Gefährdet, gefährlich, gefangen
Von Max Miller
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Eine Ein-Zimmer-Wohnung mitten in Wien. An einer Wand stapeln sich Glaskästen und Plastikboxen mit Schlangen, Spinnen und Skorpionen. In einem der Terrarien rekeln sich zwei Aspisvipern, in einigen anderen insgesamt sieben Hornvipern, die giftigste Schlangenart am europäischen Festland. Ein einzelner Biss kann tödlich enden. In Wien ist die Haltung daher verboten. Tobias (Name von der Redaktion geändert) schlief dennoch jahrelang neben seinen illegalen Haustieren.
Er ist nicht der Einzige. Giftige Schlangen, tropische Vögel und seltene Echsen finden über den Flughafen Schwechat oder die grüne Grenze ihren Weg nach Österreich. Der Schmuggel seltener Tierarten floriert, der Kauf soll nun verboten werden. Was geschieht mit den Tieren, wenn sie vom Zoll erwischt werden – und was, wenn sie durch die Kontrollen schlüpfen?
227 illegal geschmuggelte Tiere griff der Zoll 2023 auf. Der Großteil davon waren klassische Haustiere wie Hunde oder Katzen. Fotos des Zolls zeigen Kleinlaster, deren Kofferräume mit Welpen in Transportkisten vollgestopft sind. Die Tiere werden häufig unter desolaten Umständen gezüchtet, sind oft krank oder tragen gefährliche Erreger, warnt der Zoll mögliche künftige Herrchen und Frauchen. Der Weg der geschmuggelten Hunde und Katzen nach Österreich ist meist kurz. Bei exotischen Tieren ist das anders.
Kriminelles Milliardengeschäft
34 lebende, artgeschützte Tiere beschlagnahmte der Zoll 2023, darunter Geckos, Schlangen, Skorpione und 18 Gelbkopfpapageie. Die allermeisten von ihnen landeten mit dem Flugzeug in Schwechat. Welche Tiere und Pflanzen geschützt sind, regelt das Washingtoner Artenschutzabkommen CITES. Mit den richtigen Papieren können auch geschützte Arten etwa für Forschungszwecke oder Zoos transportiert werden. 2019 wurden in der EU etwa legale CITES-Transporte im Wert von fast 990 Millionen Euro verzeichnet.
Der illegale Handel dürfte weit darüber liegen: Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) schätzte den Schmuggel artgeschützter Tiere, tot oder lebendig, schon 2002 auf fünf bis acht Milliarden US-Dollar. Auf einem ähnlichen Niveau liegt der internationale Waffenschmuggel. Die Hauptziele der Tierschmuggler sind die USA, Japan und die EU. In der Europäischen Union wurden lebende Tiere 2021 vor allem in Malta, den Niederlanden und Belgien erwischt. Zypern, Luxemburg und der Slowakei ging hingegen kein einziges Tier ins Netz.
Am Flughafen Wien-Schwechat kontrolliert der Zoll mit eigens trainierten Artenschutzhunden. „Bei lebenden Tieren schlägt eigentlich jeder Artenschutzhund bei uns an“, sagt Thomas Joszt. Der Zollexperte war 13 Jahre lang am Flughafen Wien im Reiseverkehr tätig. Seit 2018 ist er Referent für Verbote und Beschränkungen im Finanzministerium und damit auch für den Artenschutz zuständig. Schlägt ein Hund an oder wird ein Abbild eines Tieres im Röntgengerät erkannt, kann es schnell gehen: Partner wie der Tiergarten Schönbrunn werden informiert – und das Gepäckstück mitunter ungeöffnet von Schwechat nach Wien gebracht, erklärt Joszt: „Man weiß ja nicht, ob die Schlange im Koffer giftig ist.“
Vom Flughafen in den Tiergarten
In Schönbrunn wird das Gepäckstück in einen leeren Raum gestellt. „Dort gibt es nichts, wo ein Tier drunterkriechen kann“, sagt Anton Weissenbacher, Leiter des Aquarien- und Terrarienhauses im Tiergarten Schönbrunn. Mit Handschuhen und Schutzbrillen ausgerüstet, öffnen zwei Tierpflegerinnen oder Tierpfleger jede einzelne Seitentasche. Ein Dritter kontrolliert, dass kein Tier entkommt. „2019 hatten wir einen Schmuggel mit 30 Giftschlangen. Da muss man schon sehr vorsichtig sein“, erklärt Weissenbacher. Die Tiere kommen in schlichte Transportboxen, werden mit Wasser versorgt und bestimmt.
2021 erwischte der Zoll einen Schmuggler in Schwechat mit 74 Chamäleons aus Tansania. Zwischen seine Schmutzwäsche hatte er Tupperware- und Eisboxen gepackt. Darin waren die artgeschützten Tiere in Waschsäckchen und Socken gequetscht. Der Schmuggler hatte so acht verschiedene Chamäleon-Arten transportiert, um sie in Europa zu verkaufen. In ihrer Heimat Tansania ist es so feucht, dass die Tiere das Trinken verlernt haben. Stattdessen öffnen sie die Lippen und lassen Wassertropfen von ihrem Kopf in den Mund rinnen. Um den Durst der Tiere nach der langen Reise zu stillen, musste im Tiergarten jedes Chamäleon einzeln mit Pipetten getränkt werden.
Daran hat sich bis heute nichts geändert: In einem kleinen Raum unter dem Aquarien- und Terrarienhaus leben die seltenen Chamäleons im Tiergarten Schönbrunn. Durch intensive Pflege inklusive regelmäßigem persönlichen Tränken haben sich die Tiere erholt – und fortgepflanzt: Mehr als 200 Chamäleons wurden nachgezüchtet.
Insgesamt hält der Tiergarten in den engen Gängen unter dem Aquarien- und Terrarienhaus rund 1500 Tiere, die den meisten Besuchern bisher verborgen blieben. Einige von ihnen werden ab dem Frühsommer in einem neuen Artenschutzzentrum mit Schmuggel-Schwerpunkt ausgestellt. Dort soll auf die Gefahr des Schmuggels hingewiesen werden – und auf die Notwendigkeit der Zucht: Manche Tierarten bleiben nur im Tiergarten erhalten. Sechs Fischarten, die in Schönbrunn gezüchtet werden, wurden in freier Wildbahn bereits ausgerottet.
Zerstörte Heimat
Die meisten Arten verschwinden aufgrund von Klimakrise und Lebensraumzerstörung. Aber auch der Schmuggel spielt eine Rolle – vor allem bei besonders seltenen und schönen Tieren. Echte Exoten würden teilweise für Freunde und Bekannte geschmuggelt werden, weiß Reptilien-Experte Weissenbacher: „Das sind Gruppen, aus denen einer zum Beispiel in den Dschungel fliegt und für die anderen Tiere mitnimmt.“ Die einzelnen Entnahmen würden eine Art selten bedrohen, „aber es funktioniert unkontrolliert, und niemand weiß, wie viele Tiere gesammelt werden“, erklärt Weissenbacher: „Zudem wird mitunter rücksichtslos gesammelt und der Lebensraum der Tiere zerstört.“
Chamäleon und Anton Weissenbacher
74 Chamäleons hatte ein Schmuggler 2021 aus Tansania geschmuggelt. Mittlerweile wurden im Tiergarten Schönbrunn mehr als 200 der Tiere nachgezüchtet, erzählt der Leiter des Amphibien- und Reptilienhauses, Anton Weissenbacher, stolz. Manche Eier schlüpften erst nach mehr als 450 Tagen. Die meisten Reptilien schlüpfen nach rund zwei Monaten aus ihren Eiern.
Der „Himmelblaue Zwergtaggecko“ kommt etwa nur auf einer bestimmten Palmenart ab 350 Höhenmetern in Tansania vor. Aufgrund seiner leuchtend-türkisen Färbung war er ein beliebtes Haustier. Die Nachfrage wurde größer, die Jagd nach dem Gecko ruchloser: Die Palmen wurden umgehackt, die Tiere von den Blättern geschüttelt. Nun ist der „Himmelblaue Zwergtaggecko“ vom Aussterben bedroht. Seit 2014 ist der Handel mit den Geckos verboten. Laut Weissenbacher dürfte es heute rund fünfmal mehr Tiere in menschlicher Obhut als in der Wildbahn geben. Auch im Tiergarten Schönbrunn wird die Art nachgezüchtet.
Gift in der Wohnung
Tobias hielt Echsen, Insekten, Schlangen, Spinnen und Skorpione in seiner kleinen Wohnung in Wien. Viele seiner Tiere waren nicht legal. Einige von ihnen hätten ihn töten können. Doch Tobias ließ seine Tiere nicht schmuggeln – das war nicht nötig. Obwohl die Haltung von giftigen Tieren in Wien verboten ist, bekam er Giftschlangen unter der Hand von einem österreichischen Züchter, wie er profil unter Zusicherung von Anonymität verrät: „Meistens kommen die Tiere mittlerweile aus der dritten, vierten oder fünften Generation. Davor waren sie natürlich Wildfänge.“
Er selbst kenne Züchter, die vor 25 oder 30 Jahren Tiere gefangen und gezüchtet hätten. Die Jungtiere seien dann oft behalten worden, die gefangenen Echsen oder Schlangen wieder ausgewildert worden, sagt Tobias.
„Die privaten Züchter sind mittlerweile so gut, dass es den Markt für diese Wildentnahmen nicht mehr gibt“, weiß auch Reptilien-Experte Weissenbacher. Noch in den 1990er-Jahren seien etwa Hunderte Griechische Landschildkröten auf einmal nach Österreich geschmuggelt und günstig verkauft worden. Das sei mittlerweile obsolet. Stattdessen gebe es nun echten „Auftragsschmuggel“ seltener Tiere, sagt Weissenbacher: „Es sind viel kleinere Mengen, aber ganz klare Bestellungen. Es geht nicht mehr um Quantität, sondern Qualität.“
Das Blut an den Tieren
Wie der Auftragsschmuggel funktioniert, offenbarte Stanislavas Huzhiavichus 2022 profil, dem britischen „Guardian“ und der Investigativplattform Organized Crime and Corruption Reporting (OCCRP). Der Ukrainer züchtete und schmuggelte exotische Vögel für die Kiewer Unterwelt. Die Tiere kamen aus Asien in die Ukraine und von dort meist per Zug in die EU. Am Bahnhof nahm sie Huzhiavichus entgegen und brachte sie mit Mietautos zu den Käufern. Die wenigen Male, die er nach den Vögeln im Kofferraum gefragt wurde, wies er Transportgenehmigungen vor, die auf den ersten Blick authentisch erschienen. Erst in Österreich flog der Schwindel auf.
Im April 2018 wollte Huzhiavichus zwölf Paradiesvögel auf einem Parkplatz in Wiener Neustadt verkaufen, Gesamtpreis: 133.000 Euro. Doch der vermeintliche Käufer entpuppte sich als Lockvogel. Spezialbeamte der Cobra nahmen Huzhiavichus fest. Nach vier Monaten Untersuchungshaft kam der Ukrainer frei und verabschiedete sich in seine Heimat. In der Ukraine betreibt er nun eine Auffangstation für verletzte Wildvögel und verstoßene Exoten.
Wir sind in der EU. Wer will, fährt auch mit 100 Giftschlangen im Kofferraum über die Grenze nach Österreich.
Der Handel mit verbotenen Tieren finde heute meist online statt, sagt Tobias. Auf Facebook wird etwa in geschlossenen Gruppen gehandelt. Seitdem der Konzern aber gegen Verkaufsangebote vorgeht, werden stattdessen Links zu Telegram- und Whats-App-Gruppen geteilt. Dort verschwimmen Tierhaltung und organisierte Kriminalität endgültig: Neben Tieranzeigen und Haltungstipps schicken Mitglieder Fotos von Schusswaffen und Gewaltdrohungen. „Oft klebt Blut an diesen Tieren“, sagt Tobias. Der Handel mit exotischen Tieren finanziert bewaffnete Konflikte in den Herkunfts- und die organisierte Kriminalität in den Zielländern.
Über die grüne Grenze
Verbotene Tiere wie Giftschlangen schmuggeln viele Halter innerhalb der EU selbst, weiß Tobias: „Ein großer Abnahmeort ist Tschechien. Dort bekommt man giftige Tiere sehr schnell, einfach und billig auf legalem Weg.“ Auf der Terraristikmesse Živá Exotika in Prag gibt es etwa einen eigenen Raum für giftige Schlangen. „Betreten auf eigene Gefahr“, steht auf dem Türschild, wenige Meter weiter sind die Toiletten. „Ich kann mir dort problemlos eine schwarze Mamba für 80 Euro zulegen“, sagt Tobias. Der Transport sei kein Problem: „Wir sind in der EU. Wer will, fährt auch mit 100 Giftschlangen im Kofferraum über die Grenze nach Österreich.“
Hinzu kommt: In Wien, Niederösterreich und Kärnten ist die Haltung gefährlicher Tierarten verboten. In den anderen Bundesländern sind die Tiere bewilligungspflichtig. Nur: Kontrollen sind anlassbezogen, auch bei potenziell geschmuggelten Tieren. Um eine Wohnung zu durchsuchen oder eine Zollkontrolle durchzuführen, braucht es einen gewissen Anfangsverdacht. In der Regel stolpern die Halter daher über die eigene Unachtsamkeit: Wenn sie ihre Haustiere weiterverkaufen – oder die Tiere entkommen.
Hoher Preis
Im Sommer 2021 kam es etwa binnen weniger Wochen zu fünf Vorfällen mit Schlangen in Österreich: In Graz, Niederösterreich und Wien tauchten die Reptilien in Toiletten von Wohnhäusern auf, in Kärnten stieß die Polizei bei der Kontrolle eines Häftlings mit Fußfessel auf zehn Giftschlangen und zwei Vogelspinnen.
Und in Oberösterreich wurde ein 24-Jähriger von seiner eigenen Hornviper in den Handrücken gebissen. Er starb wenige Stunden später im Spital.
Tobias kannte den Mann. Er war in einer Online-Gruppe auf die Vipern aufmerksam geworden und hatte sich mit dem Oberösterreicher ausgetauscht. Zwei Wochen später las Tobias die Schlagzeile vom Todesbiss. „Da habe ich angefangen, meine giftigen Schlangen Schritt für Schritt abzugeben.“
Mittlerweile hält Tobias nur noch legale Tiere – und selbst die übergibt er nach und nach an „vertrauenswürdige“ Personen aus der Community: „Mir fehlen Zeit und Geld. Vor allem die Stromkosten sind enorm. Und ich ziehe mit meiner Freundin zusammen.“ Zudem appelliert Tobias, die Natur zu schützen und Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum zu beobachten, anstatt sie zu Hause zu halten.
Auch wer sich eine Katze, einen Hamster oder eine Vogelspinne holt, kann vier Stunden und ein paar Euro investieren, um ihre Bedürfnisse zu verstehen.
Wer ein Reptil, Amphibien oder einen Papagei legal halten will, muss in Wien seit letztem Jahr einen Sachkundenachweis erbringen. Das soll nun auch im Bund Pflicht werden. Bevor ein exotisches Tier oder ein Hund gekauft wird, muss ab 1. September ein vierstündiger Kurs absolviert werden. Eine entsprechende Novelle des Tierschutzgesetzes soll noch im April beschlossen werden. Erstmals wird dann zudem der Kauf geschmuggelter Tiere unter Strafe gestellt.
Auch der Tiergarten Schönbrunn bietet Kurse zur Exotenhaltung an: „Wir hatten schon Leute, die aus dem Kurs gegangen sind und gesagt haben: ‚Für mich ist das doch nichts‘“, erzählt Weissenbacher: „Das ist wertvoller, als nach dem Kauf draufzukommen, dass man das Tier nicht mehr will.“ Einen Sachkundenachweis sollte es bei allen Tieren geben, findet Weissenbacher: „Auch wer sich eine Katze, einen Hamster oder eine Vogelspinne holt, kann vier Stunden und ein paar Euro investieren, um ihre Bedürfnisse zu verstehen.“
Max Miller
ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.