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Hat uns der Rechtspopulismus kaputt gemacht?
Die österreichische Innenpolitik hatte in den letzten Tagen etwas von einer Reality-Show. Viel Theatralik, große Ansprachen und am Ende wollte man eigentlich nur mehr den Fernseher abdrehen. Wie beim Netflix-Format „Love is blind“ – die Kandidat:innen daten dort einander ohne sich persönlich zu treffen – herrschte zwischenzeitlich komplette Funkstille zwischen den blau-schwarzen Regierungsverhandlern. Und wie im Dschungelcamp setzte die FPÖ der ÖVP ein paar Dinge vor, die jene nicht runterschlucken wollte. Gestritten wurde über Posten, am Ende klatsche man sich ein Ultimatum nach dem anderen vor die Füße. Showpolitik par excellence. Müssen wir uns daran gewöhnen?
Edma Ajanović, Politikwissenschafterin an der Donau-Universität Krems im Department für Europapolitik und Demokratieforschung, sagt, dafür müsse man sich als erstes das Muster von Rechtspopulismus anschauen: „Er teilt die Gesellschaft in vier Gruppen: ‚Wir‘, also die Rechtspopulisten, ‚euch‘, jene Menschen, die die Rechtspopulisten retten wollen und zwei Gruppen, die, so wird zumindest behauptet, diesem Vorhaben gegenüberstehen. Zum einen sind das ‚die da oben‘, also die Elite, zum anderen ‚die da draußen‘, in der österreichischen Debatte meistens Migrant:innen oder andere Minderheiten.“
Ein Problem, dass wir in Österreich sehen, ist, dass der Rechtspopulismus immer mehr normalisiert wird.
Politikwissenschafterin
Für Ajanović ist dabei wichtig zu erwähnen, dass dieses Prinzip nicht nur eine Herausforderung für die politische Kultur ist, sondern generell einen Angriff auf die Demokratie darstellt: „Dieses Muster wird ja in die Politik übersetzt, indem gefordert wird, bestimmte Gruppen aus jedweder Teilhabe auszuschließen und ihnen jegliche Fürsorge zu entziehen. Wenn wir von einem Demokratieverständnis ausgehen, indem alle ein Mitspracherecht haben und wir diese Gesellschaft gemeinsam organisieren wollen, dann geht sich das damit nicht aus.“
Dazu kommt, dass das rechtspopulistische Narrativ, das „Wir gegen sie“, zwangsläufig nicht eingehalten wird. „Am Ende trifft es ja nicht nur ‚die Feinde‘, sondern auch die ‚eigenen Gruppen‘. Wenn man an die blau-schwarzen Verhandlungsprotokolle denkt, durch die Bezahlkarte für alle Langzeitarbeitslosen beispielsweise. Daran sieht man, dass es der FPÖ eben nicht um ‚den kleinen Mann‘ geht, sondern sie vielmehr selbst die Interessen der Reichen vertritt“, sagt Ajanović.
profil liegt das 223-seitige Protokoll der FPÖ-ÖVP-Unterverhandlungsgruppen vor. Es zeigt, welche Pläne die zwei Parteien für das Land gehabt haben, worauf sie sich einigen konnten und worauf nicht. Und wie sehr sich auch dort eine rechtspopulistische Erzählung eingegraben hat.
Ajanović sagt: „Ein Problem, dass wir in Österreich sehen, ist, dass der Rechtspopulismus dieses Muster, also diese Einteilung in Gruppen, immer mehr normalisiert hat. Andere politische Kräfte abseits der FPÖ, unter anderem aus dem konservativen Lager, übernehmen es genauso. Nicht nur in ihrer Sprache, sondern auch in der politischen Praxis.“
Ein Beispiel gefällig? Das Thema „Wokeness“. Ajanović sagt: „Für Rechtspopulisten ist es einfacher, Gender Studies zum Feind zu erklären, anstatt sich um die Pflegekrise zu kümmern.“ Das merkt man auch im Anti-Gender-Kurs der ÖVP. Im Wahlkampf forderte der ehemalige Volkspartei-Chef Karl Nehammer noch ein Binnen-I-Verbot in der Verwaltung und an den Universitäten. „Viele Rechtspopulisten reden mittlerweile ja öfter über die geschlechtssensible Sprache als Feministinnen. Letzteren geht es aber ja vor allem darum, die Lebensbedingungen von Frauen zu verbessern. Da gehört Sprache natürlich dazu, aber es geht lange nicht nur um Gendersternchen und Binnen-I“, so Ajanović.
Für Rechtspopulisten ist es einfacher, Gender Studies zum Feind zu erklären, anstatt sich um die Pflegekrise zu kümmern.
Politikwissenschafterin
Auch das steirische Regierungsprogramm zwischen FPÖ und ÖVP ist ein Beleg dafür: Da ist von einem Kopftuch-Verbot im öffentlichen Dienst die Rede oder von einer Dokumentationsstelle gegen den politischen Islam. Bei den Baustellen Arbeitskräftemangel und Krise des Gesundheitssystems bleibt das Programm vage.
Es leidet also nicht nur die politische Kultur unter dem Rechtspopulismus, der sich abseits der FPÖ auch immer mehr in die Sprache und Programme der anderen Parteien frisst, sondern auch das reale inhaltliche politische Arbeiten. Mit großen Showeinlagen, so unterhaltsam sie auch sind, werden sich die großen Krisen unserer Zeit kaum lösen lassen. Sonst würde es wahrscheinlich auf Netflix laufen.