Volksschullehrerin Ilkay Idiskut, Dokumentarfilmerin Ruth Beckermann, Bildungsminister Martin Polaschek.
Streitgespräch

Was tun, wenn in Schulklassen kein Kind richtig Deutsch spricht?

„In Gegenden wie Favoriten brennt der Hut, wir wollen keine Ghettos", sagt Ruth Beckermann, die drei Jahre in einer Volksschule in Favoriten filmte. Lehrerin Ilkay Idiskut steht allein in der Klasse und verzweifelt. profil bat zum Gespräch mit Bildungsminister Martin Polaschek. Es verlief hitzig.

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profil: Der Film „Favoriten“ zeigt eine Brennpunkt-Volksschule. 25 Kinder, keines davon hat als Muttersprache Deutsch, die um Wörter ringen und Aufgaben nicht verstehen. War der Film ein Aha-Erlebnis, wie es in Schulen zugeht?

Polaschek: Ich besuche mindestens an einem Tag pro Woche Schulen, mir sind solche Fälle bekannt. Sie arbeiten im Film Probleme heraus – es ist wichtig, über die gesellschaftspolitischen Konsequenzen daraus zu reden.

Beckermann: Wäre ich Politikerin, würde ich Lösungen finden. Wir haben in einer der größten Volksschulen gedreht. Probleme mit Klassen voller Kinder, die nicht Deutsch sprechen, gibt es in allen Städten. Viele Kinder sind intelligent, verstehen aber Texte etwa bei mathematischen Beispielen nicht. Wir als Staat lassen diese Kinder zurück. In anderen Ländern findet man Lösungen, in Österreich nicht. Daran sind alle Bildungsminister der letzten 50 Jahre schuld – Sie eingeschlossen. Weil Sie es nicht wagen, das System zu verändern.

Polaschek: Ich tue alles, um es zu verändern. So haben wir im ersten Schritt Deutschförderklassen eingeführt.

Idiskut: Wissen Sie, wie Deutschförderklassen in der Praxis aussehen? Sie sind total überfüllt, viele Kinder haben viel Förderbedarf, weil sie null Deutsch sprechen oder nicht alphabetisiert sind. Aber es steht nur eine Lehrperson drin. Dort lernen die Kinder wenig.

Polaschek: Die Deutschförderklassen sind ein erster wichtiger Schritt, um Kindern Basiskenntnisse in Deutsch zu vermitteln. Wir müssten gerade etwa syrische Flüchtlingskinder, die jetzt kommen, in eigene Klassen geben. Und ja, ich weiß, wie Deutschförderklassen in der Praxis aussehen, weil ich öfter welche besucht habe. Und ich teile Ihre Einschätzung nicht, dass die Kinder dort wenig lernen.

Beckermann: Herr Minister, wir dürfen uns doch nicht auf syrische Flüchtlinge ausreden. In der Klasse in Favoriten, in der wir drei Jahre filmten, sind Kinder, die in der dritten Generation da sind. Das sind hiesige Kinder.

Polaschek: Ich bin sofort für mehr Sprachförderung vor der Schule.

Idiskut: Viele von unseren Schulkindern sind in Österreich geboren und können nicht richtig Deutsch.

profil: Man sieht im Film, wie Sie zu Schulbeginn erfahren, dass es keine Sozialarbeiterin und keine Teamlehrerin gibt. Fühlen Sie sich allein gelassen?

Idiskut: Ich kann im Namen vieler Lehrerinnen und Lehrer reden: Vor allem im Pflichtschulbereich fühlen wir uns extrem im Stich gelassen. Wir erfüllen Funktionen als Troubleshooter. Wir können teilweise gar nicht mehr unterrichten, weil es so viele Probleme gibt. Wir bräuchten dringend multiprofessionelle Support-Teams an allen Schulen.

Beckermann: Das ist eine Schande, dass Österreich, eines der reichsten Länder, Lehrer so wenig unterstützt und Kinder zurücklässt.

Die Kinder spüren extremen Druck, viele weinen, weil sie es nicht ans Gymnasium schaffen.

 

Volksschullehrerin Ilkay Idiskut

profil: Auch die OECD fordert, dass Österreich schwächere Schüler besser unterstützt.

Polaschek: Österreich gibt sehr viel Geld für Schulen und Lehrkräfte aus, besonders viel für Kleinschulen mit teils 25 Kindern pro Schule.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin