Wie Stadler den rot-blauen „Swing State“ Simmering zurückholen will
Der unkonventionellste FPÖ-Politiker, Paul Stadler, will wieder Bezirkschef werden. Er gibt sich neuerdings grün und kämpft für Hase und Ziesel. Er kann aber auch auf so manche türkische Stimmen hoffen.
In Simmering läuft ein launiger „Beef“ zwischen SPÖ und FPÖ. Es geht um die Frage, wer in seiner Amtszeit für neue Würstelstände gesorgt hat. Hintergrund: 2015 wurde der heute 68-jährige Paul Stadler in Simmering der erste freiheitliche Bezirkschef in der Geschichte Wiens.
Der leutselige Mann mit korpulenter Erscheinung kritisierte den zu raschen Wandel auf der Simmeringer Hauptstraße und traf damit einen Nerv. Die 8,4 Kilometer lange Straße durchzieht den Bezirk und ist im Zentrum von Döner-Läden und Barber-Shops geprägt.
Stadler sprach von „Little Istanbul“ und weckte bei seiner Klientel die Hoffnung auf eine Rückkehr von Käsekrainer & Co. in einem Bezirk mit 110.000 Einwohnern, 35 Prozent davon Ausländer.
Zehn Jahre später gibt es nicht nur türkisches, sondern auch syrisches Kebab („Schawarma“), aber keine neuen Käsekrainer.
Dafür kann Thomas Steinhart, der den Bezirk bei der Landtagswahl 2020 für die SPÖ zurückholte, auf einen neuen Würstelstand verweisen.
Der liegt zwar nicht auf der Simmeringer Hauptstraße, sondern beim 3. Tor des Zentralfriedhofs. Und neu ist nur der Pächter, nicht der Stand, wie Stadler anmerkt. Aber dennoch: Punkt für die SPÖ.
In Simmering, dem 11. Wiener Gemeindebezirk, geht es zwischen FPÖ und SPÖ seit Jahren um die Wurst. Der Bezirk ist der rot-blaue „Swing State“ schlechthin und politisch de facto geteilt.
Die zentrumsnahen, urbaneren „Nordstaaten“ des Bezirks wählen mehrheitlich rot, die dörflicher geprägten „Südstaaten“ Richtung Niederösterreich blau. Für die restlichen Parteien ist im historischen Arbeiterbezirk wenig zu holen. Ansonsten spielt sich das rot-blaue Match mittlerweile auf den vielen grünen Wiesen des Bezirks ab.
Bei der Wien-Wahl Ende April will Stadler den Bezirk für die Freiheitlichen zurückholen. In aktuellen Umfragen liegt die FPÖ in ganz Wien mit knapp über 20 Prozent weit abgeschlagen hinter der SPÖ, die bei rund 40 Prozent hält.
Nach dem Absturz bei der Wahl 2020 (dank Ibiza-Affäre und Spesen-Affäre) würden sich die Freiheitlichen dennoch mehr als verdoppeln.
Und auf Bezirksebene sorgte Stadler dank seiner Präsenz, Leutseligkeit und Bekanntheit schon 2020 mit 28 Prozent für einen deutlichen Ausreißer nach oben.
Er kann sich deswegen von allen FPÖ-Kandidaten in den 23 Bezirken die größten Chancen ausrechnen, einen davon blau einzufärben.
Überrascht habe ihn, dass türkischstämmige Simmeringer vermehrt signalisieren würden, ihn zu wählen - aus Ärger über Flüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan, schildert Stadler.
„Einer kam extra aus dem Friseurladen raus, ein anderer hat mir dazu einen Kebab in die Hand gedrückt. Ich habe abgelehnt, aber nur, weil ich seit Monaten abspecke.“ Auch die erste Einladung seiner Beisl-Tour ins türkische Café sei ausgesprochen worden.
Gefragt, ob er wie andere FPÖ-Politiker aktiv auf die türkische Community zu gehe, verneint er. Ihm ist aber bewusst, dass sie einen Unterschied machen könnten. Denn 2015 holte er den Bezirk mit 400 Stimmen Überhang gegenüber der SPÖ.
Zwischen Dorf, Stadt und grüner Wiese
Stadlers Kampagne ist angelaufen. Sie richtet sich nicht gegen Kebab-Läden, sondern gegen einen Rad-Highway, „der 100 Parkplätze vernichtet“ , sagt Stadler. Soweit so ideologisch erwartbar.
Weiter außerhalb vom Simmeringer Stadtkern, Richtung Kaiserebersdorf, kann Stadler aber auch ganz anders. Er kämpft gegen die großflächige Verbauung von Brachland und für die dort ansässigen Wildtiere - vom Hamster bis zum Ziesel.
Dabei klingt er fast wie ein Grüner. Im März 2024 übergab er dem Wiener Rathaus eine Bürger-Petition gegen die „Versiegelung von Grünraum“. Es geht um die geplante Erweiterung des südlichen Stadtteils Kaiserebersdorf um bis zu 5000 Wohnungen bis 2040.
Der Bezirk würde dadurch von derzeit 110.000 auf 135.000 Menschen anwachsen. Der Wiener Bauboom der vergangenen Jahrzehnte spielte sich bisher wesentlich in Liesing, im östlichen Nachbarbezirk Donaustadt und im westlichen Favoriten ab.
Jetzt ist Simmering dran. So sehen es die Wachstumspläne der Stadtregierung vor.
Platz gibt es auf den ersten Blick noch genug. „Oben“ in Favoriten, hinter dem Grenzhügel Laaerberg, wohnen doppelt so viele Menschen wie in Simmering.
Das Simmeringer „Tal“, das sich „unten“ bis zur Donau erstreckt, besteht noch immer zu 40 Prozent aus Grünfläche. Die Hälfte ist landwirtschaftlich genutzt. So beherbergt Simmering das größte in sich geschlossene Gartenbaugebiet in einer europäischen Stadt.
Ein weiters Unikum unter Wiens Bezirken: Vom Bauland, das 37 Prozent der Fläche ausmacht, wird mehr als die Hälfte betrieblich genutzt.
Simmering ist deswegen so betriebsam, weil es die ganze Stadt versorgt. Einerseits mit Elektrizität und Fernwärme aus dem Kraftwerk Simmering, das den Bezirk seit 1900 mit seinen weithin sichtbaren Türmen prägt.
Andererseits mit Gemüse. Auch dank Fernwärme, die all die Gewächshaus-Siedlungen ganzjährig heizt. Simmering versorgt und entsorgt. Mit der Hauptkläranlage der Stadt und der Müllverbrennungsanlage auf der Simmeringer Haide.
Den Kreislauf des städtischen Lebens rundet der Zentralfriedhof mit seinen 330.000 Gräbern auf einem Zehntel der Bezirksfläche ab.
Simmering ist politisch kaum zu fassen. Es ist Stadt bei den Gasometern, Dorf in Kaiserebersdorf, Hafen im Stadtteil Albern.
Und überall auch alles dazwischen – mit wuchtigen, elfstöckigen Gemeindebauten für 3000 Menschen in Kaiserebersdorf und Dorfhäusern entlang der Simmeringer Hauptstraße mitten in der Stadt.
Bei Letzteren will der blaue Stadler ansetzen. „Ich bin nicht gegen Wohnbau. Aber bevor wir neue Grünflächen versiegeln, sollten Häuser auf bereits versiegelten Flächen aufgestockt werden.“
Von der geplanten Versiegelung im Grünen wären 33 Hektar betroffen. Macht drei Prozent der aktuellen Grünfläche und weniger als ein Prozent der Bezirksfläche.
„Das sind Naherholungsgebiete für Anrainer und Lebensräume für Wildtiere wie Hamster, Hasen und Ziesel“, insistiert Stadler. Sein Kampf für struppige Wiesen und Felder hat aber weniger einen ökologischen Hintergrund.
Wie bereits 2015 geht es gegen den zu raschen Wandel im Bezirk. Und wie damals hat seine Kampagne einen Haken – die Umsetzbarkeit. Denn so schwer es war, das kulinarische Angebot auf der Simmeringer Hauptstraße politisch zu beeinflussen, so schwer wäre es, private Hauseigentümer davon zu überzeugen, für Wohnprojekte Platz zu machen.
Mit nachhaltigem Anbau und Wachstum kennt sich Bezirksvorsteher Thomas Steinhart (51) aus. Der Sozialdemokrat stammt in sechster Generation aus einer Simmeringer Gärtner-Familie.
„Simmering könnte Wien zu 100 Prozent mit Gurken, Paradeisern und Paprika versorgen – und eigentlich auch ganz Österreich“, sagt er stolz.
Dass auch Gemüsebauern SPÖ wählen, ist im historischen Arbeiterbezirk normal. Die Schulen sind nach SPÖ-Ikonen wie Bruno Kreisky oder Rosa Jochmann benannt. Bei Wien-Wahlen fuhr Simmering immer wieder das stärkste SPÖ-Ergebnis ein. Und auch bei der vergangenen Nationalratswahl wählten fast 40 Prozent rot.
Versiegelung hier, Entsiegelung dort
Steinhart steht in der Mitte des Svetelsky-Vorplatzes nahe der Bruno-Kreisky-Mittelschule. Von hier ist es auch nicht weit nach Niederösterreich und in die drei umkämpften Stadterweiterungsgebiete Kaiserebersdorfs.
Auch Steinhart hat keine rechte Freude mit den Plänen, würde sie gerne redimensionieren. „Die landwirtschaftlichen Grünflächen sind wichtig für Simmering.“
Außerdem gehe der älteren Bevölkerung die Veränderung im Bezirk zu schnell. Deswegen tritt er für ein „gemäßigteres Wachstum“ ein. Doch er weiß: Die Masterpläne im Rathaus kann ein Bezirksvorsteher nicht beeinflussen – egal welcher Couleur.
Der Svetelsky-Vorplatz selbst wurde im Frühjahr entsiegelt und begrünt. „Klimafit gemacht“, nannte es die umtriebige SPÖ-Planungsstadträtin Ulli Sima beim Fototermin mit Steinhart im Mai.
Als Nächstes kam der Enkplatz auf der oberen Simmeringer Hauptstraße dran. Zum Spatenstich schaute Sima Anfang Juli vorbei. Der Platz ist mit U-Bahn-Station, Tiefgarage und Amtshaus das politische Zentrum des Bezirks.
Stadler lehnt an einem Bauzaun und schaut skeptisch auf den Platz. Fragt sich, wie klimafit er wirklich ist. Immer wieder grüßen ihn Passanten und wechseln ein paar Worte mit ihm. Man merkt: Der Politiker und frühere Unternehmer, der einst unweit vom Enkplatz mit Flüssiggas-Flaschen handelte, war politisch nie weg.
Wendige Politik im Wendebezirk
Man kann es klassischen FPÖ-Populismus nennen. Oder Anpassung an einen Bezirk, der de facto in zwei politische Welten geteilt ist: Links Richtung Zentrum, Rechts Richtung Land.
Wo ein neuer Radweg für die einen Fluch, die anderen Segen sein kann. „Simmering ist verdammt schwer zu regieren“, weiß auch der Bezirksvorsteher Steinhart. „Was hier passt, passt dort nicht“, beschreibt er den nötigen Spagat.
Mit Stadler hat er einen unkonventionellen Blauen als Gegner, dem der Spagat bisher erstaunlich gut gelungen ist.
Hinweis
Dieser Artikel erschien erstmals im September vor der Nationalratswahl 2024. Er war damals schon auf die Wien-Wahl 2025 ausgerichtet und wurde minimal aktualisiert.
Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.