Österreich

Femizide: Warum Österreich bei der Gewaltprävention aufholen muss

Die Zahl an Frauenmorden war im ersten Halbjahr 2023 leicht rückläufig, nachdem sie in den Jahren davor ein Rekord-Hoch erreicht hatte. Trotzdem hat Österreich bei der Gewaltprävention noch viel Aufholbedarf, mahnt Expertin Rösslhumer von den Frauenhäusern.

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„Kann es sein, dass ihr zwei ein bisserl deppert seid’s?“ Ein Telefonat zwischen einem Polizisten und einer Wienerin sorgte im Juni 2023 für Entsetzen. Die Frau wurde von ihrem Ex-Partner vor der eigenen Wohnung überrascht und bedroht – trotz ausgesprochenem Betretungs- und Annäherungsverbot. Die Frau wählte den Notruf, schilderte die Situation und wurde vom Polizeibeamten an der Leitung mit eben diesem Satz abgewimmelt, weil sie zu „hysterisch“ gewesen sein soll. Das hatte dramatische Folgen – sie wurde von ihrem Ex-Partner mit dem Messer angegriffen und überlebte die Attacke nur knapp.

Nach dem Vorfall, der sich im Jänner vergangenen Jahres ereignete, wurde dem Polizeibeamten seitens der Disziplinarbehörde nun eine Geldstrafe von 8.000 Euro verhängt. „Das ist nicht ausreichend und passiert leider nicht zum ersten Mal“, kritisiert die Geschäftsführerin der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser (AÖF), Maria Rösslhumer im Gespräch mit profil das Vorgehen der Polizei.

Dieser Fall steht sinnbildlich für die immer wiederkehrende Diskussion über Gewalt an Frauen.

Leichter Rückgang an Femiziden, Mordversuche nehmen zu

Im ersten Halbjahr 2023 starben zwölf Frauen durch einen Femizid (Stand Juni), 22 überlebten den Mordversuch nur knapp, im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren es 18 Frauenmorde und 19 Versuche – die Zahl der Todesopfer ist also leicht zurückgegangen, die Anzahl der Mordversuche stieg jedoch an. Ein Grund zur Entwarnung ist das für Rösslhumer nicht: „Jede Frau, die ermordet wird, ist eine zu viel.“

Im EU-Vergleich ist klar ersichtlich: In nur wenigen anderen Ländern werden statistisch gesehen, so viele Femizide ausgeübt, wie hierzulande. Seit Jahren werden in Österreich mehr Frauen als Männer umgebracht. Der Grund? „Nicht genügend Konsequenzen für Täter und eine tiefsitzende Frauenverachtung“, findet Rösslhumer.

Ganz untätig war die Bundesregierung nicht. Als Reaktion auf öffentliche Empörung über brutale Frauenmorde, stellte das Frauenministerium unter Susanne Raab (ÖVP) 2019 ein Gewaltpräventionspaket vor, das 2021 schließlich umgesetzt wurde. Doch laut Fachleuten gibt es eklatante Schwächen.

Gewaltpräventionstrainings reichen nicht

Das Paket sieht unter anderem vor, dass Männer die der Polizei als gewaltbereit bekannt sind, eine sechsstündige, verpflichtende Beratung besuchen. Diese Maßnahme ist zwar besser als nichts, laut Rösslhumer jedoch nur „ein Tropfen auf dem heißen Stein“.

Ein gewaltbereiter potenzieller Täter würde sein toxisches Verhalten innerhalb von sechs Stunden sicher nicht ändern, sagt die Expertin. Obwohl der Besuch dieser Beratung verpflichtend ist, gebe es keine wirklichen Konsequenzen, sollte die gewaltbereite Person nicht zu der Beratung erscheinen. „Es werden Geldstrafen verhängt, die unserer Erfahrung nach oft die Angehörigen bezahlen“, so Rösslhumer. Die Bußen betragen laut dem Innenministerium bis zu 2.500 Euro.

Die Autonomen Frauenhäuser kritisieren außerdem, dass auch Frauen, die der Polizei als gewaltbereit bekannt sind, in den Beratungsstunden zusammen mit Männern sitzen: „Das sind meistens Frauen, die sich in Auseinandersetzungen selbstverteidigt haben. Diese Personen zusammen mit gewaltbereiten Männern in einen Trainingsraum zu setzen, ist kontraproduktiv und gefährlich.“ Sinnvoller wäre es ihrer Meinung nach, die Schulungen auszuweiten, genauer zu bearbeiten und auf mindestens acht Monate zu verlängern.

Laut der Pressestelle des Innenministeriums soll eine durch die Fachhochschule Campus Wien durchgeführte Evaluierung beweisen, dass die Gewaltpräventionskurse und ihre Dauer von den Teilnehmern als geeignet bewertet werden. Potenzielle Gefährder hätten außerdem die Möglichkeit, freiwillig ein weiterführendes Anti-Gewalt-Training zu besuchen.

Gewaltschutzzentren würden mit den Opfern Kontakt aufnehmen und diese beraten, heißt es vom Innenressort.

Feministische Männer gesucht

Opfer haben es schwer, Gehör zu finden. Oft ist die Rede davon, Frauen sollten ihr Verhalten, ihre Kleidung und ihr Auftreten anpassen, um nicht Opfer von Gewalt zu werden – diese Darstellung geht laut Experten am Problem vorbei, weil es die Täter ausnimmt. „Es braucht verstärkt Workshops an Schulen und ein neues Männerbild. Wir benötigen dringend mehr feministische Männer, die ein Vorbild für andere sind“, findet Rösslhumer. Denn was fehle, sind Männer, die ihr Verhalten überdenken und Frauen nicht das Gefühl geben, sie müssten sich anpassen oder fürchten.

Täter-Opfer-Umkehr

Ein Instagram-Posting von ÖVP-Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm geriet in die Kritik, weil es vor allem potenzielle Opfer in die Pflicht nahm. Es war zwar gut gemeint, aber holprig umgesetzt. Zum Thema K.O.-Tropfen in Getränken von jungen Frauen schrieb sie: „Mein Appell ist: Lieber einen Drink mehr wegschütten, weil man kurz nicht aufgepasst hat.“ AÖF-Geschäftsführerin Rösslhumer: „Männer werden außen vorgelassen. Man muss ihnen klar machen: Jemandem K.O.-Tropfen in sein Getränk zu schütten ist eine schwerwiegende Straftat.“

Als Positivbeispiel gilt die aktuelle Kampagne des Sozialministeriums „Mann spricht’s an, #sagwas“. Mit verschiedenen Plakatierungen und einprägsamen Sprüchen, wie „Bro, dein Platz hört da auf, wo ihrer anfängt“, gibt das Ministerium Männern Tipps, was zu tun ist, sollten sie auf Gewalt aufmerksam werden. „Gewalt gegen Frauen beginnt bei abwertenden Kommentaren oder aufdringlichem Verhalten – und endet im schlimmsten Fall bei Femizid“, heißt es seitens des Ministeriums.

Performances gegen Femizide

So eine Wirkung will auch das Theaterkollektiv Hybrid entfalten, das vergangene Woche an fünf Tagen mit diversen Performances und Podiumsdiskussionen durch Wien zog und auf geschlechtsspezifische Gewalt aufmerksam machen wollte. „Wir fordern eine viel größere staatliche Finanzierung für Anti-Gewalt-Kampagnen und Fortbildungen, sowie Workshops, um gegen systematisches Frauenmorden vorzugehen“, erzählt die künstlerische Leiterin und Menschenrechtsaktivistin Mahsa Ghafari im Gespräch mit profil.

Was braucht es hierzulande, um die Zahl an Frauenmorden zu reduzieren? Viel Aufklärungsarbeit – insbesondere für Kinder und Jugendliche, ein höheres Budget für vermehrte Präventionsarbeit und ein verändertes Narrativ. Keine leichte Übung also.

Wichtige Hilfsangebote für Betroffene von Gewalt

Frauenhelpline gegen Gewalt:

0800 222 555

HelpCh@t:

www.haltdergewalt.at

Notrufnummer für Gehörlose:

 SMS an 0800 133 133

Natalia Anders

Natalia Anders

ist Teil des Online-Ressorts und für Social Media zuständig.