Im März übergab er dem Wiener Rathaus eine Bürger-Petition gegen die „Versiegelung von Grünraum“. Es geht um die geplante Erweiterung des südlichen Stadtteils Kaiserebersdorf um bis zu 5000 Wohnungen bis 2040. Der Bezirk würde dadurch von derzeit 110.000 auf 135.000 Menschen anwachsen. Der Wiener Bauboom der vergangenen Jahrzehnte spielte sich bisher wesentlich in Liesing, im östlichen Nachbarbezirk Donaustadt und im westlichen Favoriten ab. Jetzt ist auch Simmering dran. So sehen es die Wachstumspläne der Stadtregierung vor.
Ein Bezirk, der die Stadt versorgt und entsorgt
Platz gibt es auf den ersten Blick noch genug. „Oben“ in Favoriten, hinter dem Grenzhügel Laaerberg, wohnen doppelt so viele Menschen wie in Simmering. Das Simmeringer „Tal“, das sich „unten“ bis zur Donau erstreckt, besteht noch immer zu 40 Prozent aus Grünfläche. Die Hälfte ist landwirtschaftlich genutzt. So beherbergt Simmering das größte in sich geschlossene Gartenbaugebiet in einer europäischen Stadt. Ein weiters Unikum unter Wiens Bezirken: Vom Bauland, das 37 Prozent der Fläche ausmacht, wird mehr als die Hälfte betrieblich genutzt. Simmering ist deswegen so betriebsam, weil es die ganze Stadt versorgt. Einerseits mit Elektrizität und Fernwärme aus dem Kraftwerk Simmering, das den Bezirk seit 1900 mit seinen weithin sichtbaren Türmen prägt. Andererseits mit Gemüse. Auch dank Fernwärme, die all die Gewächshaus-Siedlungen ganzjährig heizt. Simmering versorgt und entsorgt. Mit der Hauptkläranlage der Stadt und der Müllverbrennungsanlage auf der Simmeringer Haide. Den Kreislauf des städtischen Lebens rundet der Zentralfriedhof mit seinen 330.000 Gräbern auf einem Zehntel der Bezirksfläche ab.
Simmering ist politisch kaum zu fassen. Es ist Stadt bei den Gasometern, Dorf in Kaiserebersdorf, Hafen im Stadtteil Albern. Und überall auch alles dazwischen – mit wuchtigen, elfstöckigen Gemeindebauten für 3000 Menschen in Kaiserebersdorf und Dorfhäusern entlang der Simmeringer Hauptstraße mitten in der Stadt. Bei Letzteren will der blaue Stadler ansetzen. „Ich bin nicht gegen Wohnbau. Aber bevor wir neue Grünflächen versiegeln, sollten Häuser auf bereits versiegelten Flächen aufgestockt werden.“
Wenn die FPÖ auf Hamster, Ziesel kommt
Von der geplanten Versiegelung im Grünen wären 33 Hektar betroffen. Macht drei Prozent der aktuellen Grünfläche und weniger als ein Prozent der Bezirksfläche. „Das sind Naherholungsgebiete für Anrainer und Lebensräume für Wildtiere wie Hamster, Hasen und Ziesel“, insistiert Stadler, als wäre er von den Grünen. Sein Kampf für struppige Wiesen und Felder hat aber nicht nur einen ökologischen Hintergrund. Wie bereits 2015 geht es gegen den zu raschen Wandel im Bezirk. Und wie damals hat seine Kampagne einen Haken – die Umsetzbarkeit. Denn so schwer es war, das kulinarische Angebot auf der Simmeringer Hauptstraße politisch zu beeinflussen, so schwer wäre es, private Hauseigentümer davon zu überzeugen, für Wohnprojekte Platz zu machen.
Mit nachhaltigem Anbau und Wachstum kennt sich Bezirksvorsteher Thomas Steinhart (51) aus. Der Sozialdemokrat stammt in sechster Generation aus einer Simmeringer Gärtner-Familie. „Simmering könnte Wien zu 100 Prozent mit Gurken, Paradeisern und Paprika versorgen – und eigentlich auch ganz Österreich“, sagt er stolz. Dass auch Gemüsebauern SPÖ wählen, ist im historischen Arbeiterbezirk normal. Die Schulen sind nach SPÖ-Ikonen wie Bruno Kreisky oder Rosa Jochmann benannt. Bei Wien-Wahlen fuhr Simmering immer wieder das stärkste SPÖ-Ergebnis ein. Und auch bei der vergangenen Nationalratswahl wählten fast 40 Prozent rot.
Versiegelung hier, Entsiegelung dort
Steinhart steht in der Mitte des Svetelsky-Vorplatzes nahe der Bruno-Kreisky-Mittelschule. Von hier ist es auch nicht weit nach Niederösterreich und in die drei umkämpften Stadterweiterungsgebiete Kaiserebersdorfs. Auch Steinhart hat keine rechte Freude mit den Plänen, würde sie gerne redimensionieren. „Die landwirtschaftlichen Grünflächen sind wichtig für Simmering.“ Außerdem gehe der älteren Bevölkerung die Veränderung im Bezirk zu schnell. Deswegen tritt er für ein „gemäßigteres Wachstum“ ein. Doch er weiß: Die Masterpläne im Rathaus kann ein Bezirksvorsteher nicht beeinflussen – egal welcher Couleur.
Der Svetelsky-Vorplatz selbst wurde im Frühjahr entsiegelt und begrünt. „Klimafit gemacht“, nannte es die umtriebige SPÖ-Planungsstadträtin Ulli Sima beim Fototermin mit Steinhart im Mai. Als Nächstes soll der Enkplatz auf der oberen Simmeringer Hauptstraße „klimafit“ werden. Zum Spatenstich schaute Sima Anfang Juli vorbei. Der Platz ist mit U-Bahn-Station, Tiefgarage und Amtshaus das politische Zentrum des Bezirks. Stadler lehnt an einem Bauzaun und schaut skeptisch auf den Platz. Immer wieder grüßen ihn Passanten und wechseln ein paar Worte mit ihm. Man merkt: Der Politiker und frühere Unternehmer, der einst unweit vom Enkplatz mit Flüssiggas-Flaschen handelte, war politisch nie weg.
Wendige Politik im Wendebezirk
„Wie soll das klimaneutral sein?“, bezweifelt Stadler, dass die dünne Erdschicht über der Tiefgarage ausreichend CO2 bindet. Er beruft sich auf „Studien im Internet“ und bereitet offenbar den nächsten Nadelstich gegen die SPÖ vor. Im Café gegenüber kann der „grüne“ Stadler aber auch ganz anders: Er wettert gegen den „Parkplatzraub“ im Bezirk.
Man kann es klassischen FPÖ-Populismus nennen. Oder Anpassung an einen Bezirk, der de facto in zwei politische Welten geteilt ist: Links Richtung Zentrum, Rechts Richtung Land. Wo ein neuer Radweg für die einen Fluch, die anderen Segen sein kann. „Simmering ist verdammt schwer zu regieren“, weiß auch der Bezirksvorsteher Steinhart. „Was hier passt, passt dort nicht“, beschreibt er den nötigen Spagat.
Einer, der sich diesen Spagat gar nicht erst groß antut, ist der gebürtige Simmeringer Dominik Wlazny. Der Musiker mit dem Künstlernamen Marco Pogo ist Chef der Bierpartei und eroberte bei der Wien-Wahl im Jahr 2020 ein Bezirksmandat in Simmering. Im Mai 2024 legte er es zurück, wohl um sich ganz auf die Nationalratswahl vorzubereiten. Wiederholte profil-Anfragen an die Bier-Partei, was sie im Bezirk erreicht hat und noch erreichen will, blieben unbeantwortet.
Mediale Abstinenz war schon bisher ein Markenzeichen der Bier-Partei mit ihren Simmeringer Wurzeln. Dennoch kann Pogo als Blackbox für Protestwähler sowohl der SPÖ als auch der FPÖ gefährlich werden.
Es ist nämlich wesentlich leichter, Freibier für Simmering zu versprechen als neue Würstelstände.