Wien-Wahl: Die FPÖ und die verdächtige Ruhe vor dem Sturm
Der Wiener Wahlkampf nähert sich auf leisen Sohlen. Und so wirkt auch die Debatte im Stadtparlament wie eingefroren. Ein gerechteres Wahlrecht, das nicht die größte Partei begünstigt - bis auf die Jahre des NS-Regimes herrscht die Wiener Sozialdemokratie nun bald ein volles Jahrhundert lang -, wurde eben erst zu Grabe getragen. Zum Schaden der Grünen, die vor ihrem Eintritt in die rot-grüne Koalition geschworen hatten, darauf niemals zu verzichten, bei ihrer Ehre.
Die Fragestunde, mit der jede Wiener Gemeinderatssitzung beginnt, so auch am Donnerstag vergangener Woche, ist nicht mehr als ein Probelauf für spätere Gefechte. Man übt. Noch geht es um nichts. Die Jüngeren wischen über ihre Smartphones, die Älteren haben Laptops auf ihren Pulten aufgeschlagen. Man bräuchte ein Fernglas, um von der Zuschauergalerie aus zu erkunden, was die Gemeinderäte in den sozialen Netzwerken treiben, während ihre Kollegen am Rednerpult nicht aus den Bandwurmsätzen herausfinden.
Fotografieren von oben ist verboten, seit jemand die Dekolletes weiblicher Gemeinderäte herangezoomt hatte. Als Journalist sitzt man seitwärts auf der Galerie wie in einer Kirchenbank. Über sich hat man mit 22 Karat Blattgold veredelte Kassettendecken, die aus der Nähe gar nicht mehr edel wirken, sondern protzig und schwer. Auf derselben Ebene wie die Berichterstatter befinden sich auch die anderen Zuschauer. Am vergangenen Donnerstag war es eine Besuchergruppe der "SPÖ-Bildungsorganisation“, für deren Begrüßung die Sitzung sogar unterbrochen wurde. Schaut man hinunter in den Saal, glänzt eine ganze Reihe von Glatzen, auf denen Lichter des Kronleuchters, eines der größten der Welt, 3000 Kilogramm schwer, tanzen.
Häupl ist die Autorität
In den Vormittagsstunden ist noch der Bürgermeister persönlich anwesend. Michael Häupl ist der längstdienende Politiker der Wiener Stadtgeschichte. So lange sein Auftritt währt, eilt ein Amtsdiener, der aussieht wie ein Oberkellner, alle paar Augenblicke mit frisch gefüllten Wassergläsern zum Rednerpult. Häupl pariert die Angriffe der Opposition mit lässiger Routine. Selbst eher müde Bonmots werden mit beifälligen Lachern quittiert. Häupl ist die Autorität.
Sobald er das Pult verlässt, wird er von Genossen belagert. Man sucht seine Nähe, man kreuzt beiläufig seinen Weg.
Die Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou von den Grünen wirkt gereizt, als sie wieder einmal darüber Auskunft geben muss, was sie in der Verkehrspolitik vorangebracht hat. Heute geht es um den Radverkehrsanteil der Wiener, um wie viel Prozent Radfahrer es heute mehr gibt als vor ihrem Amtsantritt und ob auch die Zunahme der Anzahl der Fußgänger damit Schritt halten könne. Bis ins kleinste Detail wird um Statistiken und Prozentsätze gerungen, um Kosten und bewusstseinsbildende Maßnahmen. In puncto Verbissenheit bleibt die Opposition von ÖVP und Freiheitlichen der grünen Stadtchefin da nichts schuldig. Ein trauriger Höhepunkt der Sitzung und ein Spiegelbild rot-grüner Stadtpolitik.
Misstrauensantrag gegen Brauner scheitert
Ein weiterer Anlass für Empörung sind die Frankenkredite der Stadt Wien. Stadträtin Renate Brauner steht am Pranger. Sie hätte den Verfall des Euro zum Franken voraussehen müssen, lautet der Vorwurf. Sie hätte auf die Expertise der Opposition hören müssen, heißt es. (Lachen im Saal) Brauner steht vor dem Gemeinderat wie ein Fels, in einem Kleid in verwirrendem Rautenmuster in Schwarz-Weiß. Man könnte beim Starren in Hypnose fallen, doch so lange dauert auch diese Debatte nicht. Der Misstrauensantrag gegen Brauner findet keine Mehrheit.
Professor Alexander Van der Bellen, der Wunschkandidat der Grünen für die Hofburg, der noch immer am Überlegen ist, treibt sich derweil auf den Gängen herum. Bei den Rauchern im Glaskobel. Er betrachtet das Geschehen mit großer Distanz. Er liest gerade ein Buch über das Amt des österreichischen Bundespräsidenten, in dem der Rechtswissenschafter Manfred Welan zum Schluss kommt, dass man das Amt ohne Verluste abschaffen könnte. Das gäbe ihm zu denken, sagt Van der Bellen verschmitzt.
Ungewohnt artiger Gudenus
Einmal geht es um etwas wirklich Wichtiges: um mehr Geld für die Arbeit der Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft, um Integrationspolitik, Förderungen für Ausländerberatungsstellen, Jugendarbeit und Frauengruppen. Für die FPÖ waren solche Themen stets ein willkommener Anlass, mit Schaum vor dem Mund gegen "Linke“ und "Multikulti“ zu hetzen. Der freiheitliche Klubobmann Johann Gudenus erzählt auf Marktplätzen gern Schauergeschichten aus diesem Sektor. Doch weit gefehlt. Artig sitzt er in der ersten Reihe und meldet sich nicht zu Wort. Nicht einmal bei der aufflammenden Islam-Debatte. Sätze wie: "Jetzt, wo man gewisse Dinge nicht mehr leugnen kann …“, die allerorts verwendet werden, auch in den Reihen der Sozialdemokratie, verkneift er sich.
Artig und wohlerzogen, als hätte er eben einen Elmayer-Benimmkurs absolviert, gibt sich Gudenus dann auch später in der Kantine. "Wir haben nie gehetzt. Wir haben immer differenziert, wir sind für Religionsfreiheit.“ Man darf annehmen, dass sich die Freiheitlichen das Thema für den Wahlkampf aufsparen. Sie warten auf den richtigen Zeitpunkt, um die Niedertracht von der Leine zu lassen.
Sie denken sich: Wir halten lieber den Mund, lassen die Sozialdemokraten untereinander streiten. Die Zeit arbeitet für uns. Sie rechnen damit, bei der kommenden Wien-Wahl die 30-Prozent-Marke zu überschreiten.