VP-WIEN-CHEF JURACZKA: Leidensfähigkeit als Jobvoraussetzung

Wien-Wahl: Warum Wiener ÖVP-Obmänner zum Verlieren verdammt sind

ÖVP-Obleute in Wien waren konservativ, liberal und sogar weiblich. Nur erfolgreich waren sie nie. Gernot Bauer über den unmöglichsten Job der Republik.

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Will man von Bernhard Görg wissen, welche Charaktereigenschaft ein Obmann der Wiener Volkspartei unbedingt braucht, kommt die Antwort flugs: "Leidensfähigkeit.“ Görg muss es wissen. Von 1992 bis 2002 stand der frühere Personalberater und IBM-Manager an der Spitze der ÖVP in der Bundeshauptstadt. 15 Jahre nach seiner letzten Wahl analysiert Görg das Phänomen Wiener ÖVP tiefenpsychologisch: Die Aussicht, niemals Nummer eins in der Stadt werden zu können und meistens in Opposition bleiben zu müssen, schlage der Partei kollektiv aufs Gemüt. Daher herrsche dort immer "eine schlechtere Grundstimmung als in vom Glück und der Wählerstruktur begünstigteren Landesgruppen“.

Wer übel gelaunt durchs Leben oder in einen Wahltag geht, erspart sich zumindest Enttäuschungen - oder erlebt angenehme Überraschungen. Eine solche würde es für die ÖVP Wien am Wahlabend des 11. Oktober bereits bedeuten, könnte sie ihr Ergebnis von 2010 (14 Prozent) halten. Immerhin wäre sie dann die einzige schwarze Landespartei der vergangenen fünf Jahre, die eine Regionalwahl ohne Verluste überstünde. Ganz übel Gelaunte in der ÖVP würden wohl einwenden, dass es kein großer Erfolg ist, das schlechteste Ergebnis der Parteigeschichte zu halten: Parterrer als Parterre geht’s eben nicht. Möglicherweise wird der aktuelle Wiener Obmann Manfred Juraczka, 46, am Wahlabend den Gegenbeweis antreten und das Ergebnis von 2010 noch unterbieten. "Schlechte Stimmung“ wäre dann wohl keine präzise Beschreibung der schwarzen Gefühlslage.

Bei politischen Niederlagen gibt es keinen Vaterschaftsstreit: Sackt die ÖVP Wien noch weiter ab, wird Juraczka persönlich zur Verantwortung gezogen. Zum Erfolg benötigt ein ÖVP-Obmann Fortune - wie Johannes Hahn, der 2005 dank einer schwächelnden FPÖ zulegte und auf 18,8 Prozent kam. Juraczka ist im Wahlkampf 2015 das Glück weniger hold: Er will über Verkehr in der Großstadt reden, die Großstadt nur über Flüchtlinge. Er will sich an Häupl reiben, Häupl nur an Strache. Er verjüngt seine Partei, die neue NEOS-Konkurrenz wirkt dennoch jünger.

Die Wiener Volkspartei hatte in den vergangenen 15 Jahren unterschiedliche Typen an ihrer Spitze: liberale und eher konservative, verspielte und eher bürokratische, alte und eher jüngere, ausgleichende und eher autoritäre. Und einmal vertraute man sogar einer Frau. Erfolgreich war kein einziger ÖVP-Chef, der weibliche (Christine Marek) bescherte der Partei 2010 sogar den historischen Tiefststand.

Geborene Verlierer?

Sind Wiener ÖVP-Obleute geborene Verlierer, die mit der Erblast der unabwendbaren Niederlage ins Amt kommen? Kann man in dieser Funktion eigentlich alles nur falsch machen? Und steht man am Wahlabend zwangsläufig als bemitleidenswertes Opfer auf der Bühne - in einer Nebenrolle zu den Hauptdarstellern von SPÖ und FPÖ?

Es gibt drei Arten von Landesparteichefs in der ÖVP. Die einen sind schon Landeshauptmänner (V, T, S, OÖ, NÖ, ST). Die anderen könnten es zumindest theoretisch - und mit blauer Hilfe - werden (B, K). Und dann gibt es den Landesparteiobmann der Wiener ÖVP. Er ist der Exot, dessen Schicksal nur vom Tiroler und Vorarlberger SPÖ-Vorsitzenden geteilt wird; der seine Kollegen aus den Bundesländern niemals in der Landeshauptleutekonferenz trifft, sondern in Sitzungen des Bundesparteivorstands der ÖVP. Dort verfügt auch der Wiener Obmann formal über Rede- und Stimmrecht. Entscheidungen fallen allerdings in informellen Gremien - und dort zählen die Stimmen, die eine Landespartei bei einer bundesweiten Wahl liefert. Bei der Nationalratswahl 2013 erzielte die ÖVP in ganz Wien nur 115.000 Stimmen - und damit weniger als in der Region Wald-/Weinviertel.

Zumindest einen evidenten Vorteil hat ein Wiener Landesparteiobmann gegenüber den selbstbewussten Kollegen in den Ländern: Die Koordinierung seiner Bundesratsmitglieder ist relativ unaufwendig. Die Niederösterreicher verfügen in der Länderkammer über sieben Mandate, die Wiener ÖVP über eines.

Obwohl es sich beim Posten des Wiener ÖVP-Obmanns also um eine ausgesprochen undankbare Aufgabe handelt, finden sich interessanterweise immer wieder genug Jobbewerber, sodass sogar eine Kampfabstimmung möglich wäre - wie 2010. Mit Christine Marek, damals Staatssekretärin für Jugend und Familie, machte Bundesparteiobmann Josef Pröll ausgerechnet jene Person zur Landesparteichefin, die das gar nicht wollte.

Im Gegensatz zu Marek hatte etwa Harald Himmer - bei ihm handelt es sich um den einzigen Wiener ÖVP-Bundesrat - echten Ehrgeiz entwickelt. Die Bevorzugung von Marek lag an Prölls tiefer, allerdings nicht verifizierter Überzeugung, dass ein Wiener ÖVP-Chef, will er Erfolg haben, vor allem eines sein muss: liberal. Offenbar war weder "Frau sein“ noch "liberal sein“ Programm genug, sodass Marek im Wahlkampf 2010 zusätzlich eine scharfe Law-and-order-Rhetorik entwickelte, die im Desaster endete.

Groll auf Hahn

Christine Marek kassierte die Niederlage, für die eigentlich Johannes Hahn vorgesehen war. Hahn gilt bis heute als einer der strategisch hellsten Köpfe der ÖVP. Auch in eigener Sache: Im Jänner 2010 - acht Monate vor der Wahl - machte sich der damalige Wissenschaftsminister aus dem Staub und wurde EU-Kommissar in Brüssel. Der Groll in der Wiener ÖVP hält sich bis heute: Hahn war der einzige Landesparteiobmann der jüngeren Parteigeschichte mit Ministeramt. ÖVP-Obmann Wilhelm Molterer hatte ihm 2007 das Wissenschaftsressort übertragen, um der Wiener Landespartei endlich mehr Einfluss und Aufmerksamkeit zu verschaffen. Mit Hahn ging für die Wiener auch das lang ersehnte Ministeramt verloren, ausgerechnet an die Steirer. Vom einfachen Wiener Abgeordneten Wolfgang Schüssel wurde der Fahnenflüchtige im Abgang angestänkert - wofür viele in der ÖVP Verständnis entwickelten.

Als er selbst die ÖVP führte, verordnete Schüssel der Wiener Landespartei Alfred Finz als Obmann. Der Finanzstaatssekretär sollte nach dem allzu unabhängigen und gegen Schwarz-Blau eingestellten Bernhard Görg vor allem Ruhe und Berechenbarkeit in die Landespartei bringen, wofür Finz - im Zivilberuf Sektionschef im Rechnungshof - auch absolut geeignet war.

Görg, Finz, Hahn und Marek hatten dem aktuellen Obmann Manfred Juraczka eines voraus: ein Amt. Görg war Vizebürgermeister, die anderen waren Mitglieder der Bundesregierung. Juraczka darf als nicht amtsführender Stadtrat in Wien Michael Häupl beim Regieren über die Schulter schauen. Will Juraczka ÖVP-Chef bleiben, wäre es hilfreich, nach der Wahl den Einzug in die Wiener Stadtregierung zu schaffen. Ein Vizebürgermeister ist schwerer abzumontieren als ein nicht amtsführender Stadtrat. Fällt Juraczka der Wahl zum Opfer, könnte wohl nur ein junger, unverbrauchter, telegener Wiener Wunderwuzzi mit Glamour-Ministeramt und grenzüberschreitendem Star-Appeal die Stadtpartei vor dem Untergang retten. Will Sebastian Kurz nicht, weil er zu Höherem berufen ist (oder wird), übernimmt möglicherweise Staatssekretär Harald Mahrer, 42, die Wiener Landespartei - obwohl man ja mit Staatssekretären zuletzt nicht viel Glück hatte.

Wer immer die Wiener Volkspartei führt, muss unverbesserlicher Optimist sein - und auf die Wankelmütigkeit der Wähler setzen: Wenn, wie demoskopisch bewiesen, immer mehr Bürger immer öfter andere Parteien wählen als beim vorigen Mal, könnten sie irgendwann auch wieder zur ÖVP wechseln. Bis es nach der einen oder anderen Niederlage so weit ist, muss der Obmann seiner Partei Lustfähigkeit vermitteln. Er selbst mag die Welt rosig sehen, seinen Funktionäre erscheint sie düster, schließlich sind sie Wiener. Oder wie es Bernhard Görg formuliert: "Jeder ÖVP-Funktionär in Simmering oder Favoriten wälzt sich täglich im Bett und verflucht sein Schicksal, das ihn nicht zum Funktionär in Klosterneuburg oder Tamsweg hat werden lassen.“

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.