch die Partei übernehmen.