Wie sich ein Ex-Betrüger ein Leben nach der Haft aufbaut
„Das erste Mal ist es Mut. Man fragt sich: Wartet die Polizei schon, wenn ich mir das Geld abholen komme, oder nicht? Dann fährt man eben eine Extrarunde, schaut einmal und geht rein. Da gehört schon ein bisschen Mut dazu. Aber ein dummer Mut. Und wenn man sieht, das funktioniert, das Geld kommt wirklich so leicht, geht man eben nicht zu einer Bank, sondern zu vielen. Das ist nicht mehr mutig, das ist Routine.“
Franz Gruber (Name von der Redaktion geändert) ist ein Betrüger. Über Jahre überzog er Konten und zahlte Zulieferer nicht, Hunderttausende Euro erschwindelte er sich so. „Es ist ein roter Faden, der sich durch mein Leben zog: Immer wieder ist diese Gier nach dem großen Geld aufgetaucht. Unterm Strich hat es mich aber nicht glücklich gemacht. Es hat nur viele Probleme aufgeworfen, die mir jahre-, jahrzehntelang nachhängen werden“, sagt Franz Gruber heute. Mit dem Geld kaufte er teure Autos, Pferde und ein Haus am See. „Man hat gut gelebt. Ich bin in eine andere Schicht hineingefallen und habe österreichische Berühmtheiten kennengelernt. Die Abrechnung ist dann später gekommen. Aber in dem Augenblick denkt man nicht daran.“
Dann wurde er erwischt. Der schöne Schein zerbrach, Jahre im Gefängnis folgten. Vor Kurzem ist er auf Bewährung entlassen worden. Mit viel Hilfe und eigenem Engagement fand Gruber eine ehrliche Arbeit und eine neue Familie. Eine Rückkehr in seine kriminelle Vergangenheit schließt er aus: „Jeder braucht ein Geld zum Leben. Aber es gibt Wichtigeres. Und um nichts auf dieser Welt setze ich noch einen Schritt in den Häfen.“
Schneller Reichtum mit absehbarem Ende
2022 erreichte Wirtschaftskriminalität einen neuen Allzeit-Höchstwert: 91.844 Delikte wurden angezeigt, ein Fünftel mehr als noch 2021. Im Großteil der Fälle ging es um Betrug (51.866 Anzeigen). „Schnell reich zu werden, ist natürlich verführerisch. Aber es funktioniert nicht“, sagt Susanne Pekler. Die 54-Jährige arbeitet jeden Tag mit aktiven und ehemaligen Kriminellen: Sie leitet den Verein „Neustart“ in der Steiermark, der sich auf die Resozialisierung straffällig gewordener Personen spezialisiert.
Der kalkulierende, intelligente Verbrecher, der das perfekte Verbrechen plant, begegnet uns deutlich öfter im Kino als in unserer Arbeit.
„Fast niemand wird geplant oder willentlich straffällig“, sagt Pekler. Meistens habe man es in der Haftentlassenen- oder Bewährungshilfe mit Tätern zu tun, die in einer Krisensituation „keinen besseren Weg gefunden haben“. In der Sozialarbeit erarbeite man dann, wie meist legitime Ziele auf legalem Weg erreicht werden können. „Der kalkulierende, intelligente Verbrecher, der das perfekte Verbrechen plant, begegnet uns deutlich öfter im Kino als in unserer Arbeit.“
Bei Personen, die die Grenzen des Gesetzes bewusst übertreten haben, appellieren die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter an das Gewissen , zeigen aber auch die Strafbarkeit auf und die Konsequenzen der Tat und Tatfolgen für die Opfer , aber auch für die Täter selbst und deren Familien, um Rückfälle zu verhindern: „Die Kunst unserer Kolleginnen und Kollegen ist, den richtigen Ansatz zu finden, damit die Person sagt: ,Da muss ich etwas ändern.’“
Unstillbare Gier
Nach seiner ersten Verurteilung wegen Betrugs blieb Franz Gruber nicht lange straffrei: Durch die Haft konnte er den erlernten Beruf nicht mehr ausüben und „es ist wieder diese Gier aufgetaucht“. Also gründete er eine Firma: „Da kommt das Geld noch leichter.“ Die Masche war simpel: Sein Unternehmen verkaufte Produkte, das Geld steckte sich Gruber ein. Zulieferer, Finanz und Sozialversicherungen gingen leer aus. Vier Jahre lang ging das gut, Skrupel hatte er keine: „Mir war klar, dass ich irgendwann einmal erwischt werde. Aber ich bin davon ausgegangen, dass die Haft sechs Monate bis ein Jahr dauert, dann kriegt man die Fußfessel, geht arbeiten, fertig.“ Seine Rechnung war falsch, Gruber wurde zu mehr als fünf Jahren Gefängnis verurteilt. „Ich habe dann sehr dumm geschaut.“
„Um zu betrügen, braucht es schon eine gewisse kriminelle Energie“, sagt Gerald Rak, Leiter des Büros für Betrugs- und Geldwäscheermittlungen im Bundeskriminalamt (BK), über Betrüger: „Wenn sich nicht das schlechte Gewissen einschaltet, wenn Unschuldige büßen müssen, gibt es ein Problem.“ Außerdem bräuchten – zumindest kurzfristig – erfolgreiche Betrüger „ein bisschen ein Organisationstalent, eine Grundschläue“. Gruber hatte etwa durch einen Namenswechsel dafür gesorgt, dass bei Banken seine alten Schulden nicht mehr aufschlugen. Eine technische Lücke, die während seiner Haft behoben wurde.
Wenn ich ein Angebot sehe, das zu schön ist, um wahr zu sein, ist es das auch wahrscheinlich.
Der Faktor Mensch sei aber immer da, sagt Rak: Betrüger nutzen das Vertrauen ihrer Opfer aus – und setzen auf Zeitdruck. „Wir neigen dazu, in der Eile Dinge für bare Münze zu nehmen“, erklärt Österreichs oberster Betrugsbekämpfer: Als potenzielles Opfer sollte man sich Zeit nehmen und hinterfragen, warum einen das Finanzamt plötzlich per SMS informieren oder das eigene Kind per förmlicher Textnachricht kontaktieren sollte. Bei Betrugsmaschen, die das große Geld versprechen, gelte: „Wenn ich ein Angebot sehe, das zu schön ist, um wahr zu sein, ist es das auch wahrscheinlich.“
Hoher Preis
Zu schön, um wahr zu sein, war im Fall von Franz Gruber das eigene, erschwindelte Leben. Bei seiner Verhaftung war er sofort geständig. „Das war nicht mutig, das war eine logische Folge. Die Polizei wusste ja alles, wozu sollte ich sie anlügen? Später habe ich meinem Kind, meiner Mutter und meinem Vater durch die Glasscheibe ins Gesicht geschaut und über einen Telefonhörer gesagt: ,Ja, ich habe diese Scheiße getan.’ Die haben das ja nicht gewusst. Das ist mutig.“
Geständnis
„Ich habe ich meinem Kind, meiner Mutter und meinem Vater durch die Glasscheibe ins Gesicht geschaut und über einen Telefonhörer gesagt: ,Ja, ich habe diese Scheiße getan.’ Die haben das ja nicht gewusst. Das ist mutig.“
Sein Geständnis wurde ihm vor Gericht strafmindernd angerechnet. Auch dass der Schaden großteils wiedergutgemacht werden konnte, linderte die Strafe. Gewerbsmäßigkeit, Wiederholung, Anzahl der Geschädigten, und Höhe der Schadenssumme sorgten aber dennoch für die lange Haftstrafe. „Der Preis war ziemlich hoch“, sagt er heute: „Ich habe einige Jahre lang mein Kind nicht gesehen, das Leben verpasst. Meine Familie ist teilweise weggebrochen, gestorben, verloren gegangen. Und am Ende fehlen mir die Versicherungszeiten bei der Pension wahrscheinlich auch.“
Im Gefängnis war der Alltag trist: „Man lernt das Fernsehprogramm auswendig. Wer nicht arbeitet, hat eine Stunde Spaziergang im Hof mit viel Beton und wenig Grün.“ Einmal in der Woche einkaufen, zweimal wöchentlich duschen – und 23 Stunden täglich auf engstem Raum. Wer Glück hat, ist allein oder zu zweit in einer Zelle. Wer Pech hat, teilt sie sich mit fünf Kollegen. Die Jahre hinter Gittern würden einen Menschen ändern, sagt Gruber: „Heute meide ich Menschenansammlungen. Vor der Haft war ich mittendrin. Aber jetzt ist es mir einfach unangenehm.“
Glück hinter Gittern
„Ein Betrüger wird es vielleicht so lange probieren, bis er erwischt wird“, sagt Pekler. Nach der Strafe verdiene aber jeder eine weitere Chance: „Jeder Mensch ist resozialisierbar. Wir haben immer wieder auch Klientinnen und Klienten, die mehrere Delikte gesetzt haben, mehrmals in Haft waren und dann die Kurve kratzen. Diese zweite, vielleicht dritte Chance zu geben, ist sinnvoll – auch wirtschaftlich.“
Jeder Mensch ist resozialisierbar.
Gruber kontaktierte den Verein „Neustart“ noch aus dem Gefängnis heraus. „Alleine schafft man das nicht“, sagt er ohne Zweifel in der Stimme: „Man braucht Hilfe. Jemanden, der einem einen Schubser in die richtige Richtung gibt.“
„Ich hatte Glück“, sagt Gruber: Der Küchenleiter der Haftanstalt holte ihn in die Küche, dort wurde er Vorarbeiter und bekam später sogar einen Lehrlingsplatz: „Ich habe dort Fleischteile gesehen, die kein Lehrling heraußen irgendwo sieht. Ein halbes Rind zerlegt kein Lehrling. Das macht man hinter Gittern, weil einfach Zeit ist.“ Die Lehrabschlussprüfung war sein erster Tag als Freigänger, zu ersten Bewerbungsgesprächen fuhr er auf Ausgang – mit Erfolg, aber viel Bauchweh: „Es war eine total neue Welt.“ Statt großen Behältern, aus denen im Gefängnis Essen geschöpft wird, musste er in Freiheit fein à la Carte kochen: „Meine Mutter sagt heute noch: Sie weiß nicht, wie ich das mache, weil ich als Jugendlicher sogar Wasser angebrannt hätte.“
Die Angst vor dem Neuen zu überwinden, hat sich ausgezahlt: Franz Gruber hat sich ein neues Leben aufgebaut. Nicht jeder in seinem neuen Umfeld weiß von seiner kriminellen Vergangenheit. „Ich glaube, dass man in Österreich rasch abgestempelt wird: ,Einmal Straftäter, immer Straftäter’. Dann ist es vielleicht besser, seine Geschichte nicht zu erzählen“, sagt er, nachdem er profil fast eine Stunde aus seinem Leben erzählt hat. Susanne Pekler, die beim Gespräch dabei war, unterbricht die Stille, die sich nach diesem Satz über den Tisch legt: „Ich finde es sehr mutig, dass Sie dazu stehen. Wer die Verantwortung für das, was er getan hat, übernimmt, schafft es viel leichter, als jemand, der immer Ausreden sucht und sagt, es war jemand anderer schuld.“ Gruber schüttelt den Kopf. „Es war keiner schuld, nur ich und meine Gier.“