Beate Meinl-Reisinger
Regierungsbildung

Der Chef entscheidet – oder alle: Wer bei den Parteien über Koalitionen bestimmt

Sollten Schwarz-Rot-Pink sich auf eine Koalition einigen, braucht diese noch den Sanctus. In jeder Partei aber von unterschiedlichen Personen.

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Bei der ÖVP ist die Sache klar, vor allem seit dem Jahr 2017: Als die Volkspartei Sebastian Kurz zu ihrem Chef wählte, sicherte sie ihm auch weitreichende Rechte zu. Seitdem hat der Bundesparteiobmann (oder, sollte es sie irgendwann geben: die Bundesparteiobfrau) das letzte Wort über eine Regierungsbeteiligung. Laut Statut übt die Parteispitze die Nominierungsrechte in Zusammenhang mit einer Beteiligung der ÖVP an einer Bundesregierung aus und trifft die entsprechenden Entscheidungen in Personalfragen“. Das bedeutet, dass der Obmann über Regierungsmitglieder und Staatssekretärinnen und Staatssekretäre entscheidet. Kurz nutzte seine Rechte ohne große Rücksicht auf Länder- oder Teilorganisationen. So kam es dazu, dass es in seinen Regierungen viele politische Quereinsteiger gab. Unter Christian Stocker ist damit eher nicht zu rechnen. 

Bei allen anderen Entscheidungen bleibt das Statut vage: Dem Bundesparteivorstand – also dem Gremium, das die höchsten Funktionäre umfasst – wird die „Beschlussfassung in all jenen Personalangelegenheiten, in denen politischen Parteien ein Vorschlagsrecht zukommt“ zugesprochen, wenn sie nicht explizit beim Bundesparteichef liegen. Zuletzt hatte sich Stocker dennoch immer wieder das Pouvoir des Parteivorstandes geholt, um zum Beispiel Regierungsverhandlungen mit Herbert Kickl zu führen. 

SPÖ: Der Vorstand entscheidet 

Sollten ÖVP, SPÖ und Neos eine Koalition eingehen, würde die Zusage von der ÖVP also sehr schnell und problemlos erfolgen. Die drei Parteien haben allerdings völlig unterschiedliche Prozesse, um eine Regierung einzugehen. Andres Babler wollte in der SPÖ eine Mitgliederbefragung über Regierungsabkommen durchsetzen, allerdings legte sich die Wiener Landespartei quer. Nun ist grundsätzlich der Bundesparteivorstand dafür zuständig, der Aufnahme und dem Abschluss von Koalitionsverhandlungen abzustimmen. Allerdings kann der Vorstand auch beschließen, die Mitglieder über ein Regierungsabkommen entscheiden zu lassen. Damit der Entscheid über ein Koalitionsabkommen verbindlich ist, bedarf es der Teilnahme von mindestens 20 Prozent der Mitglieder, die mit einfacher Mehrheit entscheiden", heißt es dazu im SPÖ-Statut. 

Die Neos sind die Partei, die Basisdemokratie am stärksten auslebt – sogar im Vergleich zu den Grünen. 2020 stimmten die knapp 200 Delegierten auf dem Bundeskongress (so nennen die Grünen ihren Parteitag) über das Regierungsabkommen mit der ÖVP und die Regierungsmitglieder ab (damals übrigens mit großer Zustimmung, mehr als 93 Prozent sprachen sich für Türkis-Grün aus). Bei den Neos entscheiden allerdings nicht nur Delegierte, sondern alle Mitglieder über eine allfällige Regierungsbeteiligung. In dringenden Fällen kann der Erweiterte Vorstand der Partei zu einer kurzfristigen Mitgliederversammlung einladen, allerdings mit einer Vorlaufzeit von mindestens einer Woche, zur Not kann so eine Versammlung auch digital abgehalten werden. Die Mitglieder entscheiden jedenfalls über „Vereinbarungen (insbesondere betreffend Kooperationen, Wahlbündnisse und Koalitionen) mit anderen politischen Parteien“. Zwei Drittel der abgegebenen gültigen Stimmen müssen für die Koalition sein. Mindestens 50 Mitglieder müssen prinzipiell abstimmen, damit die Wahl gültig ist. 

Auch die ÖVP kennt Basisdemokratie am Papier

Basisdemokratie ist übrigens auch in der ÖVP vorgesehen, allerdings gibt es bis jetzt keine Anzeichen dafür, dass sie die Mitglieder nutzen wollen. Eine Urabstimmung zu „wichtigen Fragen“ ist dann vorgesehen, wenn es zwei Drittel des Bundesparteivorstandes verlangen oder zehn Prozent aller Mitglieder verlangen. 

Iris Bonavida

Iris Bonavida

ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.