Werner Kogler: „Jetzt wird’s Zeit für Rudern statt Sudern“
Von Eva Linsinger und Max Miller
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Sie sind noch in der Regierung, aber eine Lame Duck. Fühlt sich das seltsam an?
Werner Kogler
Wir setzen immer noch viel durch, jetzt erst Hochwasserhilfen oder Handysicherstellung. Lame Duck passt da gar nicht.
Aber die Grünen werden der nächsten Regierung nicht angehören.
Kogler
Das stimmt mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit, ja. Leider, ich wäre voller Tatendrang und würde gerne eine Regierung verhandeln.
Welche Tipps geben Sie SPÖ und Neos: Auf welche Tricks der ÖVP sollten sie achten?
Kogler
Die Neos haben in Wien mit der SPÖ erlebt, wie leicht man untergeht: Bis heute bemerkt man kaum, dass die Neos mitregieren. Aber ich mache mir weniger um Fouls Sorgen, sondern um die Stärke der nächsten Regierung. Das fängt nicht gut an. Ich verstehe etwa nicht, warum wir nicht im Parlament mit Zweidrittelmehrheit die Nulllohnrunde auch für alle Landesregierungen mitbeschlossen haben. Das ist nicht passiert, weil ÖVP und SPÖ gegenüber ihren Landesparteien mutlos und muskelschwach sind. Wenn aber keine Bereitschaft da ist, sich mit den Bundesländern anzulegen, dann wird das nichts mit größeren Reformen.
Sind Sie wehmütig, dass Ihre Regierungszeit vorbei ist?
Kogler
Wehmütig gar nicht, wir Grüne können Opposition. Und es ist jede Koalition besser, als wenn die FPÖ regiert. Denn man kann ja nicht darauf vertrauen, dass die sich immer binnen zwei Jahren selbst in die Luft sprengen. Daher sind wir konstruktiv und unterstützen die Regierungsverhandlungen, etwa mit Zahlen aus unseren Ressorts.
Türkis-Grün hinterlässt eine sehr schwierige Budgetsituation, ein Riesendefizit und Schuldenberge.
Kogler
Diese überdramatischen Begrifflichkeiten weise ich zurück. Man muss schon die Relationen herstellen, so weit weg liegt Österreich nicht von den EU-Defizitkriterien. Bei allem notwendigen Sanierungsbedarf ist die Frage doch eher, warum das Finanzministerium in den Prognosen so falschlag und ein viel stärkeres Wachstum vorhergesagt wurde.
Wir Österreicher sind Weltmeister im zwanghaften Sudern. Jetzt wird’s aber Zeit für Rudern statt Sudern.
Sie sind Ökonom. Wann ist Ihnen denn gedämmert, dass das Budget aus dem Ruder läuft?
Kogler
Ich habe mich schon vor der Wahl nicht am Schönreden des Budgets beteiligt. Aber wir brauchen die Maximalvokabeln für den Untergang nicht strapazieren. Wir haben eine Staatsschuldenquote von circa 80 Prozent, sie war schon einmal höher, eine Budgetsanierung ist definitiv machbar. Auch daher halte ich nichts vom Krisengesudere. Wir Österreicher sind Weltmeister im zwanghaften Sudern. Jetzt wird’s aber Zeit für Rudern statt Sudern. Ich lass mich nicht in den Suderzwinger einsperren, selbst wenn ich Opposition bin.
Wo würden Sie denn rudern, also einsparen?
Kogler
Bei den klimaschädlichen Subventionen sind schnell ein bis zwei Milliarden Euro zu holen, wenn man Subventionen wie Dienstwagen- und Dieselprivileg weglässt. Und wir sollten endlich aufhören, Milliarden Euro für Autobahnen zu verplanen, die durch Naturschutzgebiete gehen. Die größten Summen würden natürlich durch eine Föderalismusreform gehoben.
Dafür hätten Sie jetzt fünf Jahre Zeit gehabt. ÖVP und Grüne haben nicht gespart, sondern viel Geld ausgegeben. Mit dem Klimabonus etwa werden zwei Milliarden Euro ausgeschüttet, deutlich mehr, als die CO2-Bepreisung bringt. War das eine Überförderung?
Kogler
Wir schauen uns gern Verbesserungsvorschläge an. Aber den Klimabonus restlos zu streichen, würde eine indirekte Steuererhöhung bedeuten: Denn die CO2-Bepreisung wird Jahr für Jahr steigen, auch wegen der EU-Vorgaben. Wenn man dann den Klimabonus – der ja eine Rückvergütung für die CO2-Bepreisung ist – streicht, entsteht besondere Belastung. Vor allem für Geringverdiener.
ÖVP und Grüne haben viele Kompromisse mit viel Geld erkauft, die Förderungen etwa sind gestiegen. Ist deswegen das Budgetdefizit zu hoch?
Kogler
Wenn, dann würde ich über manche überzogene Steuergeschenke an Vielverdiener diskutieren, die ÖVP und FPÖ eingeführt haben. Bei den Förderungen kann man wahrscheinlich bei Doppelförderungen der Länder sparen. Aber da wird so viel Nebel erzeugt, dass einem das Volkswirtschaftslehrbuch aus dem ersten Semester aus den Fingern bröckelt. So wird die mit zehn Prozent niedrigere Steuer auf Lebensmittel als Förderung ausgewiesen. Das ist Unfug.
Das klingt wie „alles richtig gemacht“. Dabei ist Österreich das zweite Jahr in Folge in Rezession und verliert an Wettbewerbsfähigkeit, das BIP schrumpft.
Kogler
Die Wettbewerbsfähigkeit ist ein Problem. Aber wir müssen die richtige Ursachenforschung betreiben. Die Länder, die an der Drogennadel Putins hingen, vor allem bei Gas, haben die größten Probleme: Slowakei, Ungarn, Österreich. Deutschland konnte sich befreien, weil es rasch Flüssiggas-Terminals in die Ostsee bauen konnte. Wir können leider kein LNG-Terminal in die Donau stellen. Ein Gros der jetzigen wirtschaftlichen Probleme kommt daher, dass die Gasabhängigkeit Österreichs ab 2014 weiter raufgetrieben wurde, obwohl man schon sah, was für ein Gangster Putin ist.
Also Putin ist schuld, machen Sie es sich da nicht zu leicht?
Kogler
Es war ein Wirtschaftsverbrechen, dass sich die Vorgängerregierungen zu über 80 Prozent von einem Lieferanten abhängig machten. Wenn ein Bankmanager so handelt, landet er im Häfen. Aber natürlich hätten wir manches anders machen können, etwa bei Preisen schneller eingreifen, vor allem bei Mieten und Strom. Leider haben schwarze und rote Landesenergieversorger ihre Taschen nicht vollgekriegt und die hohen Einnahmen kassiert. Und der Energiekostenzuschuss für die Industrie war zu hoch angesetzt: Weil der deutsche Kanzler Olaf Scholz seinen Doppelwumms bei der Kostenvergütung lobte und die österreichische Wirtschaftskammer dann einen Vierfachwumms im Kanzleramt bestellte. Wir Grüne haben das auf ein vernünftiges Niveau reduziert.
Sie halten also die Bilanz der Grünen in der Regierung für gut?
Kogler
Uns ist es gelungen, das Staatsschiff trotz all der Krisen sicher zu navigieren und viele Verbesserungen auf den Weg zu bringen – sinkende Emissionen oder mit der Teuerung mitwachsende Sozialleistungen.
Wieso wurden die Grünen dann bei jeder Wahl abgestraft?
Kogler
Vier Gründe: Erstens das Rennen um den ersten Platz, um die FPÖ zu verhindern, ist ein Problem für alle kleineren Parteien. Zweitens wurden aufgrund von Kriegen und Krisen fast alle Regierungen in Europa abgestraft.
In der Steiermark waren die Grünen in Opposition und haben trotzdem verloren.
Kogler
Das stimmt. Aber auch dort wurde ein Rennen um den ersten Platz ausgerufen. Der dritte Grund ist die Themenlage: Umwelt- und Klimaschutz sind unter aggressivem Beschuss. Und viertens haben uns weniger Junge gewählt, da müssen wir besser werden – auch in den sozialen Medien.
Die Grünen waren früher die Partei der Jungen. Das haben Sie verspielt.
Kogler
Nachdem wir 2017 aus dem Nationalrat flogen, hatte die Partei Millionen an Schulden. 2019 haben wir uns in die Regierung verhandelt, hatten alle Hände voll zu tun und konnten erst im Jahr vor der Nationalratswahl teils die Partei-PR aufbauen. Die Schuldentilgung hat eben langfristige Konsequenzen, wenn man aus dem Parlament fliegt.
War das der Grund für die misslungene Kommunikation in der Causa Lena Schilling?
Kogler
Nein, das Kommunikationsteam verteidige ich da massiv. Wir, die vorn stehen, sind für das verantwortlich, was wir bei Pressekonferenzen sagen. Und einige meiner Formulierungen waren natürlich ein Fehler.
2019 waren grüne Themen in Mode, heute gelten die Grünen vielen als Feindbild.
Kogler
2019 gab es eine Welle, die man auch erst einmal reiten muss, jetzt gibt es Gegenwind. Es werden viele Zuschreibungen reaktiviert, die ich schon vor zehn Jahren für falsch gehalten habe: Rechte und Konservative wollen die Grünen zu einer Verbotspartei stilisieren und Klimaschutz zum Preistreiber. Diese falschen Zuschreibungen werden neu aufgeladen. Und zwar massiv. Wir haben damit noch keinen Umgang gefunden. In Deutschland wurden Spitzenpolitikerinnen und -politiker körperlich bedroht, Veranstaltungen konnten nicht mehr abgehalten werden. Auch in Österreich wird politische Agitation fernab jeglicher Faktenlage betrieben und eine Hasswelle inszeniert.
Darunter leiden doch alle demokratischen Parteien?
Kogler
Es wird selten etwas so attackiert, wie der Klima- und Naturschutz momentan. Und die Angriffe auf das Anliegen vermischen sich mit Attacken auf Parteien und Personen. Dazu hat auch die Pandemie beigetragen: Weil ich mich mit Rechtsextremen und Blauen angelegt habe, wurde zum Beispiel ein Fake-Video von mir verbreitet, wie ich angeblich meinen Chauffeur in Corona-Demonstranten reinfahren lasse. Das wurde herumgeschickt – und hat mehr Leute verunsichert, als man glaubt. Da waren wir naiv. Aber jetzt gehen wir in die Gegenoffensive.
Es braucht den Mut, auf europäischer Ebene mit dem Digital Service Act vorzugehen, anstatt X-Chef Elon Musk das Goderl zu kratzen.
Wie genau?
Kogler
Die Aggression wird auf digitalen Plattformen verstärkt. Hier braucht es den Mut, auf europäischer Ebene mit dem Digital Service Act dagegen vorzugehen, anstatt X-Chef Elon Musk das Goderl zu kratzen.
Kanzler Karl Nehammer hat Musk für dessen Dienst an der Meinungsfreiheit gedankt.
Kogler
Das halte ich für erklärungsbedürftig. Da muss irgendwas durcheinandergekommen sein.
Auch die Grünen machen bei der Verkürzung des Diskurses online mit und sind auf TikTok. Ist das klug?
Kogler
Eigentlich ist es simpel: Man darf sich nicht an Schandtaten beteiligen und die Fläche trotzdem nicht nur den anderen überlassen. Sonst kann ich mich gleich von einem Drittel der Gesellschaft und einem Großteil der Jugendlichen verabschieden.
Sie mussten sich vom Mitgestalten verabschieden: Erstmals seit 2002 sitzen die Grünen in keiner Landesregierung mehr.
Kogler
Das ist der Lauf der Demokratie. Aber viel schlimmer ist, dass der ganze politische Diskurs nicht mehr mit fairen Regeln zugeht.
Sie attackieren auch manchmal heftig, nannten etwa eine Wortwahl der ÖVP „präfaschistoid“.
Kogler
Aber das war kein Fake-Video aus dem kanalisierten Untergrund der sozialen Medien, das habe ich selbst so zum Begriff „Mehrheit der Normalen“ von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner gesagt. Und ich halte das nach wie vor für historisch richtig: Wir hören jeden Tag, wie die FPÖ Menschen in Normale und Nicht-Normale einteilt. Mussolini wurde in Italien genau so der Boden mitaufbereitet.
Mit der Aussage haben Sie die ÖVP jedenfalls geärgert. Wie oft haben Sie sich umgekehrt in den letzten fünf Jahren über die Volkspartei geärgert?
Kogler
Gar nicht. Ich will das Regieren auch nicht nur als Konflikt beschreiben und habe keinen Grund, jemandem etwas nachzuschmeißen.
Es klang schon nach Konflikt, dass die ÖVP im Streit um die Renaturierung Ministerin Leonore Gewessler angezeigt hat.
Kogler
Ich habe die ÖVP sogar gewarnt, dass sie mit der Anzeige ins Leere greift. Aber der Bauernbund und Teile des Wirtschaftsbundes haben sich so sehr in die eigene Rhetorik gegen die Renaturierung hineingesteigert, dass die Armen im Kanzleramt nicht mehr aus konnten.
Irgendwann 2025 übergeben Sie die Parteispitze. Als Nachfolgerinnen und Nachfolger schlagen Sie Alma Zadić, Stefan Kaineder und eben Leonore Gewessler vor. Warum nicht Sigrid Maurer?
Kogler
Ich schätze Sigi Maurer ungemein. Sie selbst hat gesagt, dass sie ihren Platz im Parlament sieht.
Das ist sowieso der Platz der Grünen als Oppositionspartei.
Kogler
Es ist etwas anderes, wenn ich parlamentarische Geschäftsführerin bin und die Fraktionsarbeit leite.
Bleiben Sie die volle Legislaturperiode über Abgeordneter im Nationalrat?
Ich will weiter zur Verbesserung beitragen – und die neue Regierung wird viele Zweidrittelmehrheiten brauchen. Aber wenn der Sommerurlaub drei Wochen dauert statt nur ein paar Tage, ist das schon ein Vorteil.
Kogler
Wenn mir kein Ziegelstein auf den Kopf fällt: Ja.
Sie werden mehr Freizeit haben als jetzt. Was machen Sie damit?
Kogler
Ich weiß noch nicht, ob ich mehr Freizeit haben werde. Ich will weiter zur Verbesserung beitragen – und die neue Regierung wird viele Zweidrittelmehrheiten brauchen. Aber wenn der Sommerurlaub drei Wochen dauert statt nur ein paar Tage, ist das schon ein Vorteil.
Sie könnten ein Enthüllungsbuch schreiben wie zwei ehemalige ÖVP-Kanzlersprecher.
Kogler
Ich könnte ein Buch allein mit Widerlegungen dieser Bücher füllen. Aber das ist mir zu blöd. Ich artikuliere lieber herkömmlich bei Reden, Diskussionen und Verhandlungen.
Werden Sie Ihren eigenen Rekord brechen und die neue längste Rede des Nationalrats halten?
Kogler
Eine 13-Stunden-Rede? Für so einen Protest sehe ich noch keinen Anlass. Vorläufig.
Eva Linsinger
Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin
Max Miller
ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.