6 Monate Schwarz-Blau

Wie ÖVP und FPÖ in Niederösterreich zusammenwachsen

Vor sechs Monaten war der Aufschrei groß: Manche der umstrittenen Vorhaben der ÖVP-FPÖ-Koalition wurden bisher allerdings nicht umgesetzt – wie die Schnitzelprämie oder Deutsch am Schulhof.

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Der Kirtag in allen Facetten ist das Element der niederösterreichischen Landeshauptfrau. Vergangenen Mittwoch eröffnete Johanna Mikl-Leitner mit einem Bieranstich das „waldviertelpur“-Fest am Wiener Rathausplatz. In Rossatzbach feierte sie vergangenen Samstag mit Andreas Gabalier bei der „Starnacht aus der Wachau“. Tags darauf war sie Ehrengast bei der Eröffnung des Weinlesefests am Retzer Hauptplatz. Mikl-Leitner kam direkt vom Stift Klosterneuburg, wo in einem dreistündigen Pontifikalamt der neue Probst geweiht worden war.

Keine Frage – am liebsten ist Johanna Mikl-Leitner, Landeshauptfrau seit 2017, auf Achse. Ihr Dienstwagen ist ein rollendes Büro. Und mittlerweile, so heißt es aus der ÖVP-NÖ, sei sie wieder ganz die Alte. Zuvor hatte Mikl-Leitners Elan etwas nachgelassen. Grund war der 29. Jänner. An diesem Tag entzogen die Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher der ÖVP bei der Landtagswahl die absolute Mehrheit. Die Koalitionsverhandlungen mit dem neuen SPÖ-Chef Sven Hergovich scheiterten. Blau war willfähriger. Und so regiert seit dem 23. März ein Bündnis aus ÖVP und FPÖ in St. Pölten. Und langsam wächst zusammen, was eigentlich nicht zusammen wollte. Viel hatten die Freiheitlichen im März angekündigt: die Aufhebung der Coronastrafen; Deutschpflicht am Schulhof; Schnitzelprämie für echte niederösterreichische Wirtshäuser; das Ende des „Gender-Unfugs“.

Schwarz-blaues Scharnier

Als Mikl-Leitner am 23. März FPÖ-Landesparteiobmann Udo Landbauer im Landtag als ihren Stellvertreter angelobte, stand ihr die Anspannung ins Gesicht geschrieben. „Es ist kein Geheimnis, dass ich diese Kooperation nicht angestrebt habe“, sagte sie vergangene Woche zu profil. Aber: „Wir haben eine professionelle und friktionsfreie Zusammenarbeit mit der FPÖ. Unsere Basis ist das Arbeitsübereinkommen.“

Mit Süffisanz erzählt man in blauen Reihen, dass die ÖVP sich noch nicht ganz mit dem Verlust der Allmacht im Land abgefunden hat. Mit kleineren schwarzen Fouls ist zu rechnen, etwa wenn Freiheitliche nicht über Fototermine informiert werden. Aber ansonsten läuft es rund. Das Scharnier in der Koalition bilden die Klubobmänner. Jochen Danninger, ÖVP, ist ein Vertrauter der Landeshauptfrau. Und Reinhard Teufel, FPÖ, gilt als heimlicher Prinzipal der Partei, der die Koalitionsarbeit auf blauer Seite steuert. Vor seinem Wechsel nach Niederösterreich war er wichtigster Mitarbeiter von Herbert Kickl. Teufel war dessen Büroleiter im Innenministerium und im FPÖ-Parlamentsklub. Das bedeutet auch: Die FPÖ-NÖ ist die „Kickl-FPÖ“ und nicht eine vom Bundesparteiobmann unabhängige Veranstaltung, wie die Volkspartei gern suggeriert.

Dass die Regierung in Niederösterreich funktioniert, ist auch in Herbert Kickls Interesse. Auf Bundesebene fährt er Krawallkurs, in St. Pölten wollen die Freiheitlichen demonstrieren, dass sie regierungsfähig sind. Ihren verhaltensauffälligen früheren Landesrat Gottfried Waldhäusl schoben Landbauer und Teufel auf den Posten des Zweiten Landtagspräsidenten ab. Rechtsrechte Landtagsabgeordnete – Andreas Bors wurde einst durch das Zeigen des Hitlergrußes bekannt – üben sich in Zurückhaltung.

Aus Sicht der ÖVP läuft die Arbeitsteilung so: Die Volkspartei gibt die große Politik vor, die FPÖ darf ihre Herzthemen aus dem Wahlkampf bearbeiten, zuvorderst den Corona-Komplex. Während der Hochphase der Pandemie galt im niederösterreichischen Landesdienst etwa eine Impfpflicht für neue Angestellte. Sie wurde abgeschafft, noch bevor die Freiheitlichen an die Macht kamen. Unter Punkt fünf heißt es im Regierungsprogramm dennoch: „Das Land Niederösterreich wird alle Bewerber, deren Bewerbung für eine Stelle im Landesdienst aufgrund ihres Corona-Impfstatus nicht weiter verfolgt wurde, zu einer neuerlichen Bewerbung einladen.“ Auf profil-Nachfrage heißt es aus Niederösterreich allerdings schriftlich, dass „im Bereich der Landesverwaltung Bewerberinnen bzw. Bewerber aufgrund einer fehlenden Impfung nicht aus dem Bewerbungsprozess ausgeschieden wurden. Eine neue Bewerbung war deshalb nie erforderlich.“

Der freiheitliche Landesrat Christoph Luisser ist weder für Gesundheit noch für Finanzen zuständig, betreut neben Sicherheit, Asyl und Zivilschutz trotzdem den ebenfalls im Programm festgelegten „Hilfsfonds für Corona-Folgen“. Damit darf er verkünden, wie viel Geld das Land Niederösterreich für die Rückzahlung von Strafgeldern in der Coronazeit und für die Bewältigung von Pandemie-Folgen ausschüttet. Die meisten Gelder, 1,16 Millionen Euro, wurden für Therapien bei psychischen Problemen oder Long-Covid-Schäden verwendet. Dagegen dürfte auch die Opposition nichts einwenden.

Die Rückzahlung von Corona-Strafzahlungen ist politisch und juristisch umstritten, 135.000 Euro wurden bereits ausbezahlt. Selbst die freiheitlichen Parteikollegen in Salzburg hielten in ihrem Regierungspakt mit der ÖVP schriftlich fest, dass sie diese Rückzahlung „weder als zweckmäßig noch als landespolitisch durchführbar“ ansehen.

Gender-Politik

Ein besonderes Anliegen war der FPÖ auch, das Gendern mit Sonderzeichen aus dem offiziellen Niederösterreich zu verbannen. Dafür ließ die Partei in die offizielle Kanzleiordnung des Landes Niederösterreich folgenden Satz einfügen: „Bei der Erstellung von Schriftstücken und Erledigungen sind das amtliche Regelwerk und die Empfehlungen, insbesondere ‚Geschlechtergerechte Schreibung‘, des Rates für deutsche Rechtschreibung zu befolgen.“ Das bedeutet, dass die Paarform verwendet werden soll, also „Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher“, nicht „NiederösterreicherInnen“. Sogar Informationsfolder wurden neu gedruckt. In der ÖVP wirkt man unglücklich über diese Aufregung und spricht lieber von einem Gender-Gebot: Immerhin sehe die Empfehlung ja vor, nicht nur das generische Maskulinum zu verwenden, sondern eben auch die weibliche Form. Es gibt also zwei unterschiedliche Interpretationen in der Regierung. Die FPÖ zeigte beim Gendern dazu eine gewisse Flexibilität: Udo Landbauer bezeichnete sich kurzzeitig als „Landeshauptmann-Stellvertreter“ von Johanna Mikl-Leitner, und Susanne Rosenkranz wird sowohl auf der Website des Landes als auch der FPÖ als „Landesrat für Arbeit, Konsumentenschutz, Natur- und Tierschutz“ genannt.

Und was ist mit den anderen Maßnahmen, die für einen kollektiven Aufschrei sorgten? Bei vielen zeigt sich: Sie sind entweder nicht umsetzbar oder haben keine Priorität. Schwarz-Blau warb für eine „bewusste Entscheidung der Schulen, Deutsch als Pausensprache in der Hausordnung festzulegen“. Ob das tatsächlich umgesetzt wurde, wisse man allerdings nicht und werde man auch nicht überprüfen. Da die Schulen autonom über ihre Hausordnungen entscheiden und das Land ihnen nichts vorschreiben kann, „werden in diesem Bereich auch keine Erhebungen gemacht“, heißt es aus dem Büro der zuständigen Landesrätin, Christiane Teschl-Hofmeister von der ÖVP.
Auch die geforderte „verwaltungsrechtlich sanktionierte Teilnahme an Lehrer-Eltern-Gesprächen“ nach Problemfällen in der Schule könne nur der Bund umsetzen. Man will diesem Vorschläge schicken und konzentriert sich in der Zwischenzeit lieber auf den Ausbau der Kinderbetreuung. Auch eine weitere FPÖ-Forderung, die Knüpfung der Wohnbauförderung an Deutschkentnisse, steht aus. Priorität habe derzeit laut ÖVP, leistbares Wohnen zu ermöglichen.

Theoretisch könnte die FPÖ mit der SPÖ schwarze Projekte in der Landesregierung – in Niederösterreich gilt ein Proporzsystem – blockieren. Die ÖVP stellt vier Mitglieder, die FPÖ drei und die SPÖ zwei. Allerdings sind die Blauen loyal und segneten mit der ÖVP etwa die Erhöhung der Bezüge für die 573 niederösterreichischen Bürgermeister ab, obwohl sie selbst keinen einzigen Ortschef stellen und vor allem ÖVP-Politiker von der Gagen-Anhebung profitieren.

Regionale Speisen

In Umsetzung ist dagegen die von der FPÖ gewünschte „Schnitzel-Prämie“ für Gasthäuser . Das Thema ressortiert direkt zu Landeshauptfrau Mikl-Leitner, die für Wirtschaftsagenden zuständig ist. Sie will sich am Tiroler Modell orientieren. Um das Wirtshaussterben zu stoppen, zahlt die Landesregierung in Innsbruck etwa einen Bonus von 20.000 Euro aus, wenn ein Gastronomiebetrieb neu übernommen wird. Voraussetzung für die Gewährung ist allerdings, dass der Wirt ein „traditionelles und regionales Speisenangebot aufweist“. So sieht es auch das Regierungsprogramm in Niederösterreich vor. Aus Kreisen der niederösterreichischen Gastronomie ist zu hören, dass auch die Verwendung regionaler Zutaten für die Schnitzelprämie ausreichen könnte.
In der FPÖ ist man mit dem bisher Erreichten zufrieden, wie Udo Landbauer auf profil-Anfrage schreibt. Mit Mikl-Leitner gebe es „eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe“. Und: Die schwarz-blaue Koalition in Niederösterreich sei „ein Zukunftsmodell für ganz Österreich“.

Tatsächlich plagen Mikl-Leitner derzeit mehr Sorgen über die eigene Partei als über den Koalitionspartner. Im Sommer eröffnete sie ihrem langjährigen Parteifreund, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, er werde nicht mehr Nummer 1 auf der niederösterreichischen VP-Landesliste für die Nationalratswahl 2024 sein. Sobotkas Beliebtheitswerte sind noch schlechter als jene von Herbert Kickl. Dass die Karriere des Nationalratspräsidenten sich zu Ende neigt, denkt in der ÖVP-NÖ jeder, nur Sobotka selbst nicht.

Mikl-Leitners zweites Problem: Seit der Wahlniederlage im Jänner streiten ÖVP-Bauernbund und Arbeitnehmerbund (ÖAAB), dem Mikl-Leitner entstammt, darum, wer die Schuld am Fiasko trage. Der Bauernbund-Obmann, Landeshauptfrau-Stellvertreter Stephan Pernkopf, steht seinerseits unter Druck. Der niederösterreichische Nationalratsabgeordnete Johannes Schmuckenschlager und Landesrat Ludwig Schleritzko sollen auf die Funktion an der Spitze der ÖVP-NÖ-Bauernschaft spitzen.

Auf Kirtagen in der niederösterreichischen Provinz ist es derzeit sicher lustiger.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.

Iris Bonavida

Iris Bonavida

ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.