Besucher des Akademikerballs 2018

Wiener Akademikerball: "Ausdruck der Normalisierung von Rechtsextremismus"

Judith Goetz, Expertin für Rechtsextremismus, spricht im Interview über die Auftritte von Vizekanzler Strache, Antisemitismus in Burschenschaften – und ob die Kritik an dem Ball vielleicht auch überzogen ist.

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profil: Der Vorläufer des Akademikerballs, der Wiener Korporations-Ball (WKR-Ball), wurde von schlagenden Burschenschaften organisiert. Seit 2013 veranstaltet ihn nun die FPÖ. Was hat sich seither verändert? Judith Goetz: Die Teilnahmezahlen, aber auch die politische Bedeutung des Balls, haben sich in den letzten Jahren immer wieder stark verändert. Nachdem die FPÖ begonnen hat, den Ball auszurichten, sanken die Besucherzahlen. Insbesondere in Deutschland wurde es von vielen nicht goutiert, dass der Ball von einer Partei ausgerichtet wird. Auf der anderen Seite wollten vor allem ältere Gäste den durch die Proteste erschwerten Weg zur Hofburg nicht mehr auf sich nehmen. Hinzu kam, dass Andreas Mölzer, der sich als Europa-Angeordneter für die Beteiligung von VertreterInnen von europäischen Rechtsparteien engagierte, 2014 zurücktreten musste und dementsprechend deutlich weniger internationale Gäste kamen. Der Vernetzungscharakter ging verloren. Dennoch versuchte die FPÖ die Teilnahmezahlen mit Bussen, mit denen insbesondere FPÖ-Mitglieder aus den Bundesländern nach Wien gekarrt wurden, wieder in die Höhe zu treiben. Aber natürlich veränderte sich die Bedeutung des Balls auch durch den Umstand, dass die FPÖ inzwischen in der Regierung sitzt.

profil: Verliert der Ball dadurch an Sprengkraft? Goetz: Ja und nein. Ja, da die schleichende Normalisierung von Rechtsextremismus ohnehin schon stattfindet. Nein, weil sich die Proteste gegen den Ball selbstverständlich auch gegen die Regierung richten und dadurch sehr aktuell sind.

profil: Seit letztem Jahr besucht FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache den Ball als Vizekanzler. Ist das eine bewusste Provokation? Goetz: Ich würde sagen, dass es eher Ausdruck der Normalisierung von Rechtsextremismus ist, sowie ein Austesten von Grenzen, was in diesem Land möglich ist. Für größere oder länger andauernde Skandale oder gar politische Konsequenzen sorgen derartige Aktionen in Österreich schon lange nicht mehr.

profil: Immer wieder wird bekrittelt, dass der Akademikerball just an einem der repräsentativsten Orte der Republik, der Wiener Hofburg, stattfindet. Ist das ein Problem? Goetz: Die Kritik an der Veranstaltung ging von Anfang an in zwei Richtungen: Auf der einen Seite gab es eher bürgerliche, zivilgesellschaftliche Kräfte, die vor allem skandalisierten, dass der Ball in einem der repräsentativsten Orten der Republik, mitten in der Wiener Innenstadt stattfinden kann. Sie hätten sich vermutlich damit zufrieden gegeben, wenn der Ball in eine Veranstaltungshalle in Liesing verbannt werden würde. Auf der anderen Seite kritisierte vor allem das „NoWKR“-Bündnis, dass diese Forderung zu kurz greife und der Ball auch nirgendwo anders stattfinden sollte, da es ja um die politische Herkunft der TeilnehmerInnen und nicht nur um den Veranstaltungsort ginge. Dennoch war auf beiden Seiten die Freude groß, als die Hofburg GmbH 2012 den Vertrag mit dem WKR aufkündigte. Nachdem dieselben Burschenschafter heute nicht nur im Parlament, sondern teilweise auch in der Regierung sitzen, hat dieser Kritikpunkt allerdings an Bedeutung verloren.

profil: Bei seiner letztjährigen Festrede hat Vizekanzler Strache gegen Antisemitismus und totalitäres Denken aufgerufen. Nehmen Sie ihm das ab? Goetz: Seit einigen Jahren versucht die FPÖ, Antisemitismus eher zu thematisieren und sich davon zu distanzieren, als damit aufzufallen. Dass ihr das nicht immer gelingt, zeigen vor allem auch zahlreiche Beispiele rund um den WKR-Ball 2012. Heinz-Christian Strache meinte in Hinblick auf die Proteste gegen den Ball: „Wir sind die neuen Juden“. Nach medialer und politischer Kritik an der Aussage, meinte er, dass es sich um ein Zitat des verstorbenen Ex-FPÖ-Chefs Jörg Haider handle und sich auf „Massenpsychosen, die dort passiert sind und auch von den Ballbesuchern erlebt wurden“ bezogen hätte. NS-Vergleiche wären durch Beschimpfungen wie „Nazi-Schlampe“ von den BallgegnerInnen gekommen. Die FPÖ zog sogar in Erwägung, rechtliche Schritte gegen Personen (insbesondere den ehemaligen Präsidenten der IKG, Ariel Muzicant) einzuleiten, die den Ball und die BesucherInnen als rechtsextrem und antisemitisch bezeichnet hatten. Muzicant hätte laut FPÖ mit seinem Aufruf zu Gegendemonstrationen den Tatbestand der Verhetzung gegen eine Gruppierung wegen deren Weltanschauung erfüllt. Zudem sprach FPÖ-Europaabgeordneter Franz Obermayr von einer „Pogrom-Stimmung“ bei der Demonstration gegen den WKR-Ball. Andreas Mölzer wiederum sinnierte darüber, „ob Herr Muzicant bereits darüber nachdenkt, für unbelehrbare Rechtsextremisten Anhaltelager einzurichten?“ und auch Klaus Nittmann, Geschäftsführer des freiheitlichen Bildungsinstituts, beklagte: „Wer für diesen Ball arbeitet, der bekommt gleich den Judenstern aufgedrückt“.

profil: Die Thematisierung bleibt ein Scheinkampf? Goetz: Thematisiert die FPÖ Antisemitismus, geht es dabei in der Regel darum, islamisierten Antisemitismus beziehungsweise Antisemitismus vor allem bei MuslimInnen auszumachen. Über den Antisemitismus der österreichisch-deutschen Vergangenheit und Gegenwart, oder auch antisemitische Traditionen der Burschenschafter, wird hingegen weitgehend geschwiegen. Auf ähnliche Art und Weise ist auch die Distanzierung von totalitärem Denken zu verstehen, das seitens der FPÖ vor allem „den Linken“ zugeschoben wird.

profil: Ist Antisemitismus in den deutschnationalen Burschenschaften noch immer stark verankert? Goetz: Gerade die sogenannte Liederbuchaffäre hat gezeigt, wie gegenwärtig und wenig aufgearbeitet antisemitisches Gedankengut in den Reihen der Burschenschaften ist. Das belegen auch zahlreiche weitere Beispiele, sowie die unkritische Bezugnahme auf verstorbene antisemitische Mitglieder, wie Georg von Schönerer.

profil: Hat die sogenannte Liederbuch-Affäre um den niederösterreichischen FPÖ-Spitzenkandidaten Udo Landbauer den Burschenschaften nachhaltig geschadet? Goetz: Die Liederbuchaffäre hat insbesondere international viel Aufmerksamkeit bekommen und möglicherweise jene, die dachten, es handle sich hierbei „nur“ um eine kleine, marginalisierte Gruppe Ewiggestriger, über deren gesellschaftlichen Status und politischen Einfluss aufgeklärt. Aber auch in Österreich blieb der Skandal über einen ziemlich langen Zeitraum öffentliches Thema. Dass jedoch keine langfristigen politischen Konsequenzen daraus gefolgt sind, belegt wiederum, dass es den Burschenschaftern nicht nachhaltig geschadet hat.

Judith Goetz ist Literatur- und Politikwissenschafterin

profil: Letztes Jahr trafen zirka 8000 Demonstranten auf 3000 Polizisten, die halbe Wiener Innenstadt war zudem abgeriegelt. Für heuer wird ähnliches erwartet. Warum lässt die FPÖ den Ball nicht einfach bleiben? Goetz: Nachdem die Mobilisierung erst vor wenigen Tagen begonnen hat, könnte es durchaus sein, dass die Zahlen in diesem Jahr geringer ausfallen. Gleichzeitig wirkt der Umstand, dass sich die Proteste gegen den Ball auch gegen die aktuelle Regierung richten, sicher mobilisierend. Für die FPÖ gibt es keinen Grund den Ball sein zu lassen, es handelt sich um ein prestigereiches Event, bei dem sie sich stolz zur Schau stellen und auch internationale Gäste beeindruckt werden können. Die politischen Proteste ermöglichen es ihr zudem, sich als Opfer des linken „Meinungsterrors“ zu inszenieren.

profil: Ist die Aufregung um den Ball vielleicht auch überzogen? Goetz: Der Ball hat einen gewissen Symbolcharakter, er steht für den großen Einfluss einer, gesamtgesellschaftlich gesehen, sehr kleinen Gruppe. Burschenschafter vertreten durch die männerbündische Organisationsform und den damit verbundenen Ausschluss von Frauen nicht nur ein antiquiertes, sexistisches Geschlechterbild, sondern vertreten und verbreiten durch ihren elitären Zugang sowie ihre deutschnationale, rechtsextreme Ausrichtung auch Ideologien der Ungleichheit, die Menschen aufgrund von Kategorien wie Geschlecht, sozialer und geografischer Herkunft benachteiligende gesellschaftliche Positionen zuweisen oder diese Angehörige bestimmter Gruppen gänzlich exkludieren wollen. Dass die Gruppe von Personen nun auch politische Gestaltungsmacht in diesem Land hat, bekommen viele Menschen deutlicher denn je zu spüren. Insofern würde ich sagen, dass die Kritik weiterhin notwendig bleibt.

Zur Person:

Judith Goetz ist Literatur- und Politikwissenschafterin, Lehrbeauftragte an verschiedenen österreichischen Universitäten, Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit sowie des Forschungsnetzwerks Frauen und Rechtsextremismus. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen bei Rechtsextremismus und Frauen*/Gender sowie Antifeminismus. Sie ist Mitherausgeberin Sammelbands "Untergangster des Abendlandes. Ideologie und Rezeption der rechtsextremen 'Identitären'". In Kürze erscheint der dritte Sammelband der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit "Rechtsextremismus: Band 3: Geschlechterreflektierte Perspektiven" mit mehreren Beiträgen von Judith Goetz.

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Von 2009 bis 2024 Redakteur bei profil.