Kogler, Nehammer
Österreich

Wird die ÖVP die SPÖ-Krise nutzen, um Neuwahlen zu provozieren?

Die ÖVP gerät in Versuchung, Neuwahlen anzuzetteln. Doch die Parteispitze ist dagegen.

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Der Termin war lange geplant. Am vergangenen Dienstagvormittag – bei der SPÖ wurden die Stimmzettel gerade ein drittes Mal ausgezählt – trat der ÖVP-Bundesparteivorstand turnusmäßig in der Zentrale in der Wiener Lichtenfelsgasse zusammen. Zweieinhalb Stunden konferierten die Vorstandsmitglieder – Parteichef Karl Nehammer, seine Stellvertreter sowie die Chefs der Landesparteien und Teilorganisationen – über aktuelle Themen: Teuerung, Pflege, Kinderbetreuung, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Das innenpolitische Hauptthema – und seine Folgen für die ÖVP – wurde nur eine Viertelstunde lang besprochen. Mehr Bedarf gab es nicht. Denn in der ÖVP-Führung ist die Meinungslage klar: Es wird keine Neuwahlen geben, auch wenn entsprechende Wünsche von der Basis an die Parteispitze herangetragen werden. Das Risiko wäre – gemessen an den Erfolgsaussichten – schlicht zu hoch.

Denn nicht nur die ÖVP würde vom SPÖ-Elend profitieren, sondern vor allem die FPÖ. Zudem dürften Neuwahlen, die allein zur Beschädigung der SPÖ angezettelt würden, die roten Funktionäre umso mehr motivieren. Und die Bürgerinnen und Bürger würden das parteipolitische Manöver der sich so gern staatstragend gebenden ÖVP leicht durchschauen und eventuell bestrafen.

Die Bereitschaft zu Neuwahlen ist wohl gerade in Niederösterreich, dem wichtigsten Bundesland der ÖVP, eher gering. Die Qualen der Landtagswahl im Jänner wirken nach. Dazu kommt: Wird jetzt gewählt, würde die Volkspartei mit Sicherheit Mandate verlieren – und deren Inhaber die Gage. Auch die ÖVP insgesamt würde finanziell leiden, da sich die Parteienförderung nach dem Ergebnis der Nationalratswahl richtet. Weniger Abgeordnete bedeuten daher weniger Geld. Auch in ÖVP-nahen Wirtschafts- und Industriekreisen würden Neuwahlen angesichts der wachsenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten eher nicht goutiert.

Wahl im Frühjahr 2024?

Überdies müsste erst ein Grund gefunden werden, um die Regierungskoalition aufzubrechen. Die Grünen und Vizekanzler Werner Kogler werden sich wohl hüten, einen Anlass zu liefern, da sie möglichst lange in der Regierung bleiben wollen.

Ernsthafter wird ÖVP-intern über eine Vorziehung der Wahlen auf das Frühjahr 2024 – noch vor der EU-Wahl im Juni – diskutiert. Grund: Die EU-Wahl könnte wie schon 2019 einen Streit um die Spitzenkandidatur bringen, der die Chancen bei Nationalratswahlen mindern würde. Denn der derzeitige Vize-Präsident des EU-Parlaments, Othmar Karas, wird zum Leidwesen der Parteiführung erneut antreten wollen.

Allerdings dürfte eine Mehrheit in der ÖVP dagegen sein, die Nationalratswahl vor der EU-Wahl stattfinden zu lassen. Die Termine würden zu nahe aneinander liegen. Und bleibt die schwarz-grüne Regierung bis zum Herbst 2024 im Amt, wird wohl sie über den nächsten österreichischen Vertreter in der EU-Kommission bestimmen. Seit Langem ist zu hören, ÖVP-Verfassungsministerin Karoline Edtstadler würde den Job anstreben. Jüngst wurde aber auch Außenminister Alexander Schallenberg als möglicher EU-Kommissar gehandelt.

Wann immer die nächste Nationalratswahl stattfindet: Die ÖVP wird wie in der Vergangenheit über eine strategische Option mehr verfügen als die SPÖ. Mit Andreas Babler ist eine SPÖ-FPÖ-Koalition kaum vorstellbar. Allerdings hat der neue SPÖ-Vorsitzende auch eine Kooperation mit der ÖVP – mal mehr, mal weniger kategorisch – ausgeschlossen. Umgekehrt ist es für ÖVP-Spitzenvertreter derzeit schwer vorstellbar, wie man mit einer links ausgerichteten Babler-SPÖ zusammenfinden soll.

Bei der Tagung von ÖVP-Mandataren aus Bund und Ländern vorvergangene Woche in St. Wolfgang war die Stimmung gut. Das große Bild, das die Volkspartei derzeit gern zeichnet: Bei der nächsten Nationalratswahl sei ein Dreikampf um den ersten Platz zu erwarten.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.