Wien-Wahl: Grüne stecken 10.000 Euro am Tag in Social Media
„Wow. Unser Straßenbefragungsvideo zum Thema Wohnen ist voll durch die Decke gegangen. 800.000 Views in Summe.“ Sichtbar stolz präsentiert Judith Pühringer, Spitzenkandidatin der Wiener Grünen, ihr viral-gegangenes Reel auf Instagram. Bei gerade einmal 4200 Followern eine beachtliche Reichweite – ein kleiner Coup? Vielleicht. Was die Politikerin nicht erwähnt: Die Grünen haben kräftig nachgeholfen. Mehr als 1500 Euro flossen allein für die Bewerbung dieses einen Beitrags an den Meta-Konzern in Kalifornien.
Gesponserte Postings sind längst fester Bestandteil moderner Wahlkämpfe – wie Katzenvideos im Internet. Ohne Reels, Stories und Postings läuft in der politischen Kommunikation kaum noch etwas. Und wenn die organische Reichweite ausbleibt, wird mit Werbung nachgeholfen. Für Plattformen wie Facebook, Instagram oder YouTube ist das ein lukratives Geschäft – vor allem in Wahlkampfzeiten.
Zur Wahrung der Transparenz verpflichten sich Plattformen seit 2019 zur Offenlegung politischer Werbeschaltungen. Davor sahen sich die sozialen Netzwerke mit Kritik konfrontiert, dass Wahlkämpfe durch ausländische Einflussnehmer manipuliert werden könnten. Seither veröffentlichen Facebook, Instagram und Co. die Finanziers von politischen Botschaften. Auch im laufenden Wien-Wahlkampf sind diese Daten öffentlich einsehbar. profil hat die Ausgaben der letzten 30 Tage analysiert, vom Bezirksrat bis zum Bürgermeister, von allen sieben Listen, die am Sonntag am Stimmzettel stehen.
Grüne vor Neos, SPÖ und FPÖ
Spitzenreiter sind mit großem Abstand die Wiener Grünen mit 234.409 Euro an Werbeschaltungen bei Facebook und Instagram. Rund die Hälfte davon (120.740 Euro) steckte die Partei allein in die Facebook- und Instagram-Profile der Spitzenkandidatin Judith Pühringer. Die andere Hälfte verteilt sich auf die Landespartei und ihre Bezirksorganisationen. Dazu kommen noch 83.450 Euro für den gleichen Zeitraum bei Googles Mutterkonzern Alphabet, vor allem für Werbeclips auf der Videoplattform Youtube. Zusammengerechnet ergibt das in den vergangen 30 Tagen eine Summe von 317.859 Euro.
Damit übertreffen Pühringer und die Grünen bei den Ausgaben für Social Media alle Mitbewerber. Mit großem Abstand folgen die NEOS mit insgesamt 102.807 Euro, davon rund zwei Drittel für Google-Werbung. Die Wiener SPÖ investierte im selben Zeitraum 95.061 Euro, wobei das Facebook-Profil von Bürgermeister Michael Ludwig mit 7.500 Euro eher zurückhaltend beworben wird. Die Freiheitlichen liegen mit 92.356 Euro knapp hinter den Sozialdemokraten.
Die ÖVP verzichtet zwar auf Google-Kampagnen, buchte aber immerhin 87.889 Euro bei Facebook und Instagram. Auffällig: Die Farbgebung der Sujets variiert je nach Bezirk – mal türkis, mal schwarz, mal gelb.
Grüne Content-Farm
Ob bei der Präsentation der neuen Wahlplakate oder einer Joggingrunde auf der Praterallee – jeder Anlass wird vom grünen Wahlkampfteam genutzt, um die Spitzenkandidatin zu inszenieren. Selbst banale Alltagsereignisse wie der Kauf neuer Laufschuhe werden beworben. Die Kandidatin gibt sich digital nahbar. Zwischen wenigen hundert Euro für 5000 Impressionen, bis zu 2500 Euro für eine halbe Million: Die Kosten pro Posting variieren stark. Grundsätzlich gilt: je zielgerichteter die Botschaft adressiert wird, desto höher ist der Preis für die Werbung. „Das ist eine bewusste Entscheidung“, erklärt Pühringer im Gespräch mit profil. „Dieses Geld muss gut eingesetzt sein und nicht beliebig rausgehauen werden.“
Im Schnitt lassen sich die Wiener Grünen ihre Werbung auf Social Media täglich mehr als 10.000 Euro kosten – wohlgemerkt: lediglich für die Schaltung. Personal für die Gestaltung und den Schnitt ist da noch gar nicht eingerechnet.
Die grüne Landesparteivorsitzende erklärt die Strategie so: „Um junge Menschen zu erreichen, müssen wir online gut wahlwerben.“ Sie verweist auf den zwischenzeitlich veröffentlichten Transparenzbericht ihrer Partei zu den aktuellen Wahlwerbekosten. Dieser offenbart: 750.000 Euro haben die Grünen rein für Internetwerbung veranschlagt. Mehr als doppelt so viel wie für Sujets in Print, Radio oder TV. „Uns ging es nicht darum, neue Follower oder reine Interaktionen aufzubauen, sondern darum, dass sich die Leute wirklich mit unseren Inhalten beschäftigen, sich die Videos anschauen und auch länger anschauen.“
Dabei sind es die Grünen, die für gewöhnlich die Machtkonzentration amerikanischer Techkonzerne kritisieren. Wie groß aber die Abhängigkeit von diesen Digitalkonzernen geworden ist, zeigt sich schlicht anhand fehlender europäischer Alternativen – auch für politische Parteien, die in Wahlkampfzeiten zu den besten Finanziers der amerikanischen Plattformen gehören. „Es ist natürlich eine Abwägungssache, gleichzeitig den Online-Wahlkampf total auszulassen und zu sagen: ’wir spielen da nicht mit’, ist schwierig – auch weil das einen Wettbewerbsnachteil bedeutet.“ Sonst sei man gegenüber den Mark Zuckerbergs dieser Welt nach wie vor kritisch, betont die grüne Parteivorsitzende.
Die Liste KPÖ&Links bringt es bislang auf 16.409 Euro an Social Media Werbung – rund 90 Prozent davon von der KPÖ. Spendabler zeigt sich Heinz-Christian Strache mit seinem Team HC: 37.741 Euro für Social Media stehen bislang zu Buche.
Wie wichtig Reichweite im Netz geworden ist, demonstrierte Strache früh – als Pionier der digitalen politischen Inszenierung. Damals wie heute zählen nicht Parteien, sondern Persönlichkeiten. Der Rechtsstreit mit der FPÖ um seine Facebook-Seite zeigte zudem: Der Aufbau solcher Profile wird oft mit Parteigeldern finanziert – ob das reichenweitenstarke Profil von Strache ihm selbst oder der FPÖ gehört, war ein langer Streit, den die Partei für sich entschied. Er musste von null beginnen.
Die Social Media Profile von Judith Pühringer gehören übrigens den Grünen.