Wie Verschwörungsgläubige auf Telegram eine Parallelrealität erschaffen haben
Lockdown, Grüner Pass, Corona-Impfung: Erinnern Sie sich noch an die Covid 19-Pandemie? Die Jahre 2020 bis 2022 waren rückblickend gesehen ziemlich absurd. Wenn es aber eine Sache gibt, die in dieser Zeit massiv an Bedeutung gewonnen hat, dann ist es der Messengerdienst Telegram und seine Gruppen und Kanäle, die dort ihre Falschinformationen ausspielen. Erinnert sei etwa an die Radikalisierung des deutschen Sängers Xavier Naidoo und des veganen Starkochs Attila Hildmann oder an die wöchentlichen Corona-Demos in der Wiener Innenstadt. In der Kommunikation und Organisation spielte Telegram eine Rolle, weil Falschinformationen und rechtsradikale Verschwörungstheorien von anderen sozialen Netzwerken gesperrt wurden.
Ein Expert:innenenteam der Bundesstelle für Sektenfragen hat sich im Zeitraum März 2020 bis September 2023 mit der österreichischen Corona-Protestbewegung und der Verbreitung von Verschwörungstheorien auf Telegram-Channels beschäftigt. Mittels eines Online-Monitorings wurden 278 Channels untersucht, die maßgeblich an der Verbreitung Covid 19-Verschwörungstheorien in Österreich beteiligt waren.
Die 278 untersuchten Channels hätten unterschiedlicher nicht sein können. Inhaltlich ist aber eine bestimmte Vernetzung wahrnehmbar. Egal, ob die Akteur:innen Esoteriker:innen, Rechtsradikale oder selbsternannte Journalist:innen alternativer Medien waren, Verschwörungstheorien über die Covid 19-Krise haben sie alle miteinander verbunden. Ein zentrales Kommunikationsinstrument auf Telegram ist das Weiterleiten von Nachrichten – eine Möglichkeit, von der alle Kanäle massiv profitiert haben. Das zeigen auch die ausgewerteten Zahlen.
Wobei ein Rückgang in den Reichweitenziele zu beobachten ist: Wurden im Zeitraum Ende 2021 bis Anfang 2022 die untersuchten Kanäle rund neun Millionen Mal am Tag angeschaut, sind die Views heute bei rund vier Millionen Aufrufen täglich. Die Aufrufzahlen bleiben jedoch relativ konstant.
Alternative Medien, die echten Gewinner der Corona-Krise
Obwohl das Interesse an Covid 19 mit dem Ende der Lockdowns gesamtgesellschaftlich abgeflacht ist, scheint es auf Telegram nach wie vor Thema zu sein. Insbesondere Kanäle, die „alternative Nachrichten“ anbieten, haben in dieser Zeit massiv an Leser:innenschaft dazu gewonnen.
Das rechtsextreme Verschwörungsportal AUF1 hat besonders profitiert. Gut 270.000 Follower hat der Channel auf Telegram Stand jetzt.
Alternative Medien wie AUF1 inszenieren sich als seriös – mit professionell gestalteten Grafiken oder Scheinexpert:innen, die zur Rede kommen. Sie kommentieren tagesaktuelle politische Geschehen und untermauern ihre Argumente mit den immer gleichen Verschwörungstheorien: Dem „Great-Reset“, also der Verschwörungstheorie, die behauptet, eine globale Elite würde die Gesellschaft umplanen wollen, um seine eigene Macht festzulegen, dem „New World Order“ – einer Theorie, die besagt, eine mächtige, geheime Gruppierung würde die Welt kontrollieren. Laut der Verschwörungstheorie vom „großen Austausch“ würde eine geheime Elite die Bevölkerung in westlichen Ländern durch eine systematische Migration von Menschen aus anderen Regionen ersetzen, um kulturelle Entwicklungen zu lenken. Für diese Theorien gibt es keine Belege, das stört die Überzeugungstäter von AUF1 aber nicht. Vor allem Personen, die älter und nicht besonders medienaffin sind, werden von AUF1 schleichend geködert.
Pandemie als Sprungbrett
Während Corona kamen viele Menschen auf Telegram zum ersten Mal mit Verschwörungsmythen in Kontakt. Inzwischen haben die Betreiber der einschlägigen Kanäle ihr Themenspektrum deutlich erweitert: sie setzen auf polarisierende Nachrichten über die queere Community, Migration, Esoterik, Parteipolitik oder das Verschwörungsmilieu im allgemeinen. Mit der Orientierung an tagesaktuellen Geschehnissen schaffen Telegram-Kanäle es, ihre Leser:innen-Zahl auch nach Ende der Maßnahmen hoch zu halten.
„Calls to Actions“ seit Corona anders
Auf Telegram hat sich seit der Pandemie eine ernstzunehmende Teilöffentlichkeit entwickelt, resümieren die Expertinnen und Experten der Bundesstelle. Die zigtausenden Mitglieder in den Kanälen werden auch immer wieder zum Aktivismus aufgerufen, mit sogenannten „Calls to Actions“. Zwar finden derzeit keine Demonstrationen mehr statt, rechtsextreme und Verschwörungstheorien-basierte Channels wenden die Werkzeuge der Angstmache vor den „Anderen“ nach wie vor an, um ihre Follower:innen zum Handeln zu motivieren. Gemeint sind damit finanzielle Unterstützung, die Weiterleitung ihrer Nachrichten, oder auch die Wahl bestimmter Parteien.
Feindbilder
Immer wieder werden Berufsgruppen, wie Politiker:innen, Ärzt:innen oder Journalist:innen, sowie demokratische und seriöse Medien, dämonisiert, einzelne Verschwörungs-Akteur:innen und Telegram-Influencer:innen hingegen glorifiziert. Telegram-Channels funktionieren als „One-to-Many-Kommunikation“. Der Kanalbetreiber sendet seine Nachrichten, die Mitglieder können meist nur lesen. Sie haben demnach nicht einmal die Möglichkeit, nachzufragen oder über die Inhalte in den Channels zu diskutieren.
Der Bericht des Bundesstelle für Sektenfragen zeigt: Die Verbreitung von Verschwörungstheorien auf Telegram ist selbst nach dem Ende der Corona-Maßnahmen präsent. Es ist klar erkennbar, dass ein Netzwerk an Kanälen eine eigene Teilöffentlichkeit erschaffen hat. Menschen, die einmal in dieser Parallelrealität gefangen sind, kommen nur schwer wieder heraus. Wie das trotz allem gelingen kann? Am ehesten mit Präventions- und Aufklärungsarbeit.