Wirbel um die ORF-Gagen: Die Millionenshow
Von Gernot Bauer
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Donnerstag, 14. Dezember, abends. Im ORF-Zentrum am Wiener Küniglberg findet die große Weihnachtsfeier statt. Die Stimmung, erzählen Mitarbeiter, war eher mau. Ein intensives Jahr liegt hinter dem ORF, ein ebensolches vor ihm. Ab dem Jahreswechsel finanziert sich der Rundfunk über eine Haushaltsabgabe. Der langerwartete Streamingdienst ORF ON wird hochgefahren – aus der Mattscheibe wird eine bunte multimediale Plattform. Soeben wurden neue Chefredakteure bestellt. Vor dem Wahljahr nimmt der Druck der Politik bereits zu. Doch an diesem Abend wird ein anderes Thema diskutiert: die Spitzengagen im Haus.
Ausgerechnet am Tag der Weihnachtsfeier veröffentlicht die Tageszeitung „Österreich“ eine Liste von ORF-Großverdienern. Generaldirektor Roland Weißmann gab bereits in einem profil-Interview im Sommer bekannt, knapp 380.000 Euro im Jahr zu verdienen. „Österreich“ taxiert ihn auf 400.000 Euro.
Auch Ö3-Weckermann Robert Kratky erhält dem Bericht zufolge 400.000 Euro. Der „Wecker“ ist allerdings eine Cashcow des ORF, Kratky seit Jahrzehnten dabei, und die Supergage soll wohl sicherstellen, dass er es auch bleibt.
Was seit Jahren gemunkelt wurde, schreibt auch „Österreich“: Bestverdiener am Küniglberg ist nicht der Generaldirektor, sondern mit 450.000 Euro Pius Strobl. Dessen Luxusvertrag wurde noch vom früheren ORF-General Alexander Wrabetz unterzeichnet.
Strobl hatte schon einige Funktionen im ORF inne. In den vergangenen Jahren verantwortete er das Megaprojekt der Sanierung des ORF-Zentrums am Wiener Küniglberg, das Humanitarian Broadcasting („Licht ins Dunkel“) und das Facility Management. In den ORF-Fluren wird bereits gewitzelt, der Hausmeister würde mehr verdienen als der Hausherr.
Neben der Gage sorgt auch Strobls Alter für Irritation. Gutverdienenden Mitarbeitern wird im ORF lang vor dem Regelpensionsalter ein Abschied schmackhaft gemacht. Strobl ist mit 67 Jahren noch immer im Amt. Der ORF schweigt auf Anfrage zu den Verträgen seiner Mitarbeiter.
Weißmann, Kratky, Strobl: Die Höhe ihrer Gehälter lässt sich argumentieren. Allerdings bleibt das Faktum, dass alle drei deutlich mehr verdienen als der Bundeskanzler. Karl Nehammer kam im Jahr 2022 auf 317.000 Euro.
Transparenzliste
Ein in der Vorwoche veröffentlichter Rechnungshofbericht zu Gehältern im staatlichen Bereich liefert weitere Details. So verdient Oliver Böhm, Geschäftsführer der Tochterfirma ORF Enterprise, 357.000 Euro. Die zwei Geschäftsführer der GIS kommen im Schnitt immerhin auf 225.000 Euro. Auch die Geschäftsführer anderer ausgelagerter ORF-Töchterunternehmen beziehen Top-Gagen.
Ich gehe davon aus, dass ich der Bestverdiener im ORF bin, allerdings befristet durch einen Fünf-Jahres-Vertrag.
Die Zahlen wären spätestens im Frühjahr 2024 bekanntgeworden. Im Juli beschlossen die Regierungsparteien ÖVP und Grüne eine Novelle des ORF-Gesetzes, die den ORF zu einem Transparenzbericht verpflichtet. Dieser muss all jene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter namentlich auflisten, die über 170.000 Euro brutto jährlich verdienen. Nach Schätzungen handelt es sich um etwa 50 Beschäftigte, darunter die vier Direktoren und neun Landesdirektoren.
Viele Promis aus der Information werden hingegen nicht auf der Liste stehen. So liegt das Bruttogehalt samt Zulagen der „ZiB 1“-Stars deutlich unter der 170.000-Euro-Schwelle. „ZiB 2“-Anchormann und Chefredakteur-Stellvertreter Armin Wolf, 57, wird sich wohl auf der Liste finden. Sein Gehalt beträgt – so „Österreich“ – inklusive aller Zulagen etwa 200.000 Euro.
Ist der ORF nun ein wahres Gagenparadies, wie die FPÖ regelmäßig und anlassbezogen auch ÖVP-Medienministerin Susanne Raab und Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer behaupten?
Die nicht ganz exakte Antwort: ja und nein. Wie in vielen Betrieben gibt es eine Kluft zwischen Alten und Jungen.
Denn die Gagen und Zusatzleistungen im ORF hängen stark vom Eintrittszeitpunkt ab. In den ältesten Dienstverträgen sind noch Abfertigungen in Höhe von 25 Monatsgehältern und Goodies wie Wohnungszulagen vorgesehen. Den ersten Kollektivvertrag bekam der ORF 1996. Der 2003 abgeschlossene Kollektivvertrag enthielt bereits Verschlechterungen. Der aktuelle Kollektivvertrag stammt aus dem Jahr 2014, ist im Vergleich zu privaten Medien immer noch üppig, aber: Die fetten Jahre sind auch im ORF lang vorbei.
Sparprogramme
Die früher üblichen satten Firmenpensionen von bis zu 90 Prozent des Letztbezugs wurden durch eine Pensionskasse als Ergänzung der gesetzlichen Pension ersetzt. Diverse Bereiche, etwa im Marketing, sind in eigene Gesellschaften mit schlechteren Kollektivverträgen ausgelagert. Seit 2010 wurden etwa 1000 Vollzeit-Jobs abgebaut. Und nun stehen 500 Pensionierungen bei insgesamt 3000 Beschäftigten an. Nur die Hälfte wird wohl nachbesetzt, obwohl die Redaktionen über Personalmangel klagen.
Bei den Gehaltsabschlüssen war die ORF-Geschäftsführung in den vergangenen Jahren knausrig. Im Vorjahr erhielten die Beschäftigten trotz der Rekordinflation bloß eine Anpassung von 2,1 Prozent. Gerechnet über die vergangenen Jahre mussten sie einen Reallohnverlust hinnehmen. Immerhin spart die aktuelle Geschäftsführung auch bei sich selbst und erhält um 15 Prozent weniger als die vorige.
Insgesamt verdienen ORF-Mitarbeiter, die Vollzeit arbeiten, laut dem aktuellen Einkommensbericht des Rechnungshofs im Schnitt 91.400 Euro brutto jährlich und damit doppelt so viel wie durchschnittliche Arbeitnehmer. Aus dem ORF heißt es, dass „hier alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingerechnet sind, also auch Direktoren und Landesdirektoren, und auch die alten, teureren Vertragssysteme aus dem vergangenen Jahrhundert durchschlagen“. Das Einkommen jener Mitarbeiter, die dem Kollektivvertrag 2014 unterliegen, sei um 30 Prozent geringer. Zudem würden im ORF viele Akademiker beschäftigt sein, deren Gehälter naturgemäß höher seien.
Kostspielig sind sogenannte „weiße Elefanten“, ehemalige Spitzenkräfte, die unterbeschäftigt weiterhin Spitzengagen beziehen. Hohe Personalkosten entstehen im ORF-Mittelbau, wo viele über 50-Jährige arbeiten, die zwar nicht exzessiv, aber mit Gehältern zwischen 5000 und 9000 Euro sehr gut verdienen. So manche üben dafür nur Sekretariatstätigkeiten aus. Teuer kommt dem ORF auch der Ex-Chef. Alexander Wrabetz steht ab seinem 65. Geburtstag im Jahr 2025 eine üppige Firmenpension zu – kolportiert in Höhe von 8000 Euro monatlich.
Auffettungen
Bei der Präsentation der ORF-Reform im April konnten sich Medienministerin Susanne Raab und Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer sogar vorstellen, in bestehende Luxusverträge von ORF-Beschäftigten einzugreifen. Rechtlich wird das wohl nicht möglich sein. NEOS-Mediensprecherin Henrike Brandstötter ortet hinter der Kritik „ein Ablenkungsmanöver“. Raab wolle den Rundfunk „mit Stammtischgeschwätz und einer Privilegiendebatte diskreditieren“. Dies würde an der Einkommensschere im ORF „genau nichts ändern“.
Die NEOS-Abgeordnete befürwortet einen umfassenden Transparenzbericht, der konkret auflisten solle, wie hoch die ORF-Gehälter für welche Tätigkeiten nach wie vielen Jahre Betriebszugehörigkeit seien. Von der namentlichen Nennung der Höchstverdiener hält sie nichts, dies würde nur „eine Neiddebatte“ befördern. Insgesamt wäre ein übersichtlicheres Gehaltssystem wünschenswert – und neue Regelungen im Compliance-Bereich.
Denn viele ORF-Promis fetten sich ihre Gehälter durch Nebenbeschäftigungen wie Moderationen und Präsentationen auf, die sie sich allerdings von der Geschäftsführung genehmigen lassen müssen. Generaldirektor Weißmann will die Nebenbeschäftigungen deutlich beschneiden. Eine Ethikkommission überarbeitet die Richtlinien.
Manche ORF-Stars erhalten mehrere tausend Euro pro Abend. Vor Kurzem wurde in sozialen Medien Kritik an Nadja Bernhard geübt, da diese bei einer Interpol-Veranstaltung auftrat. „Im Zentrum“-Moderatorin Claudia Reiterer moderierte eine Veranstaltung der Wirtschaftskammer, Vera Russwurm den Wahlkampfauftakt der ÖVP-Niederösterreich im Jänner – allerdings ist sie nicht im ORF angestellt.
Politische Einflussnahme
Leonhard Dobusch, Professor an der Uni Innsbruck und wissenschaftlicher Leiter des Momentum-Instituts, befürwortet die Transparenz und die Debatte über Spitzeneinkommen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Dies habe auch „einen mäßigenden Einfluss“ auf zukünftige Gagenhöhen. Dobusch hat dazu Expertise, er ist Mitglied im ZDF-Verwaltungsrat. Es sei grundsätzlich nicht leicht, die Angemessenheit der Bezüge für Direktoren oder Starmoderatoren im Vergleich zur privaten Konkurrenz festzulegen.
Hinter der Debatte sieht Dobusch – bei aller Legitimität – aber auch Versuche der Politik, auf das Programm Einfluss auszuüben. Aus diesem Grund sei etwa in Deutschland bewusst eine Diskussion über das Einkommen des streitbaren ZDF-Satirikers und Moderators Jan Böhmermann lanciert worden.
Medienministerin Susanne Raab argumentiert gegenüber profil, dass „die Öffentlichkeit ein Recht hat, zu wissen, wie die Gelder beim ORF eingesetzt werden“. Die Offenlegung der Gehälter werde für „mehr Vergleichbarkeit, Sichtbarkeit und Verhältnismäßigkeit“ sorgen.
Die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer verweist auf die neue Haushaltsabgabe, die ab 2024 von allen Haushalten entrichtet werden muss, egal ob der ORF konsumiert wird oder nicht. Diese sei „demokratiepolitisch wichtig“, mache aber „Transparenz“ im öffentlich-rechtlichen Rundfunk „noch wichtiger“.
Die Berichte über die Spitzengagen sind ein gefundenes Fressen für die FPÖ. Unter der Obmannschaft von Herbert Kickl hat sich der Ton weiter verschärft. Keine Bierzeltrede, in der Kickl nicht den Rundfunk attackiert. Manche Kamerateams und Reporter haben es sich bei FPÖ-Veranstaltungen zur Angewohnheit gemacht, ihre ORF-Jacken auszuziehen oder die Aufsätze mit ORF-Logos von den Mikrofonen zu nehmen. Mit besonderer Verve bekämpfen die Blauen die neue Haushaltsabgabe. Kickl will die „Zwangssteuer“ zu einem seiner Hits im Wahlkampf nächstes Jahr machen.
Im Wahljahr wird der ORF also nicht nur berichten, sondern selbst zum Thema werden. Der Druck wird bereits erhöht, nicht nur von der FPÖ. Im profil richtete ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker dem ORF jüngst aus, „bei Objektivität und bei der Ausgewogenheit“ in der Berichterstattung gebe es „Luft nach oben“. Beispiele wollte er nicht nennen.
ORF-Chef nicht steuerbar
In schwarzen Kreisen hat sich Ernüchterung über Weißmann breitgemacht. Im August 2021 wurde er vom ÖVP-dominierten Stiftungsrat zum ORF-Chef gewählt. Mittlerweile ist in der ÖVP zu hören, man hätte angesichts von Weißmanns mangelnder Kooperationsbereitschaft gleich dessen Vorgänger Alexander Wrabetz im Amt belassen können.
Aus den Redaktionen gibt es keine Beschwerden über Weißmann. Der Chef lasse sie in Ruhe arbeiten, heißt es. Ja mehr noch: Unter Wrabetz warteten die Redaktionssprecher vergebens auf ein neues Redaktionsstatut, das ihnen mehr Mitspracherechte einräumt. Unter Weißmann erhielten sie es.
Offen ist, ob die Regierung bis zum Ende der Legislaturperiode das ORF-Gesetz repariert, wie es nach einem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs nötig ist. Am 10. Oktober hob das Höchstgericht Teile des ORF-Gesetzes wegen Verfassungswidrigkeit auf.
Konkret ging es um den Stiftungs- und Publikumsrat: Das ORF-Gesetz garantiert der Regierung bei deren Besetzung einen übermäßigen Einfluss, was den Geboten von Pluralismus und Unabhängigkeit des Rundfunks widerspreche.
Bis zum 31. März 2025 muss das ORF-Gesetz saniert werden. Die Grünen würden es gern noch in dieser Gesetzgebungsperiode angehen. Denn wer weiß schon, ob man noch in der nächsten Regierung sitzt? Kanzler Nehammer sei durchaus der Meinung der Grünen, ist zu hören. ÖVP-General Stocker sieht keinen Zeitdruck.
Wahrscheinlicher ist es, dass erst die nächste Regierung das ORF-Gesetz novellieren wird. Dabei könnten neben der Reform der Gremien gleich größere Änderungen vorgenommen werden und etwa die Anzahl der vorgesehenen Direktoren – derzeit sind es vier –reduziert werden. Sollte die FPÖ nach der Nationalratswahl 2024 tatsächlich den Kanzler stellen, wird es für den ORF unangenehm. Denn Herbert Kickl hat bereits angekündigt, die Haushaltsabgabe wieder abschaffen zu wollen.
Dass Roland Weißmann unter einer neuen Regierung Generaldirektor bleibt, ist nicht garantiert. Formal läuft sein Vertrag bis Ende 2026. Allerdings könnte die neue Regierung seine Funktionsperiode im Zuge der ORF-Novelle einfach abkürzen, um ihn und sein Direktorium vorzeitig loszuwerden.
Weißmanns Generaldirektoren-Gage müsste der ORF bis zum ursprünglich festgesetzten Vertragsende weiterzahlen – was viel Geld kosten würde.
Gernot Bauer
ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.