Wie die Regierung ihre Schäfchen ins Trockene bringt
Von Gernot Bauer und Max Miller
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Der höchstrangige zivile Job, der in der österreichischen Ministerialbürokratie derzeit zur Vergabe steht, ist die Leitung der Sektion IV – Pflegevorsorge, Behinderten- und Versorgungsangelegenheiten – im Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. Der bisherige Sektionschef ist im Ruhestand. Die Bewerbungsfrist für die Nachfolge läuft noch bis zum 10. Jänner 2024. Ausgeschrieben ist die Spitzenfunktion auf der Online-Jobbörse des Bundes.
Dort werden weiters gesucht: eine Abteilungsleiterin oder ein Abteilungsleiter für bilaterale internationale Angelegenheiten im Bildungsministerium; eine Abteilungsleiterin oder ein Abteilungsleiter für Internationale Beziehungen und internationale Kooperationen im Klimaschutzministerium und jemand für die Leitung der Abteilung für Rechts- und Vergabeangelegenheiten im Bundeskanzleramt.
Führungsjobs in Ministerien müssen öffentlich ausgeschrieben werden. Gute Chancen haben Bewerber aus den jeweiligen Ressorts. Wer schon stellvertretender Sektions- oder Abteilungsleiter ist, wird auch für den Chefposten geeignet sein. Noch immer dominiert in der Ministerialbürokratie die klassische Laufbahn. Beamte – oder Vertragsbedienstete – arbeiten sich emsig in der Hierarchie-Linie nach oben, vom Referat zur Sektion, im Idealfall vom Sachbearbeiter zum Sektionsleiter.
Im Karriereverlauf können dabei Quereinsteiger Konkurrenz machen, die zwar im selben Ressort, aber direkt im Zentrum der Macht arbeiten: im Ministerbüro. Kabinettsmitarbeiter sind immer für Spitzenjobs in der Verwaltung gut. Und je näher eine Nationalratswahl rückt, desto größer wird das Interesse daran. Denn mit dem Ende der Amtszeit von Ministern gehen auch die Jobs der Mitarbeiter verloren. Als gute Hirten müssen Minister schauen, dass sie ihre Schäfchen – heißt: Mitarbeiter – rechtzeitig ins Trockene bringen.
Vor vier Jahren durchleuchtete die Plattform „Addendum“ die weitere Karriere von 300 Kabinettsmitarbeitern in den SPÖ-ÖVP-Regierungen unter den Kanzlern Werner Faymann und Christian Kern. 18 Prozent gingen in Staatsbetriebe. 16 Prozent wechselten in die Privatwirtschaft, neun Prozent fanden einen Job in Interessenvertretungen wie Wirtschaftskammer oder Gewerkschaftsbund. Als größtes Auffangbecken erwies sich allerdings die öffentliche Verwaltung, wohin 38 Prozent der Kabinettsmitarbeiter wechselten. Bei vielen von ihnen änderte sich nicht einmal die Adresse, denn mehr als die Hälfte blieb in ihren Ressorts. Maximal mussten sie in einen anderen Stock im Ministeriumsgebäude übersiedeln – aus dem Ministervorzimmer in die normale Verwaltung.
Kein Cooling-off
Die Arbeit im Kabinett ist zeitintensiv und unsicher, wird dafür in der Regel aber gut honoriert. Wer in der Linie der Beamtenschaft ähnlich viel verdienen will, muss schon eine Leitungsfunktion ausüben, etwa als Gruppen- oder Abteilungsleiter. Von den 31 Kabinettsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern der schwarz-grünen Ministerien, die laut parlamentarischen Anfragen der NEOS seit 2021 in die Verwaltung wechselten, haben zwölf Leitungsposten übernommen. In der Opposition hatten die Grünen noch eine „Cooling-off-Phase“ gefordert, bevor Ministermitarbeiter in die Verwaltung wechseln.
Je wichtiger der Job im Ministerbüro, desto höher kann der Posten in der Verwaltung sein. Im Wunschszenario wird aus einem Kabinettschef also ein Sektionsleiter. Der Mechanismus funktioniert fraktionsübergreifend. Kanzler Werner Faymann machte seine ehemalige Kabinettschefin zur Leiterin der Präsidialsektion im Kanzleramt. Vizekanzler Heinz-Christian Strache beförderte seinen stellvertretenden Büroleiter zum Sportsektionschef und Vizekanzler Werner Kogler seinen früheren Bürochef immerhin zum Abteilungsleiter im Sportministerium. Mittlerweile hat rund die Hälfte aller Sektionschefs eine Vergangenheit in den Ministerbüros, sagt der Politikwissenschafter Laurenz Ennser-Jedenastik von der Universität Wien.
Allerdings: Eine Beförderung können Minister nicht im Alleingang durchziehen. Auch Wunschkandidaten müssen durch ein Bewerbungsverfahren und sich einer Personalkommission stellen. Kabinettsmitarbeiter verfügen oft über genug Fachwissen, um auch ohne Protektion oder eine günstige Ausschreibungsgestaltung bestgeeigneter Bewerber für eine Leitungsfunktion in der Verwaltung zu sein.
Selbst Thomas Schmid galt im Finanzministerium nicht ausschließlich als Karrierist. Er war Kabinettschef von ÖVP-Ressortchef Hans Jörg Schelling, der ihn zum Generalsekretär und damit zum höchsten – gegenüber allen Sektionschefs – weisungsbefugten Beamten des Ministeriums beförderte. Konkurrenz gab es dabei keine. Generalsekretäre müssen sich keinem Ausschreibungsverfahren stellen, das Vertrauen des Bundesministers reicht.
Wenn man sieht, dass man keine Aufstiegschancen hat, weil alle Spitzenpositionen von außen besetzt werden, geht man nicht mehr in die Verwaltung.
Manfred Matzka hat einen scharfen Blick auf noch unbesetzte Stellen, die mit Kabinettsmitarbeitenden besetzt werden könnten. Einst war er Chef der Präsidialsektion im Bundeskanzleramt und unterstützt nun die „Initiative Bessere Verwaltung“. In der Theorie spreche nichts dagegen, so Matzka, dass verdiente und kompetente Kabinettsmitarbeiter ihre Expertise in die Verwaltung einbringen. Die Realität sehe aber oft anders aus. Das liege schon an den unterschiedlichen Anforderungen zwischen Ministerbüro und Ministerium: „Ein Kabinett braucht etwa gute Medienmenschen und Personen, die mit der Partei Kontakte halten. In der Verwaltung braucht es hingegen echte Fachexperten.“
Zudem schafften es oft auch weniger Qualifizierte in die Kabinette. Bei Versetzungen in die Verwaltung würden diese dann als Chefs in Abteilungen sitzen, von deren Tätigkeiten sie wenig Ahnung hätten. Weiters schade der politische Einfluss langfristig der Attraktivität der öffentlichen Verwaltung: „Wenn man sieht, dass man keine Aufstiegschancen hat, weil alle Spitzenpositionen von außen besetzt werden, geht man nicht mehr in die Verwaltung.“
Teufelskreis der Politisierung
Oft müssen Posten erst geschaffen oder bestehende neu definiert werden, um sie besetzen zu können. Ein Hebel: Ändern sich die Aufgaben einer Leitungsfunktion um zumindest 25 Prozent, darf sie neu ausgeschrieben werden. „Jetzt ist die Zeit dafür gekommen“, sagt Matzka, denn mit Bewerbungszeit kann es drei bis vier Monate dauern, bis neue Gruppen- oder Abteilungsleiter fest im Sattel sitzen – und von neuen Ministern nicht sofort wieder degradiert werden können.
Von einem „Teufelskreis der Politisierung“ spricht Ennser-Jedenastik: Mit Blick auf fragliche Besetzungen ihrer Vorgänger würden sich manche Minister regelrecht gezwungen sehen, die Verwaltung selbst zu politisieren, um nicht gegen eine feindlich gesinnte Beamtenschaft zu regieren. Leichter wäre es, gar nicht erst anzufangen.
Doch davon ist man in Österreich weit entfernt, auch weil politische Postenbesetzungen nur dem Staat und nicht den Parteien schaden: Mehr als eine halbe Million Euro zahlte etwa das Innenministerium in den vergangenen zwölf Jahren an 40 Mitarbeiter, die bei einer Beförderung zu Unrecht übergangen wurden. Besonders häufig habe das Ministerium seine Mitarbeiter aufgrund ihrer Weltanschauung, also der politischen Einstellung, diskriminiert, kritisieren die NEOS. Politikwissenschafter Ennser-Jedenastik würde sich wünschen, dass nach einem entsprechenden Gerichtsurteil die Stelle erneut ausgeschrieben werden muss. Denn jetzt bleibt die zu Unrecht beförderte Person im Amt – und der Steuerzahler auf den Kosten sitzen.
Statt sich einzuschränken, verfeinert die Politik ihre Tricks: Will ein scheidender Ressortchef seinem Wunschkandidaten etwa einen Startvorteil verschaffen, überträgt er ihm interimistisch die Wunschposition. Dazu benötigt er keine Ausschreibung. Der Wunschkandidat kann bis zur dauerhaften Bestellung Leitungserfahrung sammeln und ist so im Bewerbungsverfahren für den neuen Posten meist – zumindest am Papier – am besten geeignet.
Letzte Hürde auf dem Weg zum Spitzenjob ist der Bundespräsident, dessen Unterschrift bei der Besetzung von Führungspositionen in der Verwaltung nötig ist. Alexander Van der Bellen hat es sich zur Gewohnheit gemacht, in den letzten zwei Monaten vor einer Nationalratswahl keine Neubesetzungen mehr zu unterschreiben. Allerdings betrifft dies nur Spitzenfunktionen wie Sektions- und Gruppenleitungen.
Tricksereien bei Ausschreibungen
In den Ministerien lassen sich sogar in laufenden Bewerbungsverfahren noch Änderungen durchführen: Als im Klimaschutzministerium eine neue Leiterin für die Abteilung III/4 gesucht wurde, fiel während der Bewerbungsphase die Zuständigkeit dieser Abteilung für die Luftfahrt weg, ein Bereich, in dem die später unterlegene Kandidatin ein einschlägiges Studium vorweisen konnte.
Das Kanzleramt ließ im Rahmen der Budgeterstellung großflächig umstrukturieren und erfand zwölf neue Leitungsfunktionen. SPÖ und FPÖ vermuten türkise Versorgungsposten, das Kanzleramt argumentiert mit „üblichem Verwaltungshandeln“: Das Krisensicherheitsgesetz sieht etwa „Berater/in der Bundesregierung“ plus Stellvertretung vor, mit einem Gehalt von mehr als 10.000 Euro im Monat.
Ohne große Aufregung wechselte schon im August eine ehemalige Sprecherin von Klimaministerin Leonore Gewessler vom Ministerbüro ins – im Klimaministerium angesiedelte – Patentamt, dessen Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit sie nun leitet. Hohe Funktionen kann bis zur Wahl im Herbst 2024 auch das Innenministerium noch vergeben, etwa die Leitung der Ermittlungsstelle zu Missbrauchsvorwürfen in der Polizei. Dazu ist noch ein Experten-Beirat zu besetzen.
Weniger prominent sind sogenannte Fachexperten: Ihre Stellen werden nicht öffentlich ausgeschrieben, sondern vom Beamtenministerium – wie aus Anfragebeantwortungen an die NEOS hervorgeht – „ad personam“ bewertet. Im ÖVP-Innenministerium gibt es einen besonders hohen Bedarf: Minister Gerhard Karner beschäftigt 15 Fachexpertinnen und -experten, alle anderen Ministerien zusammen 18.
Vom General zum Vorstand
Begehrte Posten bietet auch der staatliche Bereich: Erst diese Woche wurde der Generalsekretär des Klimaschutzministeriums, Herbert Kasser, zum Finanzvorstand der Autobahngesellschaft Asfinag ab Mai 2024 bestellt. Der 59-Jährige war noch bis Ende November selbst Asfinag-Aufsichtsrat und legte diesen Posten zurück, um sich für den Vorstand bewerben zu können. Skurriles Detail: Als der Aufsichtsrat über Kassers Bestellung entschied, musste sich ein Mitglied wegen Unvereinbarkeit enthalten: Kathrin Renz. Sie ist Sektionschefin im Klimaschutzministerium – und Noch-Generalsekretär Kasser ihr weisungsbefugter Chef. Aus dem Ministerium heißt es gegenüber profil, Kasser sei in den Ausschreibungsprozess nicht eingebunden gewesen.
Die nächste Regierung sollte auf Generalsekretäre verzichten.
Nach Kassers Wechsel zur Asfinag könnte Leonore Gewessler freihändig einen neuen Generalsekretär einsetzen. Ex-Präsidialchef Matzka hielte das für keine gute Idee – wie auch das System der Generalsekretäre als rein politisch besetzte Spitzen der Verwaltung insgesamt: „Die nächste Regierung sollte auf Generalsekretäre verzichten.“
Um die Politisierung der Verwaltung einzudämmen, müsste die Rekrutierung externer Mitarbeiter für die Ministerbüros eingebremst werden, sagt Ennser-Jedenastik: „Wir brauchen kleinere Kabinette, die stärker aus der Verwaltung rekrutieren.“ Die „Initiative Bessere Verwaltung“ fordert etwa, die Ministerbüros auf sechs Mitarbeiter zu beschränken. Zurzeit arbeiten dort oftmals mehr als 20 Personen. Ist die Größe des Kabinetts eingeschränkt, müssten Minister stärker auf die Qualität der Mitarbeiter achten – und es gibt weniger politische Günstlinge. In den meisten Ländern sind derartige Wechsel ohnehin die Ausnahme.
Einen Schritt weiter geht die Schweiz. Dort definieren Minister, welche Kompetenzen sie für Mitarbeiter benötigen. Die konkrete Person sucht dann eine unabhängige Kommission, die für alle Ministerien tätig ist. Auch Ennser-Jedenastik hält eine zentrale Stelle für sinnvoll – wenn die Parteien dann nicht erst recht dort ihren Einfluss geltend machen: „Man kann die Politik nicht so weit entmachten, dass sie gar keine Verantwortung mehr hat.“
Gernot Bauer
ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.
Max Miller
ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.