Begräbnis

Wirbel um SS-Lied: Die Rechtfertigung der Freiheitlichen

Im Beisein von FPÖ-Politikern wird bei einem Begräbnis das SS-Treuelied gesungen. Dieses sorgt regelmäßig für Skandale.

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Ein „Standard“-Artikel über das Begräbnis des ehemaligen FPÖ-Politikers Walter Sucher vergangenen Freitag sorgte unmittelbar vor der Wahl noch für Wirbel. Sucher war „Alter Herr“ der Wiener Akademischen Burschenschaft Olympia. An seinem Grab auf dem Friedhof Hernals wurde das Lied „Wenn alle untreu werden“ angestimmt. Mit dabei: FPÖ-Justizsprecher und Listenerster in Wien, Harald Stefan; Norbert Nemeth, Klubdirektor, der bei der Wahl ein Mandat auf der FPÖ-Bundesliste errang; und der langjährige Abgeordnete Martin Graf. Stefan trat 2018 aus der Olympia aus. Nemeth und Graf sind Mitglieder. Man kann davon ausgehen, das alle drei mitsangen – alles andere wäre ein Affront am offenen Grab gewesen.

Der Liedtext des Dichters Max von Schenkendorf stammt aus dem Jahr 1814, existiert aber in unterschiedlichen Versionen.  Laut „Standard“ wurde das beim Begräbnis angestimmte Lied in der Fassung des Treuelieds der SS gesungen. Das Lied habe neben dem Deutschland- und dem Horst-Wessel-Lied eine zentrale Stellung in der Liederpflege der SS eingenommen, wie der Extremismusforscher Bernhard Weidinger vom DÖW ausführte. ÖVP, SPÖ, Grüne und NEOS übten Kritik an der FPÖ, jüdische Studierende erstatteten Anzeige.

Am Dienstag reagierten die drei FPÖ-Vertreter auf die Vorwürfe. „Die Behauptung, man habe nicht die Version von Max von Schenkendorf gesungen beziehungsweise die gesungene Version sei eine (bewusst) von der SS abgewandelte Version, ist eine ebenso infame wie falsche Behauptung.“ Vor Ort sei explizit angekündigt worden, man singe „auf ausdrücklichen Wunsch des Verstorbenen“ das Lied aus 1814. 

Dieses hat vier Strophen und nicht drei wie die SS-Version. Auf dem vom „Standard“ veröffentlichten Video ist freilich zu hören, dass die Begräbnisteilnehmer bei der letzten Zeile der vierten Strophe „vom heil’gen deutschen Reich“ wie in der SS-Version singen und nicht „von Kaiser und von Reich“ wie in der Fassung von 1814. Beim ÖVP-nahen Cartellverband ist an dieser Stelle des Liedes die Sentenz „von unserm Österreich“ gebräuchlich. Auch „von Gottes Himmelreich“ wird gesungen. 

Heinos Heimatlied

Das Lied sorgt in allen Fassungen regelmäßig für Aufregung – und ebenso regelmäßig argumentiert die FPÖ, es sei kein SS-Lied, sondern stamme aus dem Jahr 1814. Es wurde auch beim so genannte Freiheitskommers im März 2019 in der Wiener Hofburg gesungen. Prominentester Ohrenzeuge: der damalige Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Wirbel gab es auch im Jänner 2019. In einer Ballbroschüre des Linzer Burschenbundballs warb der Alumni-Klub der Johannes-Kepler-Universität Linz mit dem zweiten Teil der Auftaktzeile des Liedes: „…so bleiben wir doch treu“. Das Rektorat der Kepler-Uni distanzierte sich. Der Geschäftsführer des Alumni-Verbandes musste zurücktreten. 

Bis in die 1980-er Jahre wurde das Treuelied bei Treffen von Veteranen der Waffen-SS („Kameradschaft IV“) gesungen. Auch bei Begräbnissen von Kameradschaftsmitgliedern war es fixer Bestandteil des Ablaufs. 

Zur Immunisierung gegen Kritik, es handle sich um das SS-Treuelied, verweisen Burschenschafter nicht nur auf dessen Entstehung im Jahr 1814, sondern auch auf Heinrich Böll. Der deutsche Literatur-Nobelpreisträger (1917 bis 1985) schreibe in seinen Erinnerungen, er habe das Lied mit einem Freund im Widerstand gegen das Naziregime gesungen. 

Auch der deutsche Schlagerbarde Heino erntete heftige Kritik, nachdem er das Lied 2018 für sein Album „Die schönsten deutschen Heimat- und Vaterlandslieder“ aufgenommen hatte. Heinos Rechtfertigung: Er habe bei der Produktion mit Historikern zusammengearbeitet: „Die haben gesagt, das sei in Ordnung.“

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.