Wie es ist, von Putin ausspioniert zu werden
Achtung, jetzt wird es persönlich. Das ist eine Geschichte, in der ich eine Rolle spiele. Normalerweise meide ich es, über mich selbst zu schreiben, man ist nicht objektiv. Warum ich es jetzt trotzdem tue? Weil es ein Fall ist, der mich in Gefahr bringt – und der derzeit für internationales Aufsehen sorgt. Österreich einigermaßen ausgenommen. Die Untätigkeit der Justiz, das Schweigen vieler dazu in diesem Land, beeinflusst mich persönlich, beeinträchtigt meinen Berufsstand insgesamt – und bedroht das Land. Um was geht es? Eine bulgarische Staatsbürgerin hat im Auftrag des flüchtigen Ex-Wirecard-Chefs Jan Marsalek )und somit im Auftrag Wladimir Putins) spioniert – gegen Politiker, den Chef des Verfassungsschutzes, andere hochrangige Geheimnisträger aus dem Bereich Sicherheit – und zwei Journalisten, unter anderem gegen mich. Sechs ihrer Kollegen wurden gerade in einem spektakulären Prozess in London verurteilt, in Wien läuft die Frau frei herum. Warum? Gute Frage.
Ich bin seit fast 20 Jahren Journalistin, habe mich in den vergangenen zehn intensiv mit Korruptions- und Kriminalfällen beschäftigt. Wenn man das tut, dann muss man auf sich aufpassen. Angsthase darf man sowieso keiner sein. Als ich einmal über islamistische Terroristen schrieb, hat es nachher Personenschutz gebraucht. Eine politische Partei hat mir einmal einen Detektiv hinterhergeschickt – das hat mir der Parteimanager später, von mehreren Bieren illuminiert, gestanden und mir aus seinen Handynotizen vorgelesen, wann ich wo war. Ich habe ihn nicht angezeigt, er schuldet mir dafür auf ewig Insiderinformationen. Ein Unternehmer hat mir empfohlen, ich soll auf meine Kniescheiben aufpassen, wenn ich über den Zebrastreifen gehe. Das alles war unangenehm, teils gefährlich – aber ich fühlte mich vom Staat immer beschützt – und ernstgenommen. Aber Russland, der FSB, der größte Geheimdienst der Welt mit 350.000 Mitarbeitern, schickt mir seine Schergen hinterher? Das ist wirklich gruselig und wirklich gefährlich, wenn man sich internationale Fälle ansieht und die Methoden kennt: das geht von Nervengift über ungewöhnliche Fensterstürze bis zu Leichen in Flüssen.
BBC auf Recherche
Der britische Sender hat die Frau aufgespürt und mit der Kamera verfolgt. Sie leugnete ihre Identität
„Warum ich?“, habe ich einen hochrangigen Sicherheitsbeamten gefragt, nachdem ich im Herbst vergangenen Jahres vom Staatsschutz darüber informiert wurde, dass man mich monatelang beschattete, mein Laptop und mein Handy geklaut werden sollten. „Weil du eine Nervensäge bist“, sagt er. Gut, das höre ich öfter. In dem Fall meinte er meine ausführliche Berichterstattung über mutmaßlich korrupte Verfassungsschützer, die für Russland spionieren sollen – ihre Tätigkeit gegen Geld für Jan Marsalek, dessen Machenschaften, seine Connections nach Russland und zur heimischen Politik (die ebenfalls gute Russlandkontakte hat und sich von Marsalek persönlich instrumentalisieren ließ). Ich habe damit Menschen demaskiert und ihnen ihr Geschäft verdorben.
Das ist Tsvetanka D.
BBC filmte die Frau, nannte ihren vollen Namen. Transparenz hilft, um Spionage zu verhindern.
Das wäre ohne die Hilfe von Informanten nicht möglich gewesen – deren Identität auch von Interesse ist. Also wurde mir eine in Wien lebende Bulgarin, die Teil einer international tätigen Spionagezelle war (ist?), auf den Hals gehetzt. Über Monate wurde ich beschattet – sie folgte mir zu meinem Arbeitsplatz und wer weiß wohin noch. Das war im Sommer 2022, das wissen wir aus sichergestellten Chats, aus denen wir einen Teil der Operation rekonstruieren können.
Räuberpistolen
Im Herbst 2024 wurde die Frau schließlich vom Verfassungsschutz nach monatelanger Beschattung festgenommen. Bis dahin war sie anscheinend als Spionin aktiv – auch nachdem ihre Kollegen bereits im Frühjahr in London verhaftet und nun in Windeseile zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt worden waren. Was ihr hier blüht? Bisher wenig bis nichts. Trotz intensiver (und qualitativ hochwertiger) Ermittlungen ist die Justiz wieder hier Schwachstelle im System. Die Frau wurde aus der U-Haft entlassen. Immerhin hatte sie ja einen Eid abgelegt, ihre Tätigkeiten für Putin einzustellen. Sie bleibt Beschuldigte, und versucht sich kooperativ zu zeigen, um einer Strafe zu entgehen. Historisch gesehen ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie eine bekommt, nicht besonders hoch. Noch nie hat es in Wien, der Hauptstadt der Spione, eine Verurteilung wegen Spionage gegeben. Anklagen fast ebenso wenig.
Die ermittelnden Behörden sind genauso frustriert wie ich und andere Betroffene – manche Involvierte denken sogar an Amtshaftungsklage. Warum kümmert man sich nicht darum? Sorgt für unsere Sicherheit? Warum müssen wir das selbst tun, mit teils hohen, privaten Ausgaben? Wie soll man als unabhängiger Journalist arbeiten, wenn man mit so etwas konfrontiert ist und dem nichts entgegengesetzt wird? Und warum ist es in Österreich immer wieder so egal, wenn derartige demokratieunterwandernde Operationen bekannt werden? Will man sich nicht selbst schützen? Warum geht man nicht härter vor? Was soll das?
Auch Journalistenkollegen fragen mich das dieser Tage laufend. Ich habe viele Interviews gegeben – profil ist in Bulgarien nun weltberühmt. BBC kam nach Wien, um die Spionin hier mit der Kamera zu verfolgen und sie zu fragen, warum sie tut, was sie tat. Antwort: keine. Der „Falter“ hat als erstes österreichisches Medium (nach profil im Dezember) ausführlich über den Fall berichtet und dessen Tragweite hervorgehoben (danke!) – das trägt zu Sicherheit bei. Transparenz macht es solchen Subjekten schwieriger, ihrer Spionagetätigkeit weiter nachzugehen, und hat im Idealfall eine präventive, abschreckende Wirkung.
Heilende Transparenz
Darum hier nun ein Spotlight auf die 49-jährige Tsveti D.: Wer ist diese Frau? Meine Kollegin Marina Delcheva hat mit mir recherchiert. Sie will nicht mit uns sprechen, also sprachen wir mit jenen, die sie kennen.
Zuerst glaubte D. bei Corona an eine große Weltverschwörung böser Mächte. Das war 2020. Dann wurde sie zur Impfgegnerin. Und als Russland 2022 die Ukraine überfiel, wurde sie auch noch zur glühenden Russland-Verfechterin und verbreitete bereitwillig allerlei Propaganda gegen den Westen, gegen die Ukraine und für den Kreml. „Sie ist eigentlich kein schlechter Mensch. Sie hat jedenfalls ein sehr einfaches Gemüt. Aber irgendwo ist sie dann falsch abgebogen“, berichtet ein früherer Bekannter der Frau.
Ihre mittlerweile gelöschten Social-Media-Profile zeigen das: Schmollmund hier, sexy im Fitnessstudio da, hunderte Selfies mit Katze. Eine Spionin in Jogginghose. Die Realität ist oft viel banaler als jeder James-Bond-Film. Und die Lebensrealität von Tsvetanka D. ist voller Banalitäten.
Arbeitslos, aber nicht arm
Tsvetanka D. hält nicht viel von offizieller Erwerbsarbeit - trotzdem mangelt es nicht an Geld.
„Ich hatte lange Zeit überhaupt keine Ahnung, wie diese Frau überhaupt ihren Lebensunterhalt bestreitet“, sagt Plamen B. „Naja, jetzt habe ich zumindest eine Ahnung.“ Er betreibt eine Reinigungsfirma im 16. Wiener Gemeindebezirk und war 2015 für kurze Zeit ein Vorgesetzter von D. Sie hat damals Bürogebäude und Lokale geputzt. B. lernte die Frau über einen Freund kennen, der mit D. in einer Beziehung war.
Wir wissen: 2014 übersiedelte sie von der bulgarischen Hauptstadt Sofia nach Wien. Ihre Mutter lebte schon eine Zeit lang hier. Heute lebt sie im 23. Bezirk in einem Genossenschaftsbau - langweilige Gegend. „Sie war eine nette, aber eine sehr einfache Frau. Sie beherrschte keine Fremdsprachen, auch kein Russisch. Ganz ehrlich, ich kann nicht glauben, wie so jemand ein russischer Geheimagent wird“, scherzt B.
Bald trennen sich beide einvernehmlich. B. ist nicht sehr zufrieden mit ihrer Arbeit und sie hat auch wenig Lust auf Putzen. Danach hält sie sich mit der Mindestsicherung und kleinen Gelegenheitsjobs über Wasser. Offenbar auch mit recht gut entlohnten vom russischen Geheimdienst – denn an Geld mangelte es ihr offenbar nicht.
Posende Spionin mit Katze
Tsvetanka D. postete viele Katzenfotos. Und auch sonst postete sie viel.
Auf Social Media postete sie Fotos in schicken Kleidern und von teuren Urlauben – und auch die Beautybehandlungen, denen sie sich offensichtlich unterzogen hat, sind normalerweise nicht günstig. „Sie war die ganze Zeit auf Facebook und online sehr aktiv. Ich frage mich, wann sie überhaupt Zeit hatte, zu arbeiten“, sagte Plamen B. In den sozialen Medien wurde ihre Veränderung deutlich. Ab 2020 habe sie begonnen, Corona-Verschwörungstheorien zu verbreiten und später gegen die Impfung zu kampagnisieren, erzählen ehemalig Bekannte der Frau. Sie habe sich als Nicht-Geimpfte diskriminiert gefühlt und habe Schwierigkeiten gehabt, Arbeit zu finden, so ein Bekannter von D. Sie habe auch Sympathien für die FPÖ und Herbert Kickl gehegt - und im Netz bekundet.
Rund um Russlands Invasion in die Ukraine 2022 kam dann die pro-russische und anti-ukrainische Propaganda hinzu. Tsvetanka posierte in Putin-Shirts und vor dem Russendenkmal. Heute sind die unzähligen Russland-Postings von damals auf ihren Social-Media-Profilen gelöscht und man kann sie auch nicht mehr öffentlich einsehen. profil hat alles gespeichert.
Shirt-Selfies
Tsvetanka D. kann getrost als Putin-Klatscherin bezeichnet werden. Auf dem Shirt steht: "Ich lese eure Gedanken"
Dass der Spionagering, der in London aufgeflogen ist, aus Bulgaren besteht, ist kein Zufall. Seit 2022 wirbt der russische Auslandsgeheimdienst GRU gezielt und massenhaft Bulgaren und Serben für größere und kleinere Spionagedienste an. Das Ausmaß und die massive Einmischung und Rekrutierung Russlands wird für die bulgarischen Sicherheitsbehörden immer mehr zum Problem. Man aktiviert aber nicht nur alte Kontakte und pensionierte Militär- und Geheimdienstkader aus dem Kalten Krieg. Vielmehr zielt Russland auf Personen aus dem organisierten Verbrechen ab, das in beiden Ländern besonders gut organisiert ist und Kontakte bis in die Spitzenpolitik pflegt. Auch einem der beiden in London inhaftierten Spione wird eine kriminelle Vergangenheit nachgesagt.
Außerdem ist das Reisen für russische Agenten seit Kriegsbeginn schwieriger und riskanter geworden. Also setzt man lieber auf Hilfskräfte im Ausland. Je loyaler, unauffälliger und weniger gut gebildet, desto besser. In Bulgarien und Serbien ist die Sympathie für Russland trotz des Kriegs verhältnismäßig hoch. Außerdem haben sich viele Russen nach Kriegsbeginn in diese beiden Länder abgesetzt – und bei Weitem nicht alle von ihnen sind Regime- und Kriegskritiker.
Schon während des Kalten Kriegs galten bulgarische Agenten als überaus loyal und haben immer wieder „Drecksarbeiten“ für den KGB erledigt. Auch in Wien, wo sie diese Tradition derweil recht ungestört weiterleben. Vielleicht fühlt sich die Justiz nicht bemüßigt, das abzustellen. Wir schon. Wir lassen uns nicht einschüchtern und werden weiter die Undercoveragenten, so gut wir können, aufdecken. Schauen wir mal, wer über wen mehr herausfindet.