Verletzte bei Perchtenläufen: Gibt es ein Gewaltproblem?
In der Vorwoche eskalierte ein Krampusumzug in Zams in Tirol, es gab 67 Anzeigen, bei einem weiteren Event wurde einer Frau die Fingerkuppe abgezwickt, in Kärnten wurden Krampusse selbst verletzt. In der Nacht auf Donnerstag beschädigten Krampusse im Bezirk Imst in Tirol Autos und beleidigten Polizisten. Jährlich häufen sich solche Berichte ab Anfang Dezember. Mehr als hundert derartige Läufe werden in Österreich an den kommenden zwei Wochenenden über die Bühne gehen.
Aktuell kocht die Debatte auch rund um die Krampus-Kultur im deutschen Klaasohm hoch. Männer nutzten dort das Brauchtum aus, um Frauen zu verprügeln - so der Verdacht.
Die Kultur- und Sozialanthropologin Gertraud Seiser will die Gewalt nicht kleinreden, warnt aber vor Pauschalierungen: „Der Vorwurf, dass das alles brutale Randalierer seien, trifft es unserer Ansicht nach wirklich nicht.” Seiser ist Ethnographin, sie forschte jahrelang zum Thema Krampus und Perchten in Österreich und begab sich für Feldstudien auch ins Getümmel der Läufe.
„Die Figur des Krampus definiert sich dadurch, brutal zu sein, in der Erzählung gibt es keinen Teddybären-Krampus”, sagt Seiser. Die Schattenseite: Dadurch könne es fallweise auch zu sexualisierter Gewalt und zu Missbrauch kommen. Man könne die Perchten auch als eine brutalisierende Jugendkultur sehen, meint die Forscherin: „Aber zu sagen, die gehören in das eine, oder das andere politische Eck, das passt einfach nicht.”
Absolute Vermarktung
Die Umzüge sind kommerzielle Spektakel, bei Ski-Openings, in der Lugner-City, im Prater oder auch bei der FPÖ Wiener Neustadt unter dem Label „familienfreundlich” - die Partei will laut Eigenangaben Kindern die Angst vorm Krampus nehmen.
Gewalt sei Teil des Marketings, so die Ethnographin, „sonst ist das in fünf Jahren tot.”
Krampusse in einem Linzer Einkaufszentrum.
„So richtige” Verletzungen will niemand
Zu Gewalt-Vorfällen kommt es, so Medien- und Polizeiberichte, großteils nach den eigentlichen Umzügen. So auch bei dem Zwischenfall mit Polizeibeamten und Krampussen in Tirol.
„Zigtausende besuchen diese Veranstaltungen und beim Lauf selbst passiert wenig”, sagt Innenministeriums-Sprecher Paul Eidenberger. Unisono heißt es seitens der Landespolizeidirektionen, dass die Gewalt und andere strafrechtlich-relevante Vorfälle großteils nach der Show passieren - wie bei jedem anderen Volksfest, wo Alkohol fließt. Da gäbe es dann keinen Zusammenhang mit dem Perchtenlauf.
Im Innenministerium glaubt man, dass der Reiz der Läufe auch in der Gefahr liegt: „Man geht ja zu einem Perchtenlauf mit gewissen Erwartungen, die einen gehen hin zum Anschauen und die anderen gehen hin, weil sie ein bisschen die Krampus-Rute spüren wollen, natürlich ohne dass etwas passiert und im Rahmen des Spielerischen”, sagt Eidenberger.
Erhöhte Zahlen von Verletzungen aufgrund von Perchten-Gewalt können die Tirol Kliniken nicht ausmachen, so deren Sprecher Johannes Schwamberger. Täglich habe man in der Wintersaison rund 200 Verletzte, die Zahlen würden nur leicht schwanken. Laut einer Pflegerin ging die Zahl der Vorfälle hinunter, als die Nummerierung der Krampus-Darsteller eingeführt wurde - aber auch das lässt sich in Zahlen nicht festmachen.
Wenn es zu Vorfällen kommt, riskieren die betroffenen Perchten-Gruppen, dass sie nicht mehr eingeladen werden. Wer sich nicht an die Regeln halte, der werde aussortiert, argumentiert Krampus-Darsteller Martin Smounig.
„Wenn wir nach Südtirol fahren, dann werden unsere Ausweise an der Grenze fotografiert, falls sich jemand beim Lauf aufführt”, sagt der Krampus-Darsteller und die Vereinsszene ist auf der Website „Brauchtum.net” dokumentiert.
Sorge machen ihm die steigenden Kosten für Polizei und Rettung, die die Vereine häufig selbst aufbringen müssen, als Bedingungen für eine Auftrittsmöglichkeit. In Vorarlberg, erzählt er, gebe es keinen einzigen Anbieter von Haftpflichtversicherungen für Krampus-Vereine. Gewalt-Eskalation seien nicht erwünscht, man habe einen Ruf zu verlieren und die Versicherungskosten würden weiter steigen.
Frauen in der ersten Reihe
Im Jahr 2016 gab Gertraud Seiser gemeinsam mit Matthäus Rest und Studierenden das Buch „Wild und Schön. Der Krampus im Salzburger Land” heraus. Das Buch basiert auf ihrer Feldforschung und Interviews mit sogenannten Krampus-Passen - so nennt sich eine Gruppe aus Krampussen, die nicht als Verein organisiert ist. Und auch mit Müttern, Töchtern, Freundinnen, Polizisten, Touristen, Wirten, Lehrerinnen, Bürgermeistern und Maskenschnitzern.
Unter den Studierenden waren auch viele junge Frauen, damals gab es keine Vorfälle. „Ja, es gibt die Mädels mit den hauchdünnen Leggins, die in der ersten Reihe stehen und geschlagen werden wollen.” Aber wer sich fürchtet, der würde nicht „tratzen”, sondern zu Hause bleiben. Das Projekt war aber herausfordernd und die Forscherinnen wurden mit Dingen konfrontiert, die sie zutiefst ablehnten.
Viele Frauen beteiligen sich heute selbst an den Läufen, einerseits verkleidet oder auch als Maskenschnitzerinnen. „Zu sagen, es ist nur sexistisch, ist zu kurz gegriffen”, so Seiser.
Auch die mediale Berichterstattung würde hier viel über einen Kamm scheren: „Da hat oft man das Gefühl, da rennen in den Bergen lauter hinterwäldlerische Nazis herum”, so Kulturanthropologin Seiser über die mediale Berichterstattung zu Krampus- und Perchtenläufen. Vieles werde dabei „extrem verkürzt”.
„Das ist genau das, was dann die FPÖ befördert in diesen Gebieten, weil sich die Leute missverstanden fühlen.” Alle Perchten als Rechtsextreme zu bezeichnen, wäre eine krasse Übertreibung und würde, glaubt Expertin Seiser, auch nur der FPÖ in die Hände spielen
Krampusse sind sehr, sehr, sehr, wild. Und Krampusse sind sehr schön. Nur die Schellen sind sehr laut deswegen habe ich angst. Meine kleine Schwester hat auch sehr viel angst. Einmal hat ein Krampus mit uns gejausnet.
„Die randalierenden Jugendlichen”
Bleibt zum Schluss noch ein Mythos über Krampusse, der sich beharrlich hält, aber durch nichts belegt ist: Der germanische Ursprung des Brauchtums ist historisch nicht nachweisbar.
Zurückführen lässt sich der Brauch in Österreich auf drei Stränge: Nach Einführung der Schulpflicht unter Maria Theresia 1774 traten Nikolo und Krampus ab 1800 gemeinsam auf. Der Brauch kam aus dem protestantischen Deutschland und sollte die Kinder dazu motivieren, in die Schule zu gehen.
Eine andere Strömung stammt aus dem Fürsterzbistum Salzburg. Bereits 1818 erwähnte ein Landrichter die Gruppen aus „mehreren Burschen, die sich verkleiden, Masken tragen, große Kuhglocken tragen und in den Gasthäusern ihr Geld ausgeben.”
Es gäbe hier „null” kultische Hinweise, betont Seiser. „Das waren einfach randalierende Jugendliche. Im 19. Jahrhundert gab es mehrfach Berichte zu massiver Gewalt bei Zusammenstößen zwischen Passen.
Der dritte Strang des Brauchtums kommt aus der Tiroler Gegenreformation: Dabei wurden die Protestanten aus dem Gasteiner Tal vertrieben, das betraf ein Drittel der Bevölkerung. Wieder besiedelt wurde mit jesuitischen Tirolern „und die hatten Umzugsspiele, wo sie auch den Teufel dargestellt haben”, so Seiser.
Man sollte nicht alles glauben, was über Krampusse erzählt wird. Bei der „Attacke” auf Polizeibeamte von Krampussen in Längenfeld in Tirol gab es keine verletzten Beamten, so die Polizei Sölden gegenüber „profil”. Ermittelt wird wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt und Ehrenbeleidigung.