Muss man populistisch sein, um mit einem Restaurant Erfolg zu haben?
Stiegl
Populistisch würde ich nicht sagen. Ich sage immer: Kompetenz wirkt nur von unten betrachtet arrogant. Wenn man ein Wirtshaus eröffnet, dann hat man eine Idee und ist von dieser Idee begeistert. Ich bin fest davon überzeugt, wenn man für etwas brennt, etwas ehrlich und glaubwürdig macht, dann zieht sich das bis zum Gast durch. Bei uns zum Beispiel: Wir sind hier am Arsch der Welt, nicht irgendwo im 1. oder bei den Bobos im 7. Bezirk, wo man zufällig vorbeispaziert. Zu uns nach Gut Purbach fahren die Leute gezielt, wie in eine Boutique.
Restaurantküchen sind klassischerweise streng hierarchisch organisiert, jeder hat seine Aufgabe, und der Chef ist der Chef. Funktioniert es so am besten?
Stiegl
Nein, bitte! Wir sind ein reiner Montessori-Betrieb. Aber natürlich, es braucht Vorgaben. Das heißt: Es muss gepflegt sein, der Gast muss sich wohlfühlen, und handwerklich muss alles passen. Wenn es dann perfekt ist, kann man sich eine Laissez-faire-Art auch leisten. Nur lässig und cool sein, aber dann nicht liefern, geht nicht.
Können sich Parteien von dieser Arbeitsgrundlage etwas abschauen? Die SPÖ zum Beispiel?
Stiegl
Die SPÖ ist eine gute Partei, hat aber den falschen Mann an der Spitze. Ich glaube, wir hätten im Burgenland ein Rezept dafür.
Max Stiegl, 44,
ist ein österreichischer Koch und Gastronom. Er ist in Slowenien geboren und in Salzburg aufgewachsen. Seit er 18 ist, kocht er im Burgenland. Mit 20 bekam er seinen ersten Michelin-Stern verliehen. In seinem Restaurant Gut Purbach am Neusiedler See kocht er Innereien und andere Raritäten, die dem Gault-Millau 17 Punkte und vier Hauben wert sind.
Was ist denn schön im Burgenland?
Stiegl
Fünf Volksgruppen auf engstem Raum. Alles ist friedvoll. Ob die Ortstafeln jetzt zwei- oder dreisprachig sind, ist komplett wurscht. Solange jeder einen Spritzer kriegt, passt alles.
Wie geht man mit Stress um, ohne seine Mitarbeiter zur Sau zu machen?
Stiegl
Wem bringt das was? Dann hat man einen demotivierten Mitarbeiter, der zu den Gästen rausgeht und genau das weitergibt. Unser Umgang miteinander ist sehr freundschaftlich. Natürlich muss man schauen, dass alles auf Spur ist. Um 12.00 Uhr kommen die Gäste, da kann ich nicht sagen: Heute ist der Koch ein bisschen müde, deshalb gibt es nichts zu essen.
Man muss also eine Balance finden?
Stiegl
Wir sind in der Gastronomie momentan ja nur da, wo wir sind, weil in der Vergangenheit viel schiefgelaufen ist. Vielleicht so wie in der SPÖ. Wir könnten wahrscheinlich beide viel aus der Reformpädagogik lernen. Es braucht ein Miteinander, kein Gegeneinander.
Wie organisiert man eine Restaurantküche – inklusive Service – so, dass sich alle Beteiligten dort wohlfühlen?
Stiegl
Indem man authentisch ist. Sich zu verstellen, bringt nichts.
Die Profiküche lebt von guter Vorbereitung – wie viel ist trotzdem Improvisation in höchster Not?
Stiegl
Genau hier zeigt sich ein guter Koch, generell eine gute Führungskraft. Solange alles super ist, ist alles super. Da erntet man viele Schulterklopfer. Aber wenn ein Fehler passiert, liegt die Kunst darin, aus einem Vorfall einen Zwischenfall zu machen. Außerdem: Ein guter Koch ist vor allem ein Handwerker. Eine Dose Kaviar aufmachen und Trüffel hobeln kann jeder Schimpanse.
Was macht man, wenn der Souschef ständig die Leute gegen einen aufhusst?
Stiegl
Ein guter Souschef macht das nicht. Es bringt ihm nichts.
Und was tut man, wenn es einem Gast einfach nicht schmeckt?
Stiegl
Das ist legitim, es muss ihm nicht schmecken. Wir geben unser Bestmögliches, trotzdem kann sich jemand denken: Das war nicht meines. In der Gastronomie und der Dienstleistung hat sich die Annahme eingeschlichen: Alle Gäste, die uns loben, kennen sich aus, und alle, die uns kritisieren, haben keine Ahnung. Das ist Schwachsinn. Oft ist Kritik sehr wohl berechtigt. Was ich fürchterlich finde, sind die emotionalen Embryos, die irgendwo im Internet irgendwelche Bewertungen abgeben.
Also ist das Verhältnis vom Wirten zum Gast ein ähnliches wie das von der Politik zum Wähler?
Stiegl
Ja, es ist ein Stockholm-Syndrom. Eine Hassliebe. Man braucht einander. Es ist keine Kunst, einen Stammgast anständig zu bedienen. Es ist Kunst, aus einem Arschloch, das sich nur beschwert, einen Stammgast zu machen. In der Politik ist das auch so. Jemanden ein Mal zu überzeugen, ist einfach. Beständig glaubwürdig zu sein, ist eine Herausforderung.
Wahlkämpfende Politiker ernähren sich manchmal von schnell hinuntergeschlungenen Zeltfest-Würsteln. Bitte um einen Tipp für einen besseren Snack für zwischendurch?
Stiegl
Wir haben derzeit ja einen Experten ganz vorn, unseren Kanzler, der unlängst für das Burgermenü bei McDonald’s geworben hat. Aber im Ernst: Wenn wir jetzt an Brainfood denken, also Lebensmittel fürs Gehirn, gibt es ganz wunderbare Sachen, aus denen man sich ein Sandwich oder einen Porridge machen kann. Und was ist bitte schlecht an einem Leberkassemmerl?