Sozialmarkt als Indikator: Senkt Anti-Teuerungspaket den Andrang?

Wie das Anti-Teuerungspaket bei den Ärmsten ankommt

„Wir geben den Menschen das Geld zurück, das ihnen die Inflation genommen hat“, sagt Bundeskanzler Karl Nehammer. Drei Menschen am unteren Rand rechnen nach.

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Magdalena Wabnig und Leopold Pichler. Die 37-jährige zahnärztliche Assistentin lebt mit ihren zwei Söhnen in Kärnten, der 35-jährige Mindestsicherungsbezieher mit einer Tochter in Wien. Beide spüren die Teuerung massiv. Darüber haben sie mit profil für die vergangene Ausgabe (unter veränderten Namen) gesprochen.

Wabnig will Nachhilfestunden reduzieren und vom Auto aufs Rad umsteigen. Die Rezeptur des Abendessens orientiert sich längst nicht mehr am Gusto, sondern an Sonderangeboten im Supermarkt. Selbst Freilandeier sind zum Öko-Luxus geworden. Pichler hat das Lieblingsobst der Tochter gestrichen: Erdbeeren. Er bangt darum, pro Semester weiterhin 200 Euro für ihren Begabtenkurs an der Musik-Uni aufbringen zu können. So weit Auszüge aus einem Alltag voller Einschränkungen.

Doch vergangenen Dienstag schlug ein „Mega-Wumms“ ein. So bezeichnet der grüne Vizekanzler Werner Kogler das Anti-Teuerungspaket der Regierung in der Höhe von sechs Milliarden Euro. Bezieht man die Abschaffung der kalten Progression ein, werden 28 Milliarden Euro bewegt. Kogler verwendet manche Wörter inflationär – schon das Corona-Hilfspaket 2020 war für ihn ein „Mega-Wumms“. Doch auch Bundeskanzler Karl Nehammer von der ÖVP verspricht nicht weniger, als „den Menschen das Geld zurückzugeben, das ihnen die Inflation genommen hat“. Eine mutige Ansage angesichts der stärksten Inflation seit über 40 Jahren. Hält sie? Wabnig, Pichler und Astrid Esterle, eine Alleinzieherin aus Wien, rechnen nach.

300 Euro pro Monat. So hoch taxiert die Kärntnerin Wabnig die Mehrkosten für Lebensmittel, Strom oder Treibstoff durch die Teuerung. Macht pro Jahr 3600 Euro für sie und ihre zwei Söhne im Alter von 11 und 13 Jahren. Dem gegenüber steht die zu erwartende Entlastung durch das Anti-Teuerungspaket von  1860 Euro. Konkret: 360 Euro Sonder-Familienbeihilfe im August; 500 Euro Klimabonus plus 500 Teuerungsbonus im Oktober, jeweils zur Hälfte für sie und ihre zwei Söhne; bis zu 500 Euro Teuerungsabsetzbetrag beim nächsten Steuerausgleich 2023. Als zahnärztliche Assistentin verdient sie für 30 Stunden 1300 Euro brutto. Den Familienbonus, der um 500 Euro angehoben wird, bezieht zur Gänze der leibliche Vater. So ist es ausgemacht. 

Von den 1860 Euro, die Wabnig zusätzlich bleiben, gehen 100 bis 200 Euro wieder für die neue -Steuer ab Oktober drauf. Bleiben weiterhin über 1500 Euro an Teuerungs-Ausgleich pro Jahr. Bei 3000 Euro an gefühlten Mehrkosten durch die Inflation hält Nehammer sein Versprechen in ihrem Fall knapp zur Hälfte ein. „Das ist mehr als gedacht und wirklich eine Stütze“, sagt sie. Sie hätte sich die Summe jedoch ab sofort gewünscht, gleichmäßig auf die kommenden Monate aufgeteilt. Denn schon jetzt bleibe am Monatsende kaum ein Euro übrig. Der eine oder andere Entlastungs-„Brocken“ im Herbst oder gar erst im nächsten Jahr durch den Steuerausgleich könnte zu spät kommen. Wabnigs Freude relativiert sich weiter, wenn sie an den Winter denkt. „Steigen die Preise fürs Heizen und für Lebensmittel weiter so stark, kann es sein, dass mein Urteil über das Paket anders ausfällt.“

Die Kärntnerin gehört zu jener Sorte Mensch, der mit Einschränkungen leben kann. „Wenn ich jammere, dann immer noch auf hohem Niveau. Wir haben ein Dach über dem Kopf, warmes Wasser, genug zu essen und sogar ein Auto vor der Tür. Und wir stehen nicht am Rande der Armutsfalle.“ Es ist der Optimismus einer Frau, die „jeden Tag gerne in die Arbeit geht“ und dadurch das Gefühl behält, ihr Leben selbst im Griff zu haben. 

Anders geht es Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind. Der Wiener Leopold Pichler war Medizinphysiker in einem Universitäts-Klinikum. Er verlor den Job und bezieht seither 980 Mindestsicherung plus 130 Euro für seine Tochter (7), die zur Hälfte bei ihm lebt. Sein Immundefekt setzt ihm zu und verursacht in der Pandemie schmerzhafte Extrakosten, zum Beispiel für Masken oder Taxifahrten, wenn die Züge zu voll mit maskenlosen Menschen sind. Wie fällt Pichlers persönliche Entlastungsrechnung aus? 

Lebensmittel, Strom, Gas, Miete, Sommerbetreuung, Musikschule – höhere Preise und Gebühren spürt er in jedem Lebensbereich. Auch er kommt auf rund 300 Euro persönlicher Teuerung pro Monat. Macht 3600 Euro pro Jahr, der ebenfalls aufs Jahr gerechnet 890 Euro an künftiger Entlastung gegenüberstehen. Konkret: 300 Euro „für besonders Betroffene“ im Juli; 90 Euro Sonder-Familienbeihilfe im August (die andere Hälfte geht an die Mutter); 250 Euro Klimabonus plus 250 Euro Geld-zurück-Bonus im Oktober. 250 Euro stehen der Tochter aus diesen Titeln zu. Ob der Beitrag im Fall der Doppelresidenz seiner Tochter aufgeteilt wird, fragt er sich. Der erhöhte Familienbonus oder Teuerungs-Absetzbetrag helfen ihm nicht, weil er als Sozialhilfeempfänger keine Steuern zahlt. 890 Euro Entlastung. 200 Euro zahlt die Stadt Wien als Energiezuschuss. Macht knapp 1100 Euro. 

Somit bekommt Pichler weniger als ein Drittel dessen zurück, was er – nach seinen eigenen Angaben – durch die höhere Inflation verliert. Entsprechend bescheiden sein Fazit: „Ich fühle mich nicht wirklich entlastet. Eine Familie, die dem klassischen Rollenbild entspricht, hat mehr von diesem Paket.“

Diese Reaktionen zeigen: Die Regierung hat Erwartungen geweckt, die sie unmöglich erfüllen kann. Sie hat alle Maßnahmen addiert auf insgesamt 28 Milliarden Euro, um maximales Entlastungsgefühl zu erzielen. Die größten Brocken, wie die Abschaffung der kalten Progression, spüren Personen wie Wabnig und Pichler null. 0,50 Euro Cent mehr fürs Hausbrot spüren sie. Die Teuerung wirkt täglich, die Entlastung gestreckt über mehrere Monate.

Dazu kommt: Im Dickicht aus Boni, Steuerzuckerln und Gutscheinen wächst die Unübersichtlichkeit – und der Frust. Hätte es Alternativen gegeben? „Ich sehe einige gute Ansätze. Aber der Name Anti-Teuerungspaket ist ein bisschen eine Mogelpackung. Die Teuerung bleibt ja hoch, trotz des Geldes, das nun verteilt wird“, sagt die 55-jährige Astrid Esterle, die mit ihrer 14-jährigen Tochter in Wien lebt und Notstan

dshilfe bezieht. Esterle war selbstständig im Metallwarenhandel tätig und fiel wegen der schweren Beeinträchtigung ihrer Tochter aus der beruflichen Laufbahn. Ihr Mann ist gestorben. Im Juli stehen ihr und ihrer Tochter aus dem Regierungspaket 300 Euro Soforthilfe zu, im August 180 Euro an zusätzlicher Familienbeihilfe, im Oktober  750 Euro Klima- und Geld-zurück-Bonus. Das Auto braucht sie regelmäßig, deswegen wird sie durch die -Steuer ab Oktober 100 bis 200 Euro wieder verlieren. Als Fernwärmekundin legt ihr Wien 200 Euro auf die Energierechnung obendrauf. 

Vom Entlastungspaket des Bundes fühlt sich Esterle überschlagsmäßig zu 40 bis 50 Prozent entlastet. „Fürs Erste ist das eine Hilfe, aber was ist im Winter?“ Lieber wäre ihr ein „Kostendeckel“ gewesen, der Preise nachhaltig senkt. Bei Arbeiterkammer und Gewerkschaft rennt sie offene Türen damit ein. 

Zwar stellen die Arbeitnehmervertreter dem Regierungspaket unterm Strich ein gutes Zeugnis aus. Zur Wirkung heißt es in einem Analysepapier von Arbeiterkammer und Gewerkschaftsbund jedoch: „Das von der Regierung präsentierte Volumen über 28 Milliarden Euro bis 2026 scheint gewaltig. Es werden aber nur gut 40 Prozent der Überinflation kompensiert.“ Die „üppigen“ Einmalzahlungen würden zwar gut wirken, aber „spätestens im Winter verpufft sein“.

Damit scheint fix: Nehammer und Kogler werden weitere Anti-Teuerungspakete schnüren müssen, um ihr „Geld-zurück“-Versprechen einzuhalten. 

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.