Im Sinn der Umerziehung: Die Welt des Wilhelm Brauneder
(Anmerkung: Dieser Artikel ist erstmals am 22. Jänner 1996 in profil erschienen, kurz nachdem Wilheln Brauneder Dritter Nationalratspräsident wurde. Am 14. Februar 2018 wurde Brauneder als Leiter der FPÖ-Historikerkommisson vorgestellt.)
Als Wilhelm Brauneder am Montag vergangener Woche "benommen vor Überraschung", wie er sagte, die Gratulationen zu seiner Wahl als Dritter Nationalratspräsident entgegennahm, beugte er sein Haupt jedesmal sehr tief, egal, ob es sich nun um den Parlamentsbeamten, seinen Parteichef Jörg Haider oder den Bundespräsidenten handelte. Brauneder entfernte auch sofort sein Parteizeichen und versenkte es in seiner Jackettasche. Ein weithin Unbekannter war von ÖVP und Freiheitlichen ins Parlamentspräsidium gewählt worden, einer der gerade erst ein Jahr im Nationalrat saß und dessen Einstieg in die Politik auch erst sieben Jahre zurückliegt.
So einer weckt naturgemäß öffentliches Interesse, dann nämlich, wenn die Volkspartei, die Brauneders Parteichef vor einem Monat noch zur Mandatsrücklegung aufgefordert hat, an diesem Montag von einem "Sieg der Demokratie" (VP-Klubobmann Andreas Khol) spricht. Und von einem Dritten Nationalratspräsidenten, der offenbar "den hohen Anforderungen des Amts entspricht" (Khol am 9. Jänner).
Wilhelm Brauneder ist keiner, dessen politische Haltungen in irgendwelchen Nachschlagewerken nachzulesen sind. Seinen Lebenslauf hält er besonders kurz. Geboren: 1943; Vater: Leo, Diplomkaufmann; Mutter: Josefine; Promotion: 1965; akademische Karriere an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät bis hin zum Amt des Dekans; ein umfangreiches Werkverzeichnis. Das war's auch schon. Das von Grünen und Sozialdemokraten noch vor seiner Wahl im Parlament verteilte und vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands zusammengestellte Aktenkonvolut bringt da einiges Licht ins Dunkel, das Brauneder umgibt. Leserbriefe und Artikel in der "Aula", Veröffentlichungen in der vom deutschen Verfassungsschutz als "rechtsextrem und verfassungsfeindlich" eingestuften Schrift "Mut", merkwürdige Vorgänge am Wiener Juridicum, als Brauneder dort Dekan war. Aber wirklich faßlich wird er dort nicht: ein Großdeutscher offensichtlich, mit einigen Abgrenzungsproblemen zur extremen Rechten, ein typischer Freiheitlicher eben mit einer Vorliebe für Haiders Dritte Republik.
Mord und Attentat
Leserbriefe zählen zu den wichtigsten Elementen jeder Zeitung. Hier können sich Menschen, die sich sonst nur schwer öffentlich Gehör verschaffen, preisgeben, im wohligen Wissen, daß ihre Meinung weit über den eigenen Bekanntenkreis hinaus zur Kenntnis genommen wird. Leserbriefe zu schreiben hat viel mit Emotionen zu tun. Jemand ärgert sich über etwas und wird seinen Ärger bei der Niederschrift des Textes los. Das macht ihn authentisch, weil er einen kurzen Einblick in das Innenleben von Menschen gewährt.
Ein solcher Ärger dürfte auch bei Wilhelm Brauneder 1984 hochgekommen sein. In diesem Jahr - man gedachte öffentlich des 40. Jahrestages des Attentats vom 20. Juli 1944 und des 50. der Ermordung des österreichischen Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß, einer ÖVP-Ikone - schrieb er einen Leserbrief an die "Presse". Brauneder ging darin der Frage nach, weshalb man beim Stauffenberg-Attentat auf Hitler stets von "Attentat" und beim Dollfuß-Mord von "Mord" spreche. Hier kamen in ihm jene Emotionen hoch, die einige Wochen später, im September 1984, das NDP-Organ Norbert Burgers, "Klartext", im Vorspann zum nachgedruckten Brauneder-Brief jubilieren ließen: "Wir veröffentlichen nachstehend wörtlich einen Leserbrief (...), in dem ein bekannter Wiener Universitätsprofessor aufzeigt, wie durch eine ganz bestimmte Wortwahl in dem einen Fall von 'Mord' und in dem anderen Fall von 'Attentat' gesprochen wird in der Absicht, die öffentliche Meinung im Sinne der Umerzieher zu manipulieren."
Die "Klartext"-Freude ist verständlich - da hatte einer aus einem renommierten Beruf in aller Öffentlichkeit die Dinge im Sinne des Revisionismus richtiggestellt: Ständestaat und Austrofaschismus - ein "totalitärer Staat" (Brauneder). Gegenüber dem Nationalsozialismus verwendete der Jurist dieses Attribut nicht: Hitler wird genannt und der Begriff von der "offiziösen Geschichtsschreibung" verwendet. Während die Verurteilung der Dollfuß-Attentäter für Brauneder "das Ergebnis eines inkorrekten und unfairen Strafverfahrens" ist, stellt für ihn "Stauffenbergs Handlung gegen Hitler nach damaligen (und heutigen) Begriffen eindeutig einen 'Mordversuch' dar".
Hier wird das Geschichtsbild Wilhelm Brauneders offenkundig. Ob da bei ihm Grundsätze hochgespült wurden oder nur die eigene Familienbiographie, darauf fehlt Brauneders Antwort: Mit profil wollte er nicht reden, auch nicht über seine familiären Verhältnisse.
Prüfungsstoff endet mit 1933
Die weitaus härteren Worte, die Brauneder für den Ständestaat als für das NS-Regime findet, spiegeln sich auch in seinem Standardwerk für die "Österreichische Verfassungs- und Rechtsgeschichte" wider, das nun bereits in seiner siebenten Auflage jeden Jus-Absolventen durch das Studium begleitet. Die Haltung der Parteien in den dreißiger Jahren bewertet Brauneder darin so: "Die Sozialdemokratie verschließt sich Koalitionsangeboten und damit einer Übernahme staatlicher Verantwortung. Ein Großteil des bürgerlichen Lagers lehnt die Demokratie (...), die anwachsende NSDAP den Staat ab." Brauneder erwähnt den Pfriemer-Putsch der Heimwehr, aber nicht die Ermordung von Dollfuß durch die Nationalsozialisten. Brauneder zitiert zwar das 1938 erlassene Bundesgesetz über die Wiedervereinigung, aber er tut es unvollständig. § 2 der Durchführungsverordnung - "ausgenommen vom Stimmrecht ist, wer Jude ist oder als Jude gilt" - bleibt unerwähnt. "Das bisherige Ordnungsgefüge geht unter", leitet er das Kapitel über 1945 ein: "Anders als 1918 lenken die Alliierten aber nicht eine bereits angelaufene, eigenständige Entwicklung in bestimmte Bahnen, sondern initiieren diese und schreiben ihr ihre Richtung vor."
Seinen Studenten mag das egal sein, denn, so hält es Brauneder schon seit Jahren, der Prüfungsstoff endet bei ihm mit 1933.
Der blinde Fleck Brauneders gegenüber dem Nationalsozialismus zeigt sich dann noch einmal flüchtig in einem Leserbrief an die "Aula" im September 1986, in dem er Artikel über die USA als "sehr zutreffend" beurteilt. Der rechtsradikale Günther Masche hatte dort argumentiert, daß sowohl deutsche nationalsozialistische Theoretiker als auch amerikanische New-Deal-Vertreter versucht hätten, die Massenarbeitslosigkeit durch wirtschaftspolitische Eingriffe des Staates zu beseitigen. Roosevelt sei gescheitert, so die nationalsozialistische Kritik, "weil es ihm nicht gelang, ein Diktator zu werden". Brauneder fand "im Artikel über Masche bestätigt, daß man aus der Literatur - auch der durchaus sachlichen - der Zeit 1933-1945 viel mehr zitieren müßte".
Vielleicht liegt Brauneders schiefe Sicht der Vergangenheit an seiner Vaterliebe. Sein Vater war im Februar 1934 als 20jähriger der SA in Wien beigetreten, nur wenige Monate vor der Ermordung des Ständestaatkanzlers. Der Sohn einer Tapeziererfamilie hatte es in der Illegalität offenbar zu einigem Ruhm bei den Nazis gebracht. Immerhin war es der NSDAP-Gauleitung Wien im Mai 1944 wert, der Reichsleitung in München mitzuteilen, daß Leo Wilhelm Bauch, wie der Vater ursprünglich hieß, "nunmehr berechtigt ist, den Familiennamen Brauneder zu führen". Solche Amtswege wurden normalerweise nicht für kleine Mitläufer erledigt.
Auf akademische Karriere bedacht
In seinen außeruniversitären Schriften verficht Brauneder die These von Österreich als drittem deutschem Staat. Er beschäftigt sich mit Staatssymbolen, Gesetzbüchern, Rechtsvergleichen, mit Karl May und mit der DDR. Es mündet immer wieder in eines: daß Österreich im Kern doch eigentlich deutsch sei. Brauneder macht die schwarzrotgoldene Farbsymbolik als Zeichen der deutschen Einheit zu seinem missionarischen Anliegen. Er weist in akribischer Detailtreue diese Farben im österreichischen Bundeswappen nach. In einem Festvortrag für die Burschenschaft "Gothia" knüpfte er daran die rhetorische Frage: "Was bedeutet das für Österreich, für unsere Zukunft, für die Einheit?" In den frühen achtziger Jahren, als er solches immer wieder in der "Aula" mitteilte, kursierten in der Studentenschaft Gerüchte, er würde in seinen Vorlesungen Bemerkungen über die Geschäftstüchtigkeit der Juden fallenlassen und jüdische Namen seiner Hörer besonders häufig und eigenartig betonen. Mit diesen - unbewiesenen - Verdächtigungen wurde Brauneder das erste Mal im vergangenen Herbst öffentlich konfrontiert, als er in Vertretung Jörg Haiders an einer Wahlkampfdiskussion im Juridicum teilnahm. Brauneder wies das empört von sich und verteidigte sich unter anderem damit, daß er sogar sehr gerne Arthur Schnitzler lese, weil dies "eine leichte und lockere Lektüre" sei.
Lange Zeit enthielt sich Brauneder politischer Schlußfolgerungen aus seinem Weltbild. Er war auf seine akademische Karriere bedacht. Im Jahr 1980 beschrieb er für das Freiheitliche Bildungswerk die befreiende Wirkung des Staatsvertrags 1955 "als Ende der unangenehmen Erinnerungen an Vergangenes". Er nahm einmal an einer Tagung des Atterseekreises der FPÖ teil, Mitglied der liberalen Runde wurde er jedoch nie. Er galt, so erinnert sich der damalige FPÖ-Obmann Norbert Steger, als "nahestehender Universitätsprofessor", was ihm die Leitung des Boltzmann-Instituts für "Internationale Kultur- und Wirtschaftsbeziehungen" eintrug. "Eine Packelei zwischen mir und Wissenschaftsminister Heinz Fischer", wie Steger heute zugibt.
Nach der Wahl Brauneders zum Dekan im Jahr 1987 rief die Häufung rechtslastiger Vorträge an der juridischen Fakultät unter Patronanz des Ringes Freiheitlicher Studenten vor allem im Bedenkjahr 1988 eine für ihn unangenehme Öffentlichkeit auf den Plan. Bereits im Mai 1986 hatte der französische Revisionist Pierre Krebs im Juristenhörsaal, flankiert von Küssels Neonazis, vor dem Verlust der "biologischen Substanz der Völker" gewarnt. Bei einer weiteren RFS-Veranstaltung im November 1986 saß Brauneder in der ersten Reihe des Hörsaals und klopfte zustimmend aufs Pult, als der rechtslastige Historiker Bernhard Wilms forderte, eine neue mitteleuropäische Identität müsse "von Deutschland ausgehen". Ein Jahr danach, Brauneder war nun Dekan, kam es zum Eklat. Der bundesdeutsche Rechtsextreme Reinhold Oberlercher, von einer paramilitärisch adjustierten Mannschaft des Neonazis Gottfried Küssel begleitet, vertrat in einem Hörsaal der juridischen Fakultät die Ansicht, daß "sich der Jude auf Gedeih und Verderb anpassen" müsse, um "nicht als bakterieller Krankheitserreger ausgeschieden" zu werden. Markus Gruber, der damalige Generalsekretär der ÖH, hatte Brauneder schon Tage vor dem Ereignis über Oberlerchers Geisteshaltung informiert und ihn - erfolglos - aufgefordert, die Veranstaltung zu verbieten. Brauneder distanzierte sich erst nachträglich davon. "Er wußte genau, was er tat", sagt Gruber heute.
Artikel seien ohne sein Wissen abgedruckt worden
Brauneders Karriere in der FPÖ beginnt 1989 als Gemeinderat in Baden bei Wien. Von da an äußert sich Brauneder nur noch spärlich außerhalb von Fachzeitschriften. Im Frühjahr 1992 nominiert ihn Parteichef Haider in jene Kommission, die den Umvolkungsthesen des Andreas Mölzer einen Persilschein ausstellt. Kommissionsmitglied Walter Simon, Haiders FPÖ sonst freundlich gesinnt, charakterisiert Brauneder nach dieser Zusammenarbeit als "eindeutig deutschnational". 1994 erhält Brauneder ein Nationalratsmandat. Mit der Wahl zum Dritten Nationalratspräsidenten vergangene Woche hat Brauneder den vorläufigen Gipfelpunkt seiner Karriere erklommen. Sein Engagement für rechtsextreme Publikationen wischt er heute mit einer Handbewegung vom Tisch: Seine Artikel seien ohne sein Wissen abgedruckt worden.
Brauneder ist der erste aus einer Riege deutschnational denkender Akademiker, die in der FPÖ unter Haider zu höheren politischen Ehren kommen und diese auch annehmen. Das Geheimnis seines Erfolgs lag vermutlich darin, daß er genauer als etwa sein Freund Lothar Höbelt weiß, wann was zu sagen ist. In seiner Vorlesung über den 2. Weltkrieg teilte der Historiker Höbelt vorvergangene Woche seinen erstaunten Studenten mit, daß die "Waffen-SS anfangs nichts anderes war als die Kinderfreunde der SPÖ". Brauneder würde das nie passieren. Es sei denn, er schreibt einen Leserbrief.