Wann ist man zu reich? Und müssen Super-Reiche mehr Steuern zahlen?

Wie reich darf man sein?

Reichtum gilt als Ärgernis, der Kampf gegen die Ungleichheit ist der neue Schlager der Linken. Die SPÖ fordert im Wahlkampfjahr Steuern auf Erbschaften und Vermögen, doch ihr Vorschlag sorgt für deutlich mehr Emotionen als er je an Umverteilung bringen könnte.

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Mark Mateschitz dürften derzeit Existenzsorgen der ganz besonderen Art plagen. Nicht dass sein Lebensunterhalt auf der Kippe stünde, nein, angesichts eines Vermögens von geschätzt knapp über 34,7 Milliarden Euro (laut Forbes 2023) ist für sein Auskommen nach menschlichem Ermessen gesorgt. Und doch: Milliardäre wie Mark Mateschitz sind derzeit eine gefährdete Spezies. Der entsprechende politische Sloga n dazu lautet: „Jeder Milliardär ist ein Politik-Versagen“. So formuliert es Oxfam, ein internationaler Verbund von Hilfs- und Entwicklungsorganisationen in einem Bericht über Ungleichheit, und als SPÖ-Vize-Klubvorsitzende Julia Herr kürzlich Mateschitz und dessen Yacht-Urlaub zum Geburtstag seiner Freundin Victoria Swarovski ins Visier nahm, lag dem wohl ein ähnlicher Gedanke zugrunde: Reiche sind ein Ärgernis.

Milliardäre sollte es gemäß einer gängigen Theorie der Ungleichheit überhaupt nicht geben. Sie sind „uncool“, wie das Online-Medium „Huffington Post“ schreibt, sie sollten nach dem Wunsch des US-Senators Bernie Sanders „nicht existieren“, und auch in Österreich begegnet man ihnen in vorwurfsvollem Ton: „Hätte Mark Mateschitz Erbschaftssteuer bezahlt, hätte das dem Staat mehrere Milliarden bringen können“, murrte SPÖ-Chef Andreas Babler in Richtung Jung-Milliardär, und Julia Herr postete bissig: „Nix für ungut und alles Gute zum Geburtstag, aber wegen der Millionärssteuer warad’s.“

Die Reichen, einst gesellschaftliches Vorbild, sind zum Feindbild mutiert.

Dass Mateschitz weder Erbschaftssteuer noch Millionärssteuer abführt, kann man dem 31-Jährigen allerdings nur bedingt vorhalten – derlei Steuerpflichten gibt es nämlich in Österreich nicht. Noch nicht. Die SPÖ hat die Ungleichheit von Vermögen zu einem ihrer zentralen Themen auserkoren und schlägt jetzt, voraussichtlich ein Jahr vor der Nationalratswahl, diese beiden Steuern vor, um die Reichen zur Kasse zu bitten und – aus ihrer Sicht – für mehr Gerechtigkeit zu sorgen.

Sie sieht sich dabei durch Umfragen bestätigt, in denen sich zwei Drittel der Befragten für eine Vermögensteuer aussprechen – jedoch bloß etwa die Hälfte für eine Erbschaftssteuer. Auch international häufen sich die Initiativen für Millionärssteuern. Vergangene Woche veröffentlichten an die 300 Ökonominnen, Millionäre und Politiker unter dem Titel „Besteuert extremen Reichtum“ einen Aufruf, gerichtet an die Staats- und Regierungschefs der G-20-Staaten, die sich an diesem Wochenende in Neu-Delhi treffen. Diese dürften „nicht zulassen, dass extremer Reichtum unsere gemeinsame Zukunft zerfresse“. Eine der Unterzeichnerinnen: Marlene Engelhorn, österreichische Milliardenerbin in spe und Aktivistin der Initiative „Tax Me Now“ (Besteuert mich jetzt).

Der Kampf gegen Ungleichheit ist die moderne, hippe Version des etwas antiquiert anmutenden Kampfs gegen die Armut. Um die Armut zu verringern, mussten nicht notwendigerweise die Reichen ins Visier genommen werden. Weltweit etwa sank der Anteil der Menschen, die in extremer Armut leben, in den Jahren von 1990 bis 2019 von 38 Prozent auf 8,5 Prozent der Gesamtbevölkerung – und das, obwohl die Ungleichheit im selben Zeitraum stieg. Das klingt paradox, ist aber leicht erklärt: Die unterste Schicht verzeichnet finanzielle Zuwächse und entrinnt so der Armut, während gleichzeitig die oberste Schicht deutlich größere Zugewinne verbucht, wodurch sich der Abstand zueinander weiter vergrößert.

„Das Ungleichgewicht in unserem Steuersystem ist bekannt.“ 

Margit Schratzenstaller, Wifo

zum Verhältnis von Arbeits- und Vermögenssteuern in Österreich.

Jetzt liegt der Fokus jedenfalls auf der Ungleichheit, und die Reichen sehen sich mehreren schweren Vorwürfen ausgesetzt: Ihr Reichtum sei erstens eine Ungerechtigkeit; Zweitens schadeten sie überproportional dem Klima, weil sie statistisch im Vergleich zum Normalbürger nachweislich ein Vielfaches an Emissionen verursachen; Und drittens seien enorme Vermögen eine Gefahr für die Demokratie, denn sie bedeuteten ein unzulässiges Maß an Macht und Einfluss.

Stimmt das alles? Können Vermögensteuern den erwünschten Ausgleich schaffen? Und wenn ja, weshalb sind sie dann so umstritten?

profil beschreibt die Anatomie des politischen Streits um Milliarden, Macht und Verteilungsgerechtigkeit.

Die Vorwürfe an die Reichen

In Österreich besitzt das oberste Prozent die Hälfte des gesamten Vermögens. Zu diesem Schluss kam zumindest eine Studie der Österreichischen Nationalbank im Vorjahr. Auch weltweit steigt das Vermögen der Superreichen in einer Geschwindigkeit, die bei den unteren Schichten Schwindel – und zum Teil auch Empörung auslöst. In den vergangenen zehn Jahren habe der Vermögenszuwachs der Milliardäre satte 109 Prozent betragen, prangert die aktivistische Organisation „Oxfam“ an. In den ersten beiden Jahren der Covid-19-Pandemie habe sich das Vermögen der zehn reichsten Menschen der Welt gar verdoppelt, während 99 Prozent der Bevölkerung Geldsorgen plagten. Die Ungleichheit steige und steige, und das Geld, das die Reichen horten, fehle den Staaten bei der Versorgung ihrer Bürgerinnen und Bürger.

"Hätte Mark Mateschitz Erbschaftssteuer bezahlt, hätte das dem Staat mehrere Milliarden bringen können.“ 

Andreas Babler, SPÖ-Chef

Aber nicht nur das. Eine im August auf der Wissenschaftsplattform Plos veröffentlichte Studie weist nach, dass die Gruppe der zehn reichsten Prozent in den USA für 40 Prozent der klimaschädlichen Emissionen verantwortlich ist. Schuld daran sind sowohl die großen, und deshalb energieintensiven Häuser, die Privat-Jets, aber auch der Verbrauch fossiler Brennstoffe der Unternehmen, in die Reiche ihr Geld investieren. In Österreich verursachen die reichsten zehn Prozent zwölf Mal so viele CO2-Emissionen wie das unterste Einkommenszehntel. Das zeigen Daten des „World Inequality Lab“, das ebenso wie die „World Inequality Database“ bei der Pariser School of Economics angesiedelt ist.

Schließlich sei „extremer Reichtum“ auch eine Gefahr für die Demokratie. SPÖ-Vizeklubchefin Julia Herr warnt im profil-Interview, dass man sich „mit Geld politischen Einfluss und Macht sichern“ könne. Noch dramatischer fällt die Warnung von Abigail Disney, einer Erbin der Disney-Familie, aus: Die „Ultrareichen“ würden so große Vermögen anhäufen, dass sie „unsere Demokratie bedrohen“. In den USA spielen Wahlkampfspenden reicher Bürgerinnen und Bürger bei Wahlen eine große Rolle – das Geld würde „die Demokratie ertränken“ behaupten Reichensteuer-Aktivisten.

Wie groß die Ungleichheit tatsächlich ist

Dazu gibt es zwei Betrachtungsweisen. Die eine lautet: die Ungleichheit steigt. Das stimmt, wenn man den Zeitraum seit den 1980er-Jahren betrachtet. Laut den Berechnungen des französischen Ökonomen Thomas Piketty, der 2013 mit dem Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ (Verlag C. H. Beck) Furore machte, stieg der Anteil des Vermögens, das die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung in Europa besitzen, von 60 Prozent im Jahr 1980 auf etwa 63 Prozent im Jahr 2010 – und seither zweifellos noch etwas höher.

Die zweite Betrachtungsweise hingegen lautet: die Ungleichheit ist längst nicht so dramatisch wie sie schon einmal war. Auch das ist korrekt. Aus Pikettys Zahlenmaterial geht hervor, dass der Vermögensanteil der reichsten zehn Prozent im Jahr 1910 fast 90 Prozent betragen hatte und danach stetig sank – eben bis ins Jahr 1980.

Der Ökonom Emanuel List, Wissenschafter am Forschungsinstitut Economics of Inequality der Wiener Wirtschaftsuniversität, antwortet auf die Frage, ab welchem Ausmaß Ungleichheit schädlich sei, dass dies zu einem großen Teil davon abhänge, wie die Bevölkerung darüber denke. Heißt: Da laut Umfragen die Österreicherinnen und Österreicher mehrheitlich der Meinung sind, Einkommen und Vermögen seien nicht gerecht verteilt, habe dies „negative Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum“. Dazu kämen „Spaltungstendenzen“ in der Gesellschaft, wenn sich das Gefühl verbreite, der Großteil des Wirtschaftswachstums fließe zu einer kleinen Gruppe von Reichen, so List. Der Ökonom räumt ein, dass bei der Beurteilung der Ungleichheit ein großes Maß an Psychologie mitspiele. Mit anderen Worten: Ungleichheit wird vor allem dann zu einem drängenden Problem, wenn die Leute eines damit haben.

"Erhöht meine Steuern - jetzt!"

Abigail Disney, Disney-Erbin

Der Angriff von links

Die Linke hat mit der Ungleichheit ein uraltes Thema neu entdeckt. Die zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit des Überflusses auf der einen, und der Not auf der anderen Seite war bereits eine der Triebfedern der Französischen Revolution, und davor schon soll der Philosoph Jean-Jacques Rousseau den Satz gesagt haben: „Wenn die Menschen nichts mehr zu essen haben, werden sie die Reichen essen.“ Daraus wurde der bis heute gern gebrauchte, antikapitalistische Slogan „Eat the Rich!“.

Der Begriff der „Ungleichheit“ ersetzt das verstaubte Gegensatzpaar arm/reich und verleiht dem politischen Kampf neue Legitimation. Nicht bloß weil es bemitleidenswerte Arme gibt, sollen die Reichen etwas von ihrem Geld abgeben, sondern weil sie mit ihrem Reichtum gegen die Gerechtigkeit und gegen den Gesellschaftsvertrag verstoßen.

Damit haben Politiker wie SPÖ-Chef Andreas Babler ein starkes Argument, dessen Überzeugungskraft nicht einzig auf dem Wunsch nach Umverteilung beruht. Milliardäre, die sich der Forderung nach Vermögensteuern anschließen, und Ökonomen wie Thomas Piketty oder Gabriel Zucman, die ihr den theoretischen Überbau liefern, erzeugen zusätzlich Druck.

Der Kampf gegen die Ungleichheit kann sogar fashionable sein. Die linke US-Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez besuchte 2021 die glamouröse „Met Gala“ des New Yorker Metropolitain Museums und trug dabei ein viel beachtetes, weißes Kleid mit einer Aufschrift in großen, roten Buchstaben: „Tax the Rich“ (Besteuert die Reichen). Der PR-Effekt von Ocasio-Cortez’ Auftritt war grandios, allerdings leitete das Ethik-Komitee des Kongresses danach eine Untersuchung wegen unerlaubter Geschenkannahme ein, und Ocasio-Cortez musste die Kosten für das Kleid und andere Goodies schließlich selbst übernehmen.

"Besteuert die Reichen!"

Alexandria Ocasio-Cortez, linke US-Kongressabgeordnete

„Das Ungleichgewicht in unserem Steuersystem ist bekannt“, sagt Margit Schratzenstaller, Steuerexpertin und Ökonomin am Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). Es resultiere daraus, dass in Österreich Arbeitseinkommen auch im internationalen Vergleich relativ hoch besteuert werden. Die vermögensbezogenen Steuern sind im OECD-Schnitt aber relativ niedrig. Die Abgabenquote beträgt derzeit laut Statistik Austria bei 43,5 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung. Das ist der vierthöchste Wert in der EU. Aber nur 1,5 Prozent der Steuereinnahmen stammen aus vermögensbezogenen Steuern.

Eine ideale Ausgangslage also für einen neuen Klassenkampf.

Die Steuerpläne der SPÖ

Reiche sollen blechen. Das sieht derzeit allen voran die SPÖ so. Parteichef Andreas Babler hat erst diese Woche das neue SPÖ-Modell zur Besteuerung von Vermögen und Erbschaften vorgestellt. Samt einer „Luxusgrenze“ von 1,5 Millionen Euro, ab der man laut SPÖ als reich gilt. Und entgegen ersten Ankündigungen, sollen nun Eigenheimbesitzer von vermögensbezogenen Steuern weitgehend verschont bleiben.

Das Modell im Detail: Wer inklusive Eigenheim Vermögenswerte von mehr als einer Millionen Euro besitzt, soll jährlich 0,5 Prozent Vermögenssteuer zahlen. Es gilt ein weiterer Freibetrag von 1,5 Millionen für das Eigenheim. Ein Beispiel: Wer samt abbezahltem Eigenheim, geerbter Wohnung von der Großmutter und Bankguthaben auf vier Millionen Euro kommt, soll 0,5 Prozent von 1,5 Millionen, also 7.500 Euro jährlich abgeben. Wer mehr als 10 Millionen besitzt, soll ein Prozent zahlen und ab 50 Millionen dann zwei.

Bei Erbschaften gilt: Wer eine Immobilie erbt, die mit weniger als 1,5 Millionen Euro bewertet ist, soll keine Erbschaftssteuern bezahlen. Ab dann fallen auf darüber liegende Beträge 25 Prozent an, 30 Prozent ab fünf Millionen, 35 ab und ab 50 Millionen soll der Fiskus 50 Prozent abschöpfen. Im Gegenzug soll die Grunderwerbssteuer bei Erbschaften und Schenkungen wegfallen.

Ausnahmen soll es außerdem für Erbschaften und Schenkungen bei Unternehmen und Bauern geben. So sollen 85 Prozent des Betriebsvermögens steuerfrei gestellt werden, wenn der Betrieb fünf Jahre lang weitergeführt wird und keine Mitarbeiter abgebaut werden.

"Ich möchte besteuert werden."

Marlene Engelhorn, künftige BASF-Erbin

Was Erbschaft- und Vermögen steuer – angeblich – bringen

Die SPÖ rechnet mit einem Ertrag der Erbschaftsteuer von 500 bis 800 Millionen Euro und mit fünf Milliarden Euro pro Jahr aus der Vermögensteuer. Letzteres erscheint sehr hoch, wenn nicht unrealistisch. Auf Nachfrage beim SPÖ-Parlamentsklub verweist man auf Erfahrungswerte aus der Schweiz, die jährlich bis zu acht Milliarden Euro aus vermögensbezogenen Steuern einnimmt. Allerdings unterscheidet sich das Schweizer Modell der Vermögensteuer wesentlich von dem der SPÖ. So gelten etwa in den einzelnen Kantonen, die für die Ausgestaltung der Steuer zuständig sind, Freibetragsgrenzen, die umgerechnet zwischen 19.000 und 210.000 Euro liegen – also deutlich unter der von der SPÖ angepeilten Freigrenze von einer Million plus 1,5 Millionen für das Eigenheim. Außerdem wird in der Schweiz das gesamte Vermögen besteuert und nicht wie im SPÖ-Modell nur der Betrag, der die Freigrenze übersteigt. Im Gegenzug sind Steuern auf Arbeitseinkommen niedriger.

Auch der Vergleich mit Frankreich, wo bis 2017 eine Vermögensteuer galt, lässt Zweifel an den Berechnungen der SPÖ aufkommen. Dort warf die Steuer nie mehr als 5,3 Milliarden ab – und das bei einer Einwohnerzahl von 68 Millionen (Österreich: neun Millionen).

Wofür das Geld verwendet werden soll… bleibt unklar

Im profil-Interview legt sich SPÖ-Vizeklubchefin Julia Herr fest: Die Erträge aus den beiden geplanten Steuern sollen zum Teil ins Gesundheitssystem fließen und zum Teil für eine Senkung der Lohnsteuer herangezogen werden. Allerdings präsentierte SPÖ-Klubchef Philip Kucher vergangenen Donnerstag in einem Hintergrundgespräch, über das der ORF berichtete, andere Ideen: Mit dem Geld könnte man etwa 30.000 Pflegekräfte und ebenso viele Elementarpädagoginnen und -pädagogen zusätzlich einstellen, und es bliebe noch etwas für die Senkung der Steuern auf Arbeit über, wird Kucher zitiert.

Die ursprüngliche Idee, wonach Steuern auf Vermögen jene auf Arbeit senken sollen, wird jedenfalls seit Langem verwässert. Immer neue Vorschläge tauchen auf, was man mit den Steuereinnahmen finanzieren könnte. Am Parteitag, der für 11. November geplant ist, will sich die SPÖ festlegen.

„Jeder sollte zum 25. Geburtstag 120.000 Euro vom Staat bekommen.“

Thomas Piketty, französischer Ökonom

Warum Steuern auf Vermögen so umstritten sind

„Erbschaftssteuern sind in den meisten Ländern eine sehr unbeliebte Steuer“, meint Margit Schratzenstaller. „Zuerst stirbt ein enger Familienangehöriger und dann muss man auch noch etwas an den Fiskus abführen. Es braucht also eine sehr intensive und gute kommunikative Begleitung des Themas.“ Aber: Eine Erbschaftsteuer sei gut zu administrieren und ein adäquates Instrument zur Umverteilung. Es gibt ein Grundbuch, der Verkehrswert ist relativ einfach zu berechnen, und Immobilien können auch nicht ins Ausland abwandern.

Es gibt noch ein gewichtiges Argument, das für die Besteuerung von Erbschaften spricht. Und zwar wohl deutlich großzügiger, als es die SPÖ in ihrem Modell vorsieht, das ja 98 Prozent der sogenannten „Häuslbauer“ nicht treffen soll: die Demografie. Laut Fortschreibung der Statistik Austria soll der Anteil der über 65-Jährigen bis 2050 um eine Million auf 2,7 Millionen Menschen steigen. Im selben Zeitraum soll die Zahl an Menschen zwischen 20 und 65, also jenen die noch arbeiten und Steuern bezahlen, von 5,5 auf 5,2 Millionen sinken. Auch mit Zuwanderung stehen dem Arbeitsmarkt künftig weniger Menschen zur Verfügung. Und damit nehmen auch Erbschaften gesamtgesellschaftlich an Bedeutung zu. „Wir müssen uns schon überlegen, wie wir angesichts dieser Entwicklung unseren Sozialstaat in Zukunft finanzieren können“, meint Schratzenstaller.

Kapital hingegen wird schnell mal flügge. Als die Vermögensteuer 2017 in Frankreich abgeschafft wurde (es blieb davon eine Immobiliensteuer übrig), war einer der Gründe dafür, dass das Finanzministerium jedes Jahr betrübt registrieren musste, wie viele Vermögensteuerpflichtige das Land verlassen hatten. Dadurch entgingen dem Staatshaushalt nicht nur die Erträge aus den Vermögensteuern, sondern auch Milliarden an Konsumsteuern und Investitionen. Die Datenlage über Vermögen in Österreich ist ohnehin dünn. Im SPÖ-Modell soll die Vermögensbesteuerung auf Basis einer Selbstdeklaration erfolgen.

In Europa wird eine klassische Vermögensteuer nur noch in der Schweiz, in Spanien und Norwegen eingehoben. Ironischerweise verzichtet auch das kommunistische China auf eine Vermögensteuer.

„Vermögen ab einer Milliarde sollten zu 100 Porzent besteuert werden.“

Bernie Sanders, US-Senator

Warum sich die Ungleichheit trotz der neuen Steuern kaum ändern wird

Der Ökonom Emanuel List würde die Einführung von Erbschaft- und Vermögensteuern dennoch begrüßen. Im Gespräch mit profil sagt er, er wolle den Effekt von fünf Milliarden „nicht kleinreden“, doch um die Vermögensverteilung substanziell zu ändern und den Trend zur Ungleichheit umzukehren, seien die Volumina „zu gering“.

Kein Wunder. Im Jahr 2022 wurden in Österreich insgesamt nicht ganz 195 Milliarden an Steuern eingenommen, eine Umschichtung von fünf Milliarden – wenn es denn so viele wären – würde an der Gesamtsituation wenig ändern.

Plakativer formuliert: Die reichsten zehn Prozent würden die unteren 90 Prozent weiter abhängen, ihr „Überreichtum“ (ein Buchtitel des Ökonomen Martin Schürz) würde wachsen, und Mark Mateschitz und seinesgleichen könnten mit Privatjet und Yacht zufrieden in den Sonnenuntergang gleiten.

Wenn man nämlich die Ungleichheit nicht nur ein klein wenig abschwächen, sondern eine Trendumkehr schaffen möchte, sollte man die Ausführungen des Ökonomen und Gleichheits-Apostels Thomas Piketty genauer lesen. Der verlangt nämlich unverblümt „quasi-konfiskatorische Steuern“, also Steuern, die so hoch sind, dass sie de facto die Vermögenden und die Bezieher sehr hoher Einkommen enteignen. Piketty erinnert daran, dass es in den USA unter Präsident Franklin D. Roosevelt während des Zweiten Weltkriegs bereits Einkommensteuersätze von 90 Prozent gab, und er will noch weiter gehen. In seinem Buch „Eine kurze Geschichte der Gleichheit“ (Verlag C.H. Beck) schlägt er vor, Steuersätze dieser Höhe nicht nur für sehr hohe Einkommen, sondern auch für eine jährlich fällige Vermögensteuer einzuführen. Dies sei „unverzichtbar, wenn man eine stärkere Umverteilung des Eigentums ins Auge fassen will“, so Autor Piketty. So könnte man auch „Menschen daran hindern, unbegrenzt Reichtum anzuhäufen oder die Umwelt zu verschmutzen“.

Falls diese Ideen nach Sozialismus klingen, dann ist das kein Zufall. Piketty nennt sein Projekt einen „demokratischen, selbstverwalteten und dezentralisierten Sozialismus“. Es beinhaltet zur Förderung von Gleichheit auch Elemente wie eine staatlich finanzierte „Erbschaft“ von 120.000 Euro pro Person, ein Grundeinkommen und eine Beschäftigungsgarantie.

So sähe der direkte Weg in eine Welt ohne Ungleichheit aus. Allerdings ist nicht anzunehmen, dass sich eine Mehrheit findet, die diese Art von Sozialismus attraktiv finden, selbst wenn er die Beifügungen „demokratisch, selbstverwaltet und dezentralisiert“ trägt.

Und so bleibt es wohl bei vergleichsweise moderaten Vorschlägen wie dem der SPÖ, aber auch der sorgt verlässlich für Klassenkampfparolen. „Eat the Rich“ bleibt seit 250 Jahren ein Hit, auch in der neuesten Cover-Version von Andreas Babler.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur

Marina  Delcheva

Marina Delcheva

leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".