Wie ein illegaler Poker-Anbieter die Wiener Polizei austricksen wollte
Stellen Sie sich vor, ein Bankräuber würde der Polizei ein Mail schicken, in dem steht: „Mir ist es künftig erlaubt, eine Bank auszurauben.“
So ähnlich muss sich das Referat für Wirtschaftspolizeiliche Angelegenheiten bei der Landespolizeidirektion Wien Mitte Oktober gefühlt haben, als dort eine bemerkenswerte Nachricht einging: Ein Pokercasino-Betreiber ohne Konzession ließ der Polizei über seinen Anwalt ausrichten, dass er berechtigt sei, „im österreichischen Bundesgebiet das Pokerspiel durchzuführen“. Das Mail liegt profil vor.
Illegale wehren sich
Der Betreiber – ein Oberösterreicher mit Lokalen in mehreren Bundesländern, darunter in Wien – ist Wiederholungstäter: Mit Ende 2019 lief die Übergangsfrist für Pokercasinos aus, seither fällt Texas Hold‘em unter das Glücksspielmonopol. Das heißt: Nur Casinos mit einer Konzession des Finanzministeriums dürfen Pokerspiele anbieten. Das trifft nur auf die Spielbanken der Casinos Austria zu.
Die in die Illegalität verdrängten Poker-Betreiber wollten auf das lukrative Geschäft freilich nicht verzichten – und ließen es darauf ankommen. Das Spiel um die Pots ging unvermindert weiter, die Organisatoren taten so, als hätte es die Frist nie gegeben. Auch im Zehnten Bezirk in Wien wurde in aller Öffentlichkeit munter gezockt. Auf der Außenfassade wird das Lokal als „Card Casino“ bezeichnet, ein Herz, ein Pik, ein Treff und ein Karo machen klar, worum es drinnen geht.
Es kam, wie es kommen musste: Die Polizei schritt ein, beschlagnahmte Pokertische, Jetons und Kartenmischgeräte von dem Betrieb in Favoriten.
Juristischer Kniff
Game over? Nicht ganz: Der oberösterreichische Hintermann hatte noch ein Ass im Ärmel. Er ließ die Beschlagnahmungen nicht bloß beeinspruchen, sondern verlangte bis zur endgültigen rechtlichen Klärung eine „aufschiebende Wirkung“. Und zwar nicht nur, wie üblich, um die Zahlung der Strafe zu vertagen und die beschlagnahmten Objekte zurückzufordern. In dem Antrag, der profil ebenfalls vorliegt, heißt es: „Die Antragsstellerin [eine GmbH, Anm.] ist berechtigt, bis zur Entscheidung des [Verwaltungsgerichtshofes] über die gegenständliche Revision, das Pokerspiel durchzuführen;“
Das Verwaltungsgericht Wien gestand dem Betreiber die aufschiebende Wirkung zu. In seinem Beschluss ließ das Gericht allerdings offen, auf welche Passage im Antrag sich dieser Aufschub bezieht. Der Betreiber leitet daraus jedenfalls das Recht ab, an seinem Standort in Wien weiterhin Pokerrunden abzuhalten.
Die Landespolizeidirektion Wien war nach dem Beschluss des Verwaltungsgerichts offenbar verunsichert und dürfte die Kontrollen bei dem Lokal eingestellt haben, wie profil aus gut informierter Quelle berichtet wurde.
Hat der Betreiber mit seinem juristischen Winkelzug tatsächlich einen Weg gefunden, das österreichische Glücksspielgesetz auszuhebeln – und sein illegales Spiel im Wege eines Verwaltungsstrafverfahrens gegen ihn selbst zu legalisieren?
Gegenwehr aus dem Finanzministerium
Im Finanzministerium ist die Antwort darauf eindeutig: Nein. Das Ressort übermittelte kürzlich seine eigene Rechtsansicht an die Landespolizeidirektion, die 13-seitige juristische Abhandlung liegt profil vor. Es sei „kategorisch unmöglich“, die aufschiebene Wirkung vom Verwaltungsgericht „dahingehend umzudeuten, dass das Verwaltungsgericht den Antragsstellenden Parteien das Veranstalten von Pokerspielen vorläufig erlaubt hat“. Die aufschiebende Wirkung gelte nur für die „Hauptsache“ des Verfahrens, also die verhängte Geldstrafe.
Implizite Aufforderung an die Polizei: Das Glücksspielgesetz „ist unverändert zu vollziehen“. Das heißt: Einschreiten, beschlagnahmen, strafen.
Mit dem Rechtsgutachten hatte das Finanzministerium vorerst das bessere Blatt: Anfang Dezember gingen Finanz und Polizei erneut gegen das Lokal in Favoriten vor – seither bleiben die Tische dort leer. Das versichert auch der Betreiber gegenüber profil.
Das Finanzministerium bestätigt gegenüber profil das Schreiben und den Rechtsstreit mit dem Pokerbetreiber. Dem Ressort seien aber keine „Probleme“ im Zusammenhang mit den Kontrollen der LPD Wien bekannt: „Das BMF als Oberhörde hat das nur in einem Informationsschreiben ausdrücklich klargestellt.“
Klagen gegen Beamte
Der Betreiber will sich nicht geschlagen geben und plant bereits seinen nächsten Zug. Laut profil-Infos geht sein Rechtsanwalt auch direkt gegen einzelne Finanzbeamte vor und zeigt sie wegen Amtsmissbrauch an. Selbst wenn bei diesen Verfahren nichts rauskommen sollte, lähmen sie die Arbeit der Ermittler.
Pokern im Untergrund
Alleine in Wien dürften laut Kennern täglich 20 bis 30 illegale Pokerrunden zusammentreffen. Sie verabreden sich immer öfter in angemieteten Airbnb-Wohnungen, teils auch in luxuriösen Objekten. Durch die ständig wechselnden Locations werden Kontrollen der Behörden bewusst erschwert. Die Organisatoren der Turniere streifen von jedem Pot einen prozentuellen Anteil ein – je höher die Einsätze, desto lukrativer das Geschäft. Mittels Social Media informiert sich die Szene über die neuen Spielorte.
Das Bundeskriminalamt berichtet profil davon, „dass bei Kontrollen illegaler Pokerrunden immer wieder ehemalige Croupiers von früheren legalen Pokerstätten angetroffen werden konnten“. Die Spieler teilen sich grob in zwei Gruppen: Bei den Geheimrunden sind laut Kriminalisten Leute anzutreffen, die ihr Geld illegal erwirtschaftet haben und deshalb lieber im Untergrund spielen, um unter dem Radar zu bleiben. Einige Spieler kennen einander aber auch von früher – aus den legalen Lokalen.
Im Hintergrund lobbyieren ehemalige Pokermanager dafür, neue Lizenzen für Pokercasinos auszuschreiben. Aus ihrer Sicht würde das dem illegalen Spiel zumindest teilweise die Grundlage entziehen.