Wiens Vizebürgermeister Wiederkehr: „Die ÖVP ist oft eine schlechte Kopie der Freiheitlichen“
Der Wiener Neos-Chef über seinen Auftrag für Parteifreund Strolz, die Übermacht von SPÖ-Bürgermeister Ludwig und die Frage, wann die versprochenen Qualitätskriterien für Medienkooperationen kommen.
Herr Vizebürgermeister, können Sie sich noch daran erinnern, als die Stadt Wien für die frühere SPÖ-Politikerin Renate Brauner ein Büro für Daseinsvorsorge geschaffen hat?
Wiederkehr
Sehr gut sogar. Ich habe das als sehr problematisch angesehen. Das Büro für Daseinsvorsorge ist mittlerweile auf unser Drängen abgeschafft worden.
Wie unterscheidet sich die Versorgung Brauners von dem Beratervertrag, den Sie Matthias Strolz verschafften?
Wiederkehr
Es ist ein massiver Unterschied, ob ein Job in einer Stadt geschaffen wird oder ob es persönliche Beratungsdienstleistungen zu einem Thema gibt. Ich habe in der Opposition nie gesagt, dass Politiker sich nicht beraten lassen dürfen. Das Gegenteil ist der Fall. Politiker tun gut daran, sich von Leuten, die Wissen haben, beraten zu lassen.
Wie viele Bewerbungen gab es für den Strolz-Job?
Wiederkehr
Das ist kein Job in der Stadt. Matthias Strolz berät mich in meiner Tätigkeit als Stadtrat bei einem Bildungsprojekt. Das ist sowohl rechtlich als auch politisch ein riesiger Unterschied. Und bei Beratungen zu einem Thema geht es darum, die bestqualifizierte Person zu nehmen.
Matthias Strolz soll für sechs Monate Beratung 30.000 Euro bekommen. Wird sich diese Investition lohnen?
Wiederkehr
Wir haben das von Anfang an transparent gemacht. In anderen Fällen wird das gar nicht offengelegt. 30.000 Euro ist die Maximalsumme, abgerechnet werden Beratungsleistungen, Verbindungen, Projekte. Was machen wir? Wir bereiten ein Festival für Bildung vor. Und wir arbeiten an einem Zentrum für Bildungsinnovationen, wo Matthias Strolz über sein Wissen und über seine Kontakte dem Projekt dienlich ist.
Wie oft ist er im Rathaus?
Wiederkehr
Letzte Woche war er bei einer Veranstaltung mit Lehrer:innen, Direktor:innen, Wissenschaftler:innen aus dem Bildungsbereich und Start Ups, wo wir unsere Projekte besprochen haben. Wir haben den Termin gemeinsam konzeptioniert.
Wiederkehr und Strolz bei einem Termin im Rathaus Anfang Mai
Heißt das, sie zapfen vor allem die Expertise von Matthias Strolz in Sachen Marketing und Öffentlichkeitsarbeit an?
Wiederkehr
Nein, sondern seine Expertise im Fachlichen. Matthias Strolz hat nach der Politik Bildungsinnovations-Projekte groß gemacht. Etwa das Mentoring-Programm Sindbad für Schülerinnen und Schüler, das ausgezeichnet funktioniert.
Wie würden Sie es finden, wenn Karl Nehammer Sebastian Kurz als Berater einstellt?
Wiederkehr
Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, wofür das gut sein sollte. Ich würde es danach beurteilen, ob das wirklich die Person ist, die am besten geeignet ist, und ob das transparent abläuft. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal: Wir haben immer alles transparent gemacht. Die Beraterverträge der anderen Regierungsmitglieder scheinen ja nirgendwo auf.
Die werden dann durch parlamentarische Anfragen öffentlich.
Wiederkehr
Oft auch nicht. Aber ja, ich finde, all das sollte verpflichtend öffentlich gemacht werden.
Auch von der SPÖ Wien?
Wiederkehr
Auf jeden Fall. Ich finde, dass sowohl Beratungsverhältnisse transparent dargestellt werden sollen, als auch Studien, die mit Steuergeld finanziert wurden.
Bleiben wir bei der Bildung: Ein ganz akutes Problem in Wien ist der Lehrerkräftemangel. Wie hilft da ein Bildungsfestival dagegen?
Wiederkehr
Das Thematisieren verstärkt den Stellenwert der Bildung. Ich war vor kurzem in Finnland. Lehrerinnen und Lehrer genießen dort das höchste Ansehen von allen Berufsgruppen. In Österreich stehen wir ganz woanders. Das größte Problem ist tatsächlich der Lehrkräftemangel. Wir steuern seit Jahren darauf zu, und das Ministerium hat vieles übersehen. Ich könnte es mir leicht machen und sagen, dass wir dafür nicht zuständig sind - mache ich aber nicht. Wir haben zum Beispiel in den letzten zweieinhalb Jahren in allen Wiener Schulen ein Schulsekretariat aufgebaut, um Lehrkräfte von administrativen Aufgaben zu entlasten. Einige Punkte müssen aber auf Bundesebene getan werden, zum Beispiel den Quereinstieg in die Volksschule zu erleichtern. Der ist de facto nicht möglich, dabei haben wir vor allem dort einen unglaublichen Personalmangel.
Sie sagen also, die Verantwortung liegt beim Bund. Die Lehrergewerkschaft meint allerdings, die Wiener Stadtregierung schaue tatenlos zu. Kommt Ihre Politik nicht an?
Wiederkehr
Das sagt die ÖVP-Lehrergewerkschaft, das muss man dazusagen. Aber es sind alle gefordert: Bund, Land und Gemeinden. Meine Vision ist, Wien zur zentraleuropäischen Hauptstadt der Bildungsinnovation zu machen. Das ist kein Sprint.
Was würden Sie als Bildungsminister anders machen?
Wiederkehr
Am wichtigsten wäre, auch integrationspolitisch, der Ausbau der Ganztagsschulen mit einem kostenlosen, gesunden Mittagessen. In Wien machen wir das bereits. Aber wir müssen schon davor ansetzen, im Kindergarten. Dort blockiert aktuell wieder einmal die ÖVP.
Da soll der Karl Mahrer bitte mal mit seinen Leuten reden anstatt immer auf Wien zu zeigen.
Christoph WIederkehr
Neos-Vizebürgermeister in Wien
ÖVP-Stadtrat Karl Mahrer ortet bei der Wiener Stadtregierung ein Integrationsversagen.
Wiederkehr
Die Kritik richtet er vor allem an seine eigene Partei. Das zweite verpflichtende Kindergartenjahr wäre so wichtig zur Verbesserung der Deutschkenntnisse, aber die ÖVP blockiert. Da soll der Karl Mahrer bitte mal mit seinen Leuten reden anstatt immer auf Wien zu zeigen.
Gibt es für Sie in dieser Frage noch einen Unterschied zwischen ÖVP und Freiheitlichen?
Wiederkehr
Die ÖVP ist oft eine schlechte Kopie der Freiheitlichen. Beide sind an der Spaltung der Gesellschaft interessiert.
Die Grünen haben über ihre 10-jährige Zusammenarbeit mit der SPÖ in Wien einmal gemeint, sie würden gegen Beton rennen. Sind die Neos auch schon angerannt?
Wiederkehr
Es gibt harte Bretter, die wir zu bohren haben. Aber es gibt ja auch die Bereitschaft, etwas gemeinsam zu machen. Das erste dicke Brett war, ein ganzes Kapitel zur Transparenz und Kontrolle ins Regierungsübereinkommen zu schreiben und das so zu gestalten, dass es jederzeit kontrolliert werden kann.
Wie hart war das Brett Wien Energie?
Wiederkehr
Das war ein mühsames Kapitel, weil aus meiner Sicht die inhaltliche Arbeit und die Entscheidungen der Wien Energie richtig und notwendig waren. Aber das Krisenmanagement war eine Katastrophe. Das größte Problem war die Nicht-Kommunikation.
Fühlen Sie sich als Koalitionspartner wertgeschätzt, dass an Ihnen vorbei Milliardenbeträge aus der Staatskasse locker gemacht wurden?
Wiederkehr
Die Wiener Stadtverfassung gibt dem Bürgermeister hier sehr viel Macht - darüber werden wir weiter diskutieren.
Wollen Sie den Bürgermeister in seiner Machtfülle beschränken?
Wiederkehr
Ich finde es sinnvoll, hier zu präzisieren. Derzeit ist es das Recht des Bürgermeisters, in einer Krisensituation schnell eine notwendige Entscheidung zu treffen. Ich wurde im Nachgang dieser Entscheidung informiert. Aus meiner Sicht wäre eine aktive Information sinnvoll gewesen. Die inhaltliche Entscheidung, hier die Wien Energie finanziell zu unterstützen, war richtig und absolut notwendig, um Schaden von der Stadt abzuwenden.
Sie haben, nachdem Ihr Büro informiert worden ist, über 40 Tage lang nicht mit Michael Ludwig gesprochen. Wollten Sie nicht mit ihm sprechen - oder er nicht mit Ihnen?
Wiederkehr
Wir haben insgesamt eine sehr gute Gesprächsebene, die oft auch über unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stattfindet. Ich vertraue meinem Büroleiter, der hier in dieser Causa mit dem Präsidialchef des Bürgermeisters im engen Austausch war. Direkte Gespräche gibt es dann, wenn etwas neu zu verhandeln ist.
Sprachen mehr als 40 Tage nicht miteinander: Wiederkehr und Ludwig
Im Arbeitsübereinkommen der Stadtregierung wird ein Kriterienkatalog angekündigt, nach dem Inserate vergeben und Medienkooperationen eingegangen werden. Wann kommt denn der Katalog?
Wiederkehr
Was wir in einem ersten Schritt umgesetzt haben, ist der Medientransparenzbericht. Erstmalig in der Wiener Geschichte kann man online nachschauen, welche Werbe-Kampagnen die Stadt Wien gemacht hat und wofür Geld ausgegeben wurde. Wir haben darüber hinaus in einem zweiten Schritt massive Einsparungen bei der Kommunikation der Stadt vorgenommen und sind jetzt in einem dritten Schritt dabei zu verhandeln, wie genau solche Kriterien aussehen.
Und die kommen sicher?
Wiederkehr
Es gibt eine Arbeitsgruppe. Es ist aber medienpolitisch keine triviale Frage, die hier zu lösen ist: Kriterien festzulegen, ab welchem Punkt ein Stoppschild aufgestellt wird, wann die journalistische Qualität so gering oder demokratiegefährdend ist, dass keine Inserate mehr geschaltet werden dürfen. Daran arbeiten wir.
Sie sagen, das Anzeigenvolumen sinkt. Ganz stimmt das nicht. Die Stadt Wien hat im vergangenen Jahr 25 Millionen Euro ausgegeben, im Jahr davor 24 Millionen Euro. Und das obwohl im Rahmenkommunikationsplan der Stadt nur ein Budget von 20 Millionen Euro vorgesehen ist. Offenbar gibt es Stadträte, die über den Rahmenkommunikationsplan hinausgehend Anzeigen schalten und damit das Budget sprengen.
Wiederkehr
Ich finde, dass der gemeinsame Rahmenvertrag auch eingehalten werden muss.
Können Sie hier und jetzt garantieren, dass es für 2023 weniger sein wird als 25 Millionen Euro?
Wiederkehr
Ja, wir werden alles daran setzen, dass es so ist.
Die berüchtigtste Behörde in der ganzen Stadt ist die MA35, immer wieder gibt es Kritik an den langen Wartezeiten und dem schlechten Service. Wissen Sie, wie lange man aktuell auf einen Staatsbürgerschaftstermin wartet?
Wiederkehr
Wir haben die Wartezeit für einen Erstberatungstermin halbiert, von über einem Jahr auf unter ein halbes Jahr. Wir haben die Angebote für die Beratung massiv ausgebaut und dieses Jahr im April 93 neue Mitarbeiterinnen allein für die Einbürgerung eingestellt.
Der Leiter der MA35 rechnet mit 27.000 zusätzlichen Anträgen der Geflüchteten aus dem Jahr 2015. Sind Sie dem mit 93 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gewappnet?
Wiederkehr
Das ist noch nicht gesagt. Wir haben jetzt einen massiven Ausbau geschafft, wir müssen aber weiter beobachten, wie es sich entwickeln wird.
Wir haben insgesamt eine etwas restriktivere Position zur Staatsbürgerschaft.
Christoph Wiederkehr
Neos-Vizebürgermeister in Wien
Die Wiener SPÖ hätte gern, dass Menschen schneller eingebürgert werden - und nicht wie bisher zehn Jahre warten müssen. Können Sie da mit?
Wiederkehr
Wir haben da eine etwas andere Positionierung. Wo wir aber die gleiche Auffassung vertreten, ist, dass das Verfahren viel zu bürokratisch und schikanös sind. Wenn eine Serbin, die in Österreich geboren ist und hier aufwächst, ein Jahr Erasmus macht, kann sie nicht mehr beantragen, weil sie nicht mehr anspruchsberechtigt ist. Das sind Absurditäten, die gehören dringend geändert. An der Aufenthaltsdauer, ab der man beantragen kann, würde ich jetzt nicht rütteln.
Sie sind also restriktiver als die SPÖ.
Wiederkehr
Wir haben insgesamt eine etwas restriktivere Position zur Staatsbürgerschaft.
Vielleicht wechseln wir zum Schluss noch einmal auf die Bundesebene. Es wurde in der Vergangenheit immer öfter die Möglichkeit einer Ampelkoalition diskutiert. Wie stehen Sie dazu?
Wiederkehr
Mir geht es vor allem darum, dass Neos als einzige Partei in der Mitte im Zentrum so stark wird, dass wir unsere Inhalte verhandeln können, mit unterschiedlichen Parteien. Wir haben in Salzburg mit den Grünen und der ÖVP regiert. Wir regieren in Wien mit der SPÖ. Wir sind keinem Lager zugeordnet und machen solche Koalitionsverhandlungen davon abhängig, in welcher Konstellation am ehesten Fortschritt möglich ist.
Sie sind also grundsätzlich nicht gegen eine Ampel.
Wiederkehr
Sie ist durchaus vorstellbar und wäre eine von unterschiedlichen Optionen. Jetzt geht es darum, NEOS so stark zu machen, dass diese und andere Optionen möglich sein werden. Aktuell sehen wir, dass die FPÖ massiv von der schlechten Arbeit der Bundesregierung profitiert und die ÖVP ihr den roten Teppich ausrollt. Dass man ohne Not in Salzburg und in Niederösterreich in diese Koalitionen geht, das halte ich staatspolitisch für nicht zu verantworten.
Was schreckt Sie mehr ab: Das konservative Familienbild von FPÖ und ÖVP oder die klassenkämpferischen Ansagen der SPÖ?
Wiederkehr
Ich sehe beides gleich problematisch. Bei Andreas Babler war ich ehrlich gesagt schockiert, wie geschichtsvergessen er ist. Man spaßt nicht mit Europa. Dass er die EU als aggressives militärisches Bündnis bezeichnet, das schlimmer als die NATO sein soll, ist jenseitig. Er soll Geschichte lernen, das Gegenteil ist der Fall. Europa ist das größte Friedensprojekt, das es jemals auf der Welt gegeben hat.
Ein Bildungsminister Wiederkehr unter einem Bundeskanzler Babler ist also eher unrealistisch.
Wiederkehr
Das ist eine hypothetische Frage, für Neos geht es um einen klaren proeuropäischen Kurs und um einen klaren Kurs, der den Wirtschaftsstandort Österreich stärkt. Eine 32-Stunden-Woche in der jetzigen Zeit ist absurd.Das ist eine unrealistische und nicht machbare Politik.
Bei Andreas Babler war ich ehrlich gesagt schockiert, wie geschichtsvergessen er ist.
Christoph WIederkehr
Neos-Vizebürgermeister in Wien
Babler forciert auch Vermögenssteuern. Wie liberal ist es, wenn Vermögen über Generationen hinweg angehäuft wird?
Wiederkehr
Das kann man aus liberaler Sicht diskutieren, und es wird bei uns auch diskutiert. Wir haben eine einhellige Meinung, dass jetzt, wo die Steuereinnahmen sprudeln, der falsche Zeitpunkt ist, über neue Steuern zu reden. Wir müssen jetzt die Bevölkerung entlasten, den Mittelstand entlasten und nicht über neue Steuern fantasieren. Die Bundesregierung verteilt Geld mit der Gießkanne, um Menschen abhängig zu machen, wir haben da einen anderen Ansatz.
Eine der Steuern, die Neos am meisten kritisiert, sind die Lohnnebenkosten. Die sind in Österreich tatsächlich hoch. Was wäre, wenn Babler Ihnen anbieten würde: Lohnnebenkosten kürzen, dafür Vermögenssteuern einführen?
Wiederkehr
Das wird dann Bestandteil der Regierungsverhandlungen sein, wenn wir so weit kommen. Für mich ist im Steuersystem wichtig, dass nach einem Abschluss von möglichen Verhandlungen die Steuerbelastung insgesamt sinkt.
In einer früheren Version des Interviews war bei der Frage zu den Inseraten-Ausgaben der Stadt die Rede davon, dass der Presse- und Informationsdienst (PID) der Stadt Wien ein Budget von 20 Millionen Euro habe. Tatsächlich bezieht sich diese Summe auf den Rahmenkommunikationsplan der Stadt Wien, aus dem die Inseratenschaltungen finanziert werden. Das Budget des PID selbst ist höher und umfasst auch die Beträge, die etwa bei der grafischen Gestaltung von Werbekampagnen anfallen. profil.at hat die Frage im Einvernehmen mit dem Interviewpartner nachträglich dahingehend präzisiert.