Wien als Hotspot für Putins Agenten
Nur weg. Das denken sich derzeit viele Russen – wer Geld hat, versucht es. Die Visaanträge in der EU und in Österreich sind deutlich gestiegen. Vergangenes Jahr wurden in Österreich 9011 Anträge russischer Staatsbürger genehmigt. Viele der Neulinge behaupten, als Regimegegner in Russland nicht mehr sicher gewesen zu sein und darum das Weite gesucht zu haben. Nur, das ist die halbe Wahrheit.
In ganz Europa häufen sich Verdachtsfälle, dass sich darunter Personen befinden, die mit Tarnidentitäten eingeschleust wurden, um für Putin zu spionieren. Österreich wird dabei von internationalen Medien und Experten immer wieder als Hotspot beschrieben.
Das ist wenig verwunderlich: Wien gilt seit jeher als Hochburg der Spione – das neutrale Land zwischen Ost und West sowie die Gesetzeslage begünstigen Spionagetätigkeiten. Dazu kommt, dass der Justiz hierzulande die Sensibilität für nachrichtendienstliche Aktivitäten fehlt. In den seltensten Fällen werden Ermittlungsverfahren eingeleitet, bisher hat es im Sprengel Wien absurderweise noch nie eine Verurteilung wegen Spionage gegeben.
Spektakuläre Ermittlungen
Solche könnten aber bald Premiere feiern. Derzeit laufen spektakuläre Ermittlungen wegen des Verdachts der Spionage gegen ehemalige Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung – das hat jüngst zu mehreren Razzien geführt, wie profil erfuhr. Es besteht der Verdacht, dass diese Ex-Beamten auch für den flüchtigen Wirecard-Vorstand Jan Marsalek nachrichtendienstlich tätig geworden sind. Der Mann soll für eine der größten Firmenpleiten der jüngeren Geschichte hauptverantwortlich zeichnen.
Sein Aufenthaltsort wird im Schutz russischer Militärdienste in Moskau vermutet – profil liegen dazu valide Hinweise vor.
In das Visier der mutmaßlich korrupt gewordenen Beamten geriet auch der Aufdeckerjournalist Christo Grozev, der mit seinem Investigativmedium „Bellingcat“ für Putin zum Staatsfeind avancierte. Auf dem „Aspen Security Forum“ in Colorado, USA, antwortete er vor Kurzem auf die Frage, warum er Wien als Wohnort verlassen habe: „Die russischen Interessen sind tief in den österreichischen Staatsapparat vorgedrungen – in die Justiz, in die Sicherheitsapparate.
Es gibt strafrechtliche Ermittlungen gegen zwei ehemalige Mitarbeiter der russischen Geheimdienste, die mich, meine Familie und 30 weitere Personen ausgespäht haben sollen, die für die russischen Behörden ein Interesse darstellen. Das sagt vieles.“
Das berichtete die bulgarische Tageszeitung „Dnevnik“. Grozev lebte zuletzt mit Polizeischutz in Wien, weil er mehrfach Morddrohungen mit der Handschrift des Kremls erhalten hatte. Er verließ Österreich und zog in die USA, weil er sich in Wien nicht mehr sicher fühlte.
Mehr Personal
Seit Ausbruch des Ukraine-Krieges haben sich die in Wien ansässigen Nachrichtendienste insgesamt hochgerüstet – Russland im Speziellen. Einerseits geschieht das eben vermehrt mit verdeckt eingeschleusten Personen: „Auf den ersten Blick sind das normale Menschen, die in Österreich einem Job nachgehen: gar nicht so selten sind das zum Beispiel Journalisten“, erläutert ein hochrangiger Mitarbeiter eines westlichen Nachrichtendienstes gegenüber profil.
Es sei oft schwierig und komplex, diese Personen dann auch mit Beweisen zu enttarnen. Das gelang zuletzt etwa im Dezember: Ein griechischer Staatsbürger soll als Spion Russlands zu Lasten Österreichs unterwegs gewesen sein.
Viel häufiger machen sich die russischen Spione aber gar nicht erst die Mühe, sich derart zu verstecken. Meistens sind sie ganz offiziell als Diplomaten tätig. Moskau betreibt in Wien eine der größten Botschaften Europas. Bereits zwei Mal hat Österreich vier Personen die Akkreditierung wegen Spionageverdachts entzogen.
Darunter waren auch Personen, die als Diplomaten bei der Atomenergiebehörde und der OECD tätig waren.
Für die Behörden ist es schwierige, Spionage aufzuklären – auch, weil ihnen schlicht die Befugnisse fehlen. Ein Beispiel: Die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) wurde jüngst massiv medial kritisiert, weil sich Putins Tochter offenbar regelmäßig unbehelligt in einem Chalet in Kitzbühel einquartierte und die Behörden davon nichts wussten.
Grund dafür ist die Gesetzeslage: Die Grünen hatten durchgesetzt, dass Sicherheitsbehörden Flugdaten innerhalb des Schengenraums nicht mehr automatisch übermitteln dürfen. Wie sollen die Behörden aber jemanden finden, von dem sie nicht wissen dürfen, dass er da ist? Und selbst wenn man jemanden erwischen würde: Im internationalen Vergleich sind die Strafen lächerlich gering.