Wir Heimkinder klagen an
In der hintersten Ecke eines Souterrain-Lokals im 15. Wiener Gemeindebezirk, da sitzen sie mit ihren monströsen Geschichten, Männer und Frauen, die jüngsten in ihren 50ern, manche über 70. Schriftstücke werden herumgereicht, handgeschriebene Zettel, in Archiven aufgestöberte, oft lückenhafte Beweise für die Verbrechen, die an ihnen verübt wurden, als sie Kinder waren. Eine Frau mit kurzen, mahagonifarbenen Haaren kramt nach dem Kuvert mit dem goldenen Prägezeichen der Präsidentschaftskanzlei. Er werde 200 Euro überweisen lasse, hatte der höchste Mann im Staat sie wissen lassen, mehr könne er für sie nicht tun. Das Schreiben ist neun Jahre alt. „Wir sind Bittsteller geblieben“, sagt einer aus der Runde. Bitter pflichten die anderen bei: „Einmal Heimkind, immer Heimkind.“
Wie eine eitrige Beule war vor rund fünf Jahren einer der größten Skandale der Nachkriegsgeschichte aufgebrochen. Immer mehr Heimkinder und Internatszöglinge hatten zunächst in Deutschland und mit zeitlicher Verzögerung auch hierzulande zu erzählen begonnen, wie sie in den 1950er-, 1960er- und 1970er-Jahren unter der Obhut von Staat und Kirche körperlich und seelisch gebrochen worden waren. Man hatte sie geschlagen, angespuckt, in Besinnungsräume gesperrt, als Arbeitskräfte ausgebeutet und als Sexualobjekte missbraucht. Jede ihrer Geschichten leuchtete grell in die Abgründe einer Nachkriegswirklichkeit hinein, die von NS-Ideologie, schwarzer Pädagogik, Frauenverachtung und einem mörderischen Hass auf alles „Asoziale“ durchdrungen war.
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