„Diesmal bekommt meine Stimme die FPÖ“
Von Natalia Anders und Daniela Breščaković
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„Des is mei Lond“, sagt Yaşar Batman, wenn er anfängt, über Politik zu sprechen. In der Hand eine Tasse Çay, in der Brusttasche eine Packung Zigaretten. Das Wienerische hat seinen Akzent vollständig verdrängt. Fast jeden Tag sitzt der gebürtige Türke am Brunnenmarkt beim Käsestand eines befreundeten Standlers. Hier gibt es Nüsse, Trockenfrüchte, eingelegtes Gemüse. Nur den „Vorarlberger Käse“, der in verblassten Großbuchstaben als Schriftzug auf der Markise prangt, sucht man vergeblich.
Batman stört das nicht weiter. So nennen ihn übrigens alle in und außerhalb von Ottakring, sagt er, „wie der aus dem Fernsehen“. Doch bis auf den Namen hat der 64-Jährige nichts mit dem Antihelden gemein. Das wird schnell klar, sobald er zu erzählen beginnt. Er greift in einen der Plastikbehälter, nimmt eine Handvoll gerösteter Kichererbsen heraus und sagt: „I hob mei Leben long goabeitet, mei Leistung erbrocht, und heuer wähl i die FPÖ.“
FPÖ wirbt um Muslime
Dass Menschen mit Migrationsgeschichte rechts wählen, ist nicht neu. Schon FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache buhlte um Stimmen in der serbischen Community. Er ließ sich mit der nationalistischen Turbo-Folk Sängerin Ceca ablichten, heuchelte Interesse der FPÖ in der Kosovo-Frage vor. Dass die Freiheitlichen nun allerdings gezielt Muslime umwerben und gleichzeitig Stimmung gegen sie machen, kannte man so bisher noch nicht.
Vor zwei Monaten erscheint auf der Facebook-Seite von FPÖ-Chef Herbert Kickl ein knapp zweiminütiges Video, in dem ein junger Mann namens Christopher, offenbar mit türkischen Wurzeln, andere Austrotürken mobilisieren soll, für die FPÖ zu stimmen. Er spricht darüber, dass sich junge Frauen „keine Sorgen“ machen sollten, nachts unterwegs zu sein. Erinnert im selben Atemzug an die Bandenkriege und Messerstechereien. Dass man Einheimische „besser“ behandeln müsse als „Ausländer“ oder „Flüchtlinge“.
Mehr als 160.000 Menschen haben sich das Video angesehen und kommentiert. Die meisten davon Männer: „Ich habe schon zum zweiten Mal FPÖ gewählt“, schreibt einer. Dahinter setzt er ein Emoji der Türkeiflagge, einen Wolf und eine Hand, den Zeigefinger und kleinen Finger in die Höhe gestreckt. Was eigentlich die „mano cornuta“, die gehörnte Hand, zeigt und oft auf Metalkonzerten zu sehen ist, steht hier für den rechtsextremen Wolfsgruß.
Onur kennt das Video nicht, trotzdem will er heuer das erste Mal die FPÖ wählen. Der 35-jährige Projektmanager heißt eigentlich anders und möchte nur anonym mit profil sprechen: „Ich habe bei den letzten Nationalratswahlen die Bierpartei gewählt und davor immer die SPÖ. Diesmal bekommt meine Stimme die FPÖ.“ Was im Parteiprogramm steht, weiß er nicht, er möchte es auch nicht wissen. Onur, der in Wien geboren ist, engagiert sich in einem türkischen Kulturverein und beobachtet verärgert, wie türkischstämmige Grünen- und SPÖ-Politikerinnen und Politiker kurz vor den Wahlen seinen Verein besuchen, um so die Diaspora davon zu überzeugen, für sie zu stimmen. Nach den Wahlen würde von ihren Versprechen aber nichts übrig bleiben. Deswegen will er sein Kreuzerl bei den Freiheitlichen machen, von ihnen erhofft er sich Veränderung.
Das Ergebnis der großen profil-Umfrage:
Genauso wie Yaşar Batman. Er glaubt Parteiobmann Herbert Kickl, wenn dieser davon spricht, dass man „Ausländer“, die nicht arbeiten wollen oder kriminell werden, in ihre Heimatländer deportieren oder am besten erst gar nicht „hineinlassen“ soll. Batman meint damit Syrer, Afghanen oder Iraker, die seit 2015 aus dem arabischen Raum nach Österreich geflüchtet sind. Dass dieselbe Partei vor rund 30 Jahren genau das Gleiche für türkischstämmige Menschen gefordert hat, sieht er nicht so. Trotzdem hat er früher jahrelang die SPÖ gewählt. Irgendwann war er kein Einwanderer mehr und die SPÖ nicht mehr die Partei, die seine Probleme verstanden hat, meint Batman.
In den 1970er-Jahren, damals war er 16 Jahre alt, ist er gemeinsam mit seiner Mutter und seinem älteren Bruder von Kayseri, einer Stadt in Zentralanatolien, nach Wien in die Brunnengasse gekommen, wo er bis heute mit seiner Frau lebt. Die beiden Söhne sind mittlerweile ausgezogen.
Nurten Yilmaz
Die ehemalige SPÖ-Nationalratsabgeordnete weiß um die Diskussionen am Brunnenmarkt Bescheid. "Den Menschen geht es gleich", sagt Yilmaz, "sie haben Angst, dass ihr Lebensraum weggenommen wird".
Der Brunnenmarkt wurde mit den Jahren zu jenem Ort, der beispielhaft für die Diskussion über Migration und demografischen Wandel in Österreich steht. Das, was dort passiert, findet seit Jahrzehnten statt, weiß
die ehemalige SPÖ-Nationalratsabgeordnete Nurten Yılmaz: „Zuerst kamen die Österreicher zu mir und haben sich über die Türken beschwert. Später kamen die Türken und haben sich über die Syrer beschwert. Es geht allen gleich. Die Menschen haben Angst, dass ihnen ihr Lebensraum weggenommen wird.“
Wer sind die Migrantinnen und Migranten, die die Ansichten der FPÖ unterstützen? Und warum? „In erster Linie ist es keine homogene Gruppe“, sagt Vedran Džihić, Politikwissenschafter an der Universität Wien. Menschen mit Migrationshintergrund wählen nicht
alle gleich, sondern haben unterschiedliche politische Ansichten – genau weiß man es aber nicht. Konkrete Daten sind keine vorhanden, weil die ethnische Herkunft bei Umfragen nicht abgefragt wird. Über das Wahlverhalten von Zugewanderten ist wenig bekannt, vermutet wurde bisher eine gewisse Tendenz zur SPÖ, auch weil viele Arbeiter Migrationshintergrund haben.
© Privat
Muhammed Yüksek
Der türkischstämmige SPÖ-Bezirksrat in Wien Favoriten ortet seit längerem einen Rechtsruck in seiner Community.
Muhammed Yüksek
Der türkischstämmige SPÖ-Bezirksrat in Wien Favoriten ortet seit längerem einen Rechtsruck in seiner Community.
Der türkischstämmige SPÖ-Bezirksrat in Wien-Favoriten Muhammed Yüksek spürt schon länger den Rechtsruck in seiner Community: „Einige junge Menschen, die keinen sozialen Aufstieg erlebt haben, sagen, dass sie die FPÖ wählen werden, weil sie denken, so wird sich etwas ändern.“ Yüksek versucht vor allem diese Zielgruppe in seinem Bezirk anzusprechen: „Türkische FPÖ-Wähler vergessen oft, dass es in der Vergangenheit auch gegen Türken eine ausländerfeindliche Haltung gab.“ So wurde die Plakatkampagne „Daham statt Islam“ für die Nationalratswahl 2006 mit Spitzenkandidat Heinz-Christian Strache vom jetzigen FPÖ-Chef Herbert Kickl entwickelt. Neben der FPÖ gibt es aber auch andere Parteien, die aktiv muslimische Wählerinnen ansprechen wollen, darunter die Liste Gaza. Geführt von antiisraelischen Aktivistinnen und Aktivisten sowie der Anwältin Astrid Wagner.
© Joanna Pianka
Vedran Džihić
Für den Politikwissenschafter ist das Vorgehen der FPÖ eine taktische Maßnahme, um sich selbst aus der Kritik zu nehmen, islamfeindlich zu sein.
Vedran Džihić
Für den Politikwissenschafter ist das Vorgehen der FPÖ eine taktische Maßnahme, um sich selbst aus der Kritik zu nehmen, islamfeindlich zu sein.
Wie konnte es überhaupt so weit kommen?
Suad Butković ist gebürtiger Bosniake und kam Anfang der 1990er-Jahre nach Ausbruch des Jugoslawienkrieges zuerst nach Obervellach in Kärnten, heute betreibt er ein Wirtshaus in der Nähe des Meidlinger Markts im 12. Wiener Bezirk. Vor sechs Monaten ist er der FPÖ beigetreten. Dass seine Partei islamfeindliche Parolen verbreitet, stört den 57-Jährigen nicht: „Ich glaube, es gibt einzelne Akteure, die zu wenig über den Islam wissen. Deswegen ist es gut, dass Menschen wie ich oder andere Muslime der Partei beitreten“, sagt Butković. Er kritisiert, wie sich der Islam in den letzten Jahren verändert hat. Insbesondere in Wien: „Ich halte es für eine Provokation, wenn sich jemand am helllichten Tag oder mitten in der Nacht am Gehsteig hinkniet und zu beten anfängt.“
© Wolfgang Unger
Suad Buktović
Der gebürtige Bosniake ist Anfang der 1990er-Jahre nach Ausbruch des Jugoslawienkriegs nach Österreich gekommen, seit einem halben Jahr ist er Parteimitglied der FPÖ. Er findet es wichtig, dass mehr Muslime der Partei beitreten.
Suad Buktović
Der gebürtige Bosniake ist Anfang der 1990er-Jahre nach Ausbruch des Jugoslawienkriegs nach Österreich gekommen, seit einem halben Jahr ist er Parteimitglied der FPÖ. Er findet es wichtig, dass mehr Muslime der Partei beitreten.
Die Freiheitlichen nutzen die Unzufriedenheit der Migrantinnen und Migranten. „Durch das Herausstreichen der ‚guten Muslime‘ nimmt sich die FPÖ praktisch aus der Kritik. So kann ihnen niemand vorwerfen, nur das christliche weiße Volk zu vertreten. Es ist eine taktische Maßnahme, sich gegen den Vorwurf der Islamfeindlichkeit zu wehren“, sagt Politikwissenschafter Vedran Džihić. Gleichzeitig, sagt er, sollten sich die Regierungsparteien und die SPÖ, einstige Einwandererpartei, die Frage stellen: Wie konnte es überhaupt so weit kommen?
Auf Yaşar Batman wartet nach jahrzehntelanger Arbeit als Schweißer im nächsten Jahr die Pension. Ob das der langersehnte Moment ist, wieder in die alte Heimat zurückzukehren? „Na, wieso?“, fragt der 64-Jährige verdutzt. Die Türkei ist zum Urlaub machen da, Österreich zum Leben.
Natalia Anders
ist Teil des Online-Ressorts und für Social Media zuständig.
Daniela Breščaković
ist seit April 2024 Innenpolitik-Redakteurin bei profil. War davor bei der „Kleinen Zeitung“.