Interview

Wie wird aus einem Teenager ein Terrorist, Herr Neumann?

Der Sicherheitsexperte Peter Neumann warnt vor einer neuen Welle des islamistischen Terrors in Europa – und sagt, was man dagegen tun muss.

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Herr Neumann, was ging Ihnen durch den Kopf, als in Österreich drei Konzerte von Taylor Swift wegen Terrorgefahr abgesagt werden mussten?

Neumann

Natürlich war ich zunächst schockiert. Das hat sich in all den Jahren der Beschäftigung mit dem Terrorismus nicht geändert. Dann dachte ich mir, dass sich das leider mit der These meines neuen Buches deckt. Ich befürchte, dass wir von solchen Anschlagsversuchen in naher Zukunft mehr sehen werden. Die mutmaßlichen Attentäter waren 19 und 17 Jahre alt. Sie haben sich online radikalisiert und wollten im Namen des Islamischen Staates (IS) Ziele in Westeuropa angreifen.

Ein 15-Jähriger aus Deutschland soll den 19-Jährigen angestachelt haben. Warum werden die Tatverdächtigen immer jünger?

Neumann

Das hat auch mit dem Internet zu tun. Anders als vor zehn oder zwanzig Jahren läuft mitunter der gesamte Radikalisierungszyklus online ab. Es braucht nicht mehr zwingend einen so genannten Offline-Influencer, also zum Beispiel einen radikalen Prediger vor Ort in einer Moschee. Social-Media-Plattformen wie zum Beispiel TikTok zielen auf immer jüngere Menschen ab und werden immer stärker von Algorithmen betrieben.

Wer das Video eines islamistischen Predigers anklickt, bekommt drei Neue in die Timeline gespült.

Neumann

Insbesondere junge Menschen geraten so in Blasen hinein. Wenn ich einmal auf einen Islamisten drücke, dann kriege ich nur noch Informationen in diese Richtung und brauche nicht einmal mehr danach zu suchen. Gerade die Generation Z, also jene, die während der Pandemie noch Kinder waren, sind ständig im Internet und machen kaum noch Unterschiede zum nicht-digitalen Raum. Es ist nicht die Ideologie, die sie antreibt, sondern Gewaltfantasien. Die Attentäter von Hamburg, die am 11. September 2001 die Flugzeuge in das World Trade Center lenkten, trafen sich vier Mal in der Woche abends zum Tee trinken, um sechs oder sieben Stunden bis spät in die Nacht Theologie zu diskutieren. Heute sehen wir einen ganz anderen Typus.

Peter R. Neumann: Die Rückkehr des Terrors

Neumann zeigt, wie sich der Dschihadismus seit dem 11. September 2001 entwickelt hat und was die neue Gefahr ausmacht. Eine bestechende Analyse, die vor Augen führt, was Deutschland und Europa bevorstehen könnte – und was Sicherheitsbehörden, Politik und wir alle tun müssen, um dieser Gefahr und den möglichen gesellschaftlichen Konflikten angemessen zu begegnen. Erschienen bei Rowohlt.

Wir reden hier vor allem von Männern, oder liege ich da falsch? 

Neumann

Ja, obwohl etwa 10-15 Prozent weiblich sind. Das war beim IS vor zehn Jahr auch ungefähr so, hat sich also nicht groß geändert.

Aber ist dieser neue Typus nicht auch geradezu naiv und dilettantisch? Die Attentäter von Paris im November 2015, die 130 Menschen töteten, bereiteten sich akribisch vor, griffen zeitgleich an mehreren Orten an. 

Neumann

Das stimmt. Sie sind häufig nicht Teil von großen Netzwerken und inkompetenter, beziehungsweise überschätzen sich. Das bedeutet aber nicht, dass sie ungefährlich sind. Anfang April hat ein 15-Jähriger in Zürich auf offener Straße auf einen orthodoxen Juden eingestochen. Das ist genau das Vorgehen, das der IS propagiert. Ein Attentat mit einfachsten Mitteln. Ein 14-Jähriger hat die Möglichkeit, mit einem Messer in eine Menge reinzulaufen und Menschen tot zu stechen. Oder, wenn er älter ist, sich in ein Auto zu setzen und hineinzufahren. 

Sie schreiben, dass der 7. Oktober, als die radikalislamistische Hamas Israel überfallen hat, wie ein Katalysator wirkte. 

Neumann

Der 7. Oktober war ein einschneidendes Ereignis. So viel war schon lange nicht mehr los in der dschihadistischen Szene. Plötzlich war da das Gefühl, dass jetzt wieder etwas geht. Mein Team und ich haben eine Datenbank angelegt und angefangen, alle durchgeführten und versuchten Anschläge in Westeuropa seit damals auszuwerten. 

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.