Wertecheck: Familie und Freunde, Beruf und Freizeit
Die Nachrichten vom Ableben der Familie waren verfrüht. Das darf man mit Blick auf die neue Wertestudie getrost festhalten. Einmal pro Dekade leuchten Forscher im Rahmen einer 44 Länder umfassenden Vergleichserhebung den Wertekosmos der Österreicherinnen und Österreicher aus. Dabei zeigt sich im 30-Jahres-Rückblick: Heute wie damals ist die Familie der Hort des privaten Glücks, der Glassturz, unter dem Werte verinnerlicht werden, das vom Wandel der Zeit unangekränkelte Zentrum. 87 Prozent erachten Familie im Leben als „sehr wichtig“ (1990: 85 Prozent).
Vergangene Woche berichtete profil in der Titelgeschichte über politische Einstellungen, das Verhältnis der Bevölkerung zu Demokratie und Zuwanderung. In dieser Ausgabe geht es um Familie und Freunde, Arbeit und den immer größeren Stellenwert von Freizeit.
Überrascht konstatieren die Forscher, dass die Erwerbsarbeit im Leben nicht mehr die zweitwichtigste Rolle spielt. Hinter der Familie kommen 2018 Freunde und Bekannte. Auch die Freizeit rückt nach oben. Allerdings: Die Erwerbsarbeit wird nicht nebensächlich. „Die Menschen wollen immer noch vorwärts kommen, aber der Wunsch nach einem ausbalancierten Leben wird stärker“, sagt der Soziologe Roland Verwiebe.
Berufliche Welten driften auseinander
Verwiebe analysierte mit seiner Kollegin Lena Seewann die Verwerfungen der Arbeitswelt: Von 1985 bis heute stieg die Erwerbsquote der Frauen von 50,7 Prozent auf 71,8 Prozent. Fast die Hälfte arbeitet Teilzeit (2017: 47,3 Prozent). Die Industrie büßte massenweise – oft hoch qualifzierte und gut bezahlte – Stellen ein. Der Sektor der Dienstleistungen legte zu. Die beruflichen Welten driften auseinander, weil sowohl hochqualifizierte Beschäftigung als auch die einfachen, oft mäßig bezahlten Dienstleistungsjobs zunehmen. Migranten sind von dieser Polarisierung stärker betroffen, im Beruf dennoch recht zufrieden, wie eine einschlägige Erhebung zeigt, die im kommenden Jahr als Buch erscheint. Herausgegeben wird es vom Grazer Soziologen Max Haller. Er sagt: „Ein Zuwanderer vergleicht seine Situation auch mit den Arbeits- und Einkommenschancen im Herkunftsland.“ Nur mehr jeder zweite Befragte fürchtet laut aktueller Wertestudie, dass Migranten den Einheimischen die Jobs wegschnappen (2008: 71 Prozent). Und nur mehr ein Drittel (34 Prozent) würde Zuwanderer heimschicken, wenn die Arbeit im Land knapp wird (1999: 48 Prozent).
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Arbeit dient nicht bloß dem schnöden Gelderwerb, sondern zunehmend auch der Selbstverwirklichung und idealistischen Zielen. Angenehme Arbeitszeiten sind heute fast so wichtig wie gute Bezahlung. Für die Werteforscher fügt sich das ins große Bild: Weniger Menschen als noch vor 30 Jahren sind heute bereit, ihr Leben der Arbeit unterzuordnen. Gleichzeitig ist laut Johann Bacher, Professor für Soziologie an der Uni Linz und Herausgeber eines eben erschienenen Sammelbands zum Wertewandel in Österreich, das Bedürfnis nach Sicherheit stärker denn je. Dazu passt, dass Familie und Freunde hochgehalten werden und die Offenheit für Neues nachrangig ist. Bacher ging der Frage nach, wer bei der Vermittlung von Werten prägend war. In den meisten Fällen (42,7 Prozent) waren es die Eltern, dahinter kommt mit 22,5 Prozent der beste Freund/die beste Freundin. Die Lehrer stehen abseits.Das ist insofern bemerkenswert, als bei Wertedebatten Schulen gerne als Erste in die Pflicht genommen werden. Bacher: „Im Bildungssystem muss sich einiges ändern, damit sie diese Aufgabe auch erfüllen können.“
Elternrollen noch eher antiquiert
Wie geht es in den Familien und zwischen Männern und Frauen zu? Damit befassten sich im Rahmen der Wertestudie 2018 die Soziologinnen Caroline Berghammer und Eva-Maria Schmidt. Während sich zwischen den Geschlechtern einiges bewegte, blieb bei den Elternrollen vieles beim Alten. So finden heute nur noch 15 Prozent die Aussage annehmbar, dass Männer „eher ein Recht auf Arbeit haben als Frauen, wenn die Arbeitsplätze knapp werden“. 1990 war es noch jeder Zweite gewesen. Aber die Ansicht, dass Männer für das Geldverdienen und Frauen für Haushalt und Kinder zuständig sind, ist immer noch weit verbreitet – wobei Männer traditioneller eingestellt sind als Frauen, Jüngere sowie höhere Gebildete. „Frauen sollen nach Bildung streben, sich im Beruf entfalten, aber danach vor allem Mütter sein“, fasst Berghammer zusammen.
Das Idealbild von Familie – Vater und Mutter, ehelich verbunden, dazu zwei Kinder – deckt sich kaum noch mit der Realität. Innerhalb der vier Wellen der Wertestudie in Österreich stieg der Anteil der allein lebenden Menschen von 28 Prozent (1990) auf 37 Prozent (2018). Haushalte mit Kindern werden seltener. Familien werden später gegründet, der Anteil binationaler Ehen stieg. Die gleichgeschlechtliche Partnerschaft ist weithin akzeptiert. Ehen zerbrechen häufiger als früher, trotzdem hält nur jeder vierte Befragte (24 Prozent) sie für überholt. Und die Erwartungen an das private Beziehungsglück bleiben stabil und vor allem hoch. Treue und Kinder sind für eine große Mehrheit unverzichtbar; eine gerechte Verteilung der Hausarbeit ist nur 29 Prozent ein beziehungsstiftendes Anliegen. Die meisten Mütter unterbrechen ihre Berufstätigkeit, wenn ein Kind auf die Welt kommt; das Gros steigt danach mit einem Teilzeitvertrag wieder in den Beruf ein. Väter hingegen arbeiten weiterhin Vollzeit, 2017 durchschnittlich 43 Stunden in der Woche. Das treibt die ohnedies auseinanderklaffenden Männer- und Fraueneinkommen weiter auseinander.
Die Erziehung wurde weniger autoritär. Linear ist der Trend hin zu mehr Autonomie und weniger Konformität freilich nicht, denn gleichzeitig werden die Nachkriegstugenden Gehorsam und Leistungsbereitschaft wieder wichtiger. Ein Revival? Soziologin Berghammer: „Es gibt nicht mehr den ungebrochenen Aufstieg von einer Generation zur nächsten. Vor diesem Hintergrund ist das auch zu sehen. Man macht Druck und hofft, dass es das eigene Kind trotzdem schafft.“
Nächste Woche geht es im dritten und letzten Teil zur Wertestudie 2018 um Religion.
Lesen Sie Teil 1 unserer Wertestudie-Serie in der profil-Ausgabe 43/18.