Asylunterkunft in Drasenhofen: Wer sind die angeblichen Unruhestifter?
Ungeheuerliches kommt dem niederösterreichischen FPÖ-Landesrat Gottfried Waldhäusl öfter über die Lippen. Dieses Mal erwischte es Nuri*, 17. Der Afghane soll – so der blaue Politiker gegenüber Medien – eine Krankenschwester „halb tot geschlagen“ haben.
Wie ein Verdikt hängen die Worte seither über dem zaundürren Burschen, der vergangenen Mittwoch in einer Konditorei in Maria Enzersdorf sitzt, fünf Gehminuten vom Caritas Haus St. Gabriel entfernt. Sein Freund Farid* ist mitgekommen und bestellt eine Kardinalschnitte. Nuri hingegen will weder essen noch trinken. Fragil sei er und manchmal tieftraurig, sagt seine Betreuerin. Beim Reden hält er die Hand vor den Mund, wodurch seine ohnehin leisen Sätze noch schwerer zu verstehen sind.
Nuri und Farid sind zwei von 16 „notorischen Unruhestiftern“, die FPÖ-Asyl-Landesrat Waldhäusl in eine stacheldrahtbewehrte Unterkunft in Drasenhofen schaffen ließ. Dort wurden sie auf Schritt und Tritt von Securities bewacht – bis sich Protest regte. Eine Woche später war die Einrichtung geschlossen.
Was sie brauchen, ist das, „was alle brauchen"
Die Caritas nahm die Burschen auf. Muss man sich vor ihnen fürchten? profil traf Nuri und einige andere, aber auch Unterstützer und Betreuer. Ein paar der Burschen haben tatsächlich einiges auf dem Kerbholz: Körperverletzung, Sachbeschädigung, Nötigung, Raufhandel, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Suchtmitteldelikte. Einige sind unbescholten.
„Schwierig“ aber sind sie alle. Was sie brauchen, ist das, „was alle brauchen: Menschen, die sich ihnen mit aufrichtigem Interesse zuwenden“, sagt Martin Schelm. Er ist ein alter Hase im „langsamen Geschäft der Pädagogik“ und betreut in der Caritas mehrere Quartiere für unbegleitete Minderjährige. Vergangene Woche stand er im Haus St. Gabriel in der Küche und erklärte mit illusionsloser Milde, dass die Burschen hier „nicht in zwei Wochen brav werden“. Manchmal müsse man „Trauriges einfach aushalten“, doch er hoffe darauf, dass sie sich „irgendwann, vielleicht erst in zehn Jahren, daran erinnern, dass es Menschen gab, denen sie nicht egal waren“.
Narbe und Nebel
In der Konditorei in Maria-Enzersdorf zeigt Nuri seine Narbe. Sie läuft quer über seinen Unterarm. Seine Eltern hatten Afghanistan, das Land, in dem er geboren wurde, verlassen, als er ein Jahr alt war. Im Iran ging der Bub acht Jahre lang in die Schule, als einziges von fünf Geschwistern. Allein machte er sich danach auf den weiten Weg. Damals war er 15.
Vor zwei Jahren trank Nuri in einem Park in Wien-Meidling eine Flasche Wodka aus, zerschlug die Flasche und schnitt sich mit einer Scherbe. Zwei Freunde fanden ihn, drückten seinen Pullover auf die Wunde und brachte ihn ins Spital. Was dort passierte, verliert sich laut Nuri in einem Nebel. Seine Freunde sagen, er habe um sich geschlagen und dabei einer Krankenschwester, die ihn verarzten wollte, einen Finger gebrochen. Ein Gericht verurteilte Nuri zu einem halben Jahr Gefängnis und 3000 Euro Schmerzensgeld; in der zweiten Instanz wurde die Haft aufgehoben, von der Geldbuße blieb ein Drittel übrig. Davon hat er inzwischen 700 Euro abgestottert. Er würde der Krankenschwester gern sagen, wie leid es ihm tue, beteuert er.
Sein Freund Farid – Kapuzenjacke, schwarze Sporthose, ausrasierte Schläfen – hatte mit Drogen zu tun. Als er mit 14 nach Österreich kam, konnte er ohne Anlass in Rage geraten. Whisky beruhigte ihn. Er kaufte den billigsten im Supermarkt. Irgendwann habe er jeden Tag eine Flasche getrunken. Nun ist er bald 18 und verbittet sich Belehrungen: „Was haben andere Leute in ihrem Leben schon an Schwierigkeiten gehabt? Ich hatte so viele.“ Als sein Magen rebellierte, hätten Freunde ihn auf die Idee gebracht, einen Joint zu rauchen, statt zu trinken. Es wurden dann immer mehr.
„Warum muss ich hier weg?“
Vor eineinhalb Jahren fand er sich am Praterstern von Polizisten umringt. „Was machst du hier?“ – „Ich chille mit Freunden.“ – „Was hast du dabei?“ Er gab ihnen das Haschisch, das er bei sich trug. Es war Farids Glück, dass er zu dieser Zeit Alfred Collmann über den Weg lief. Der IT-Unternehmer aus dem niederösterreichischen Unterhautzental kümmert sich seit drei Jahren um Flüchtlinge. Collmann begleitete Farid zum Bewährungshelfer, zur Suchtberatung, füllte Unmengen von Zetteln mit ihm aus und wurde zu einem Menschen, dem Farid „nicht egal“ ist. Vergangene Woche kam der Anruf der Bezirksrichterin: Das Verfahren wird eingestellt, weil der Bursche alle Auflagen erfüllt.
„Warum muss ich hier weg?“, rief Farid, als ihm die Leiterin des Flüchtlingsheimes in Unterhautzental erklärte, dass er nach Drasenhofen gebracht werde. Collmann beschwor ihn, sich nicht zu widersetzen, „sonst holen sie womöglich die Polizei“. Also stieg Farid in den Bus der Security-Firma, bemerkte, dass die Türen von innen nicht zu öffnen waren, und befürchtete schon das Schlimmste – die Abschiebung nach Afghanistan.
Nach einer Stunde Fahrt habe er Stacheldraht und Kameras gesehen. Drinnen konnte man kein Fenster öffnen. Trotzdem sei es einem Burschen gelungen, aus dem zweiten Stock zu springen. Danach liefen fünf weitere weg. Farid blieb, weil Collmann ihm eingeschärft hatte, „keinen Blödsinn zu machen“.
„Jugendliche herumsitzen zu lassen, ist keine gute Idee“
Vergangene Woche konferiert in der Caritas-Unterkunft in Maria Enzersdorf eine Runde. Der Bürgermeister sitzt am Tisch, die Polizei, eine Vertreterin der Bezirksbehörde und Klaus Schwertner, Generalsekretär der Caritas Wien. „Klar haben wir Jugendliche, die Mist gebaut haben, und klar macht sich die Bevölkerung Sorgen“, sagt Schwertner: „Wir arbeiten in Österreich gerade die Gewalt in staatlichen und kirchlichen Heimen der Nachkriegsjahrzehnte auf. Wir können doch nicht gleichzeitig Jugendliche hinter Stacheldraht stecken.“
Als das Gespräch in der Konditorei auf die Securities in Drasenhofen kommt, schaut Nuri hilfesuchend zu seiner Betreuerin Dorothea Blancke. Er will die Sprüche der Sicherheitsleute nicht wiederholen. Oft sei es um „Schwänze“, „Frauen und so“ gegangen, sagt sein Freund Farid. Einen Burschen, der in der Küche nach Essen fragte, hätten sie als „Hurensohn“ beschimpft. Die Flüchtlingshelfer Collmann und Blancke sind jetzt noch entsetzt, wie man in Drasenhofen Jugendliche „verwahrte statt betreute“. Blancke zog zwei Kinder groß: „Jugendliche herumsitzen zu lassen, ist keine gute Idee.“ Collmann sekundiert: „Sie müssen Verantwortung übernehmen, einverstanden. Aber man muss sie dabei auch begleiten.“
* Namen von der Redaktion geändert.