Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl

WKO-Präsident Leitl: Der letzte Großkoalitionär in der neuen Volkspartei

Christoph Leitl verkörpert, wofür in der neuen ÖVP unter Sebastian Kurz wenig Platz ist: Sozialpartnerschaft und Große Koalition. Der Wirtschaftskammer-Präsident will dennoch weitermachen - im Wahlkampf und bis 2019.

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Der Knoblauch wurde vor Kurzem geerntet, Himbeeren und Ribiseln sind schon reif, die Erdäpfel folgen bald. Auch heuer wird Christoph Leitl die Sommerferien in seinem Häuschen bei Freistadt verbringen. Auf Schloss Litzlberg, dem Familienanwesen am Attersee, fände der Wirtschaftskammer-Präsident weniger Ruhe, da im Juli und August weite Teile von Politik und Wirtschaft aus der Wiener Innenstadt ins Salzkammergut dislozieren. Ins Mühlviertel verirrt sich kaum jemand. Den kleinen Enkeltöchtern bringt Leitl dort die Natur der Dinge näher: "Gartenarbeit spiegelt den Lebenskreislauf wider: Saat, Wachstum, Ernte.“

Auch Politikerkarrieren haben einen Zyklus. Und eigentlich ist Christoph Leitl, 68, überreif. Seit Jahrzehnten verkörpert der Wirtschaftskammer-Präsident und Obmann des ÖVP-Wirtschaftsbundes den Ausgleich: zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, Regierung und Sozialpartnern, Schwarz und Rot. Doch unter Sebastian Kurz soll nicht nur die Volkspartei, sondern das ganze Land erneuert werden. Hat einer wie Christoph Leitl, der Letzte seiner Art, da noch einen Auftrag?

Bevor es ins Mühlviertel geht, absolviert Leitl noch die obligaten Sommerempfänge des Wiener Politikbetriebs. Zwischen Begrüßungscocktail und Fluchtachterl gibt es dabei neben der Personalie Sebastian Kurz nur ein Thema: die gescheiterten Verhandlungen um die Arbeitszeitflexibilisierung. Im Jänner hatte die Regierung den Sozialpartnern eine Frist bis Ende Juni gesetzt, um das seit Jahren offene Problem zu lösen. Und tatsächlich waren Leitl, ÖGB-Präsident Erich Foglar und Arbeiterkammer-Präsident Rudolf Kaske einer Einigung bereits nahe gekommen. Doch im letzten Moment stellten sich Vertreter der zweiten Gewerkschafterreihe quer. Die durch den Misserfolg verursachten Schmerzen sind Leitl anzumerken: "Ich bin sehr enttäuscht. Hier wurde nicht Standort-, sondern Parteipolitik betrieben. Damit wurde in Kauf genommen, dass die Sozialpartnerschaft Schaden erlitten hat.“

Und auch Leitl ist beschädigt. Denn während die von der Wirtschaft angestrebte Arbeitszeitflexibilisierung nicht kommt, einigten sich Leitl, Foglar & Co. auf einen Mindestlohn von 1500 Euro und erfüllten damit eine Langzeitforderung der Gewerkschaften. Sogar im eigenen Wirtschaftsbund setzte es hinter vorgehaltener Hand Kritik an Leitl. Doch der Kammer-Präsident bleibt unbeirrt: "Der Mindestlohn ist eine wichtige Sache. Hätten wir uns nicht geeinigt, hätte es im Parlament noch vor der Wahl eine Mehrheit für einen noch höheren Betrag gegeben.“

"Konsens-Kämpfer"

Im Jahr 2003 nannte "Die Presse“ Leitl einen "Konsens-Kämpfer“. Da war der Linzer gerade einmal vier Jahre lang Obmann des ÖVP-Wirtschaftsbunds und als Wirtschaftskammer-Präsident drei Jahre im Amt. Im Kanzleramt regierte Wolfgang Schüssel. Nachdem die schwarzblaue Regierung eine Pensionsreform beschlossen hatte, kam es Mitte Mai zu Großdemonstrationen und Streiks, von denen auch das BMW-Motorenwerk in Steyr betroffen war. Als aus München Drohungen eingingen, die nächsten Großinvestitionen an einem anderen Standort zu tätigen, kontaktierte Leitl den damaligen ÖGB-Präsidenten Fritz Verzetnitsch. Man fand zu einer österreichischen Lösung, die das Streikrecht der Belegschaft wahrte und trotzdem eine Just-in-Time-Lieferung von Motoren aus Steyr ermöglichte.

Es sind Geschichten wie diese, die Leitl zu einem Sozialpartner-Gläubigen für die Ewigkeit reifen ließen. Jeder ausländische Investor lobe die politische Stabilität und den sozialen Frieden in Österreich, sagt er. Man lernt: Hierzulande ist Ruhe nicht Bürgerpflicht, sondern Standortvorteil. Doch der Misserfolg bei der Arbeitszeitreform lässt an der Gestaltungskraft der Sozialpartnerschaft zweifeln. Oder wie es Finanzminister Hans Jörg Schelling schon im Mai in den "Oberösterreichischen Nachrichten“ formulierte: "Die Sozialpartnerschaft ist tot.“

Nach der Wende im Februar 2000 war die Nebenregierung aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern schwer unter Druck geraten. FPÖ-Chef Jörg Haider und seine Nachfolgerin, Vizekanzlerin Susanne Riess, hatten die Sozialpartner seit jeher heftig bekämpft. Die ÖVP ließ die Freiheitlichen gewähren. Christoph Leitl stellte sich damals im Zweifel gegen die eigene Partei. Heuer, nach den Wahlen am 15. Oktober, wird es mit einiger Wahrscheinlichkeit wieder zu einer FPÖ-Regierungsbeteiligung kommen - neue Debatten sind garantiert.

Leitls Glaube an die Sozialpartnerschaft ging einher mit einem Bekenntnis zur Großen Koalition. Deren Bruch im Mai war für den Kammerpräsidenten doppelt schmerzhaft, da zuvor mit Vizekanzler Reinhold Mitterlehner ein Vertrauter gescheitert war. Als Leitl von der oberösterreichischen Landesregierung, in der er als Finanz- und Wirtschaftslandesrat diente, in die Wirtschaftskammer wechselte, ernannte er Mitterlehner zum Generalsekretär. Und als der neue ÖVP-Obmann Josef Pröll 2008 eigentlich Herbert Paierl zum Wirtschaftsminister machen wollte, intervenierte Leitl seinen oberösterreichischen Landsmann Mitterlehner ins Amt hinein.

"Unterstütze Kurz nach besten Kräften"

Dass er in der neuen Volkspartei unter Obmann Sebastian Kurz zum alten Eisen gehört, glaubt Leitl nicht: "Kurz ist der neue Chef. Als Wirtschaftsbundobmann unterstütze ich ihn nach besten Kräften.“ Vor allem muss der finanzstarke Wirtschaftsbund den Wahlkampf der neuen Volkspartei mitfinanzieren.

Nach den Abgängen des niederösterreichischen Landeshauptmanns Erwin Pröll und seines oberösterreichischen Amtskollegen Josef Pühringer ist Leitl das einzige verbliebene Mitglied im ÖVP-Bundesparteivorstand aus der Schüssel-Ära. Auch in den Bünden der Volkspartei vollzieht sich ein Generationenwechsel. An der Spitze der Arbeitnehmerorganisation ÖAAB steht seit vergangenem Jahr der 42-jährige August Wöginger. Auch im Bauernbund kündigt sich ein Machtwechsel an. Auf Jakob Auer, 68, folgt wahrscheinlich der Niederösterreicher Georg Strasser, 46. Nur Christoph Leitl bleibt als Kammerpräsident und Wirtschaftsbund-Obmann, obwohl er ursprünglich nur zehn Jahre im Amt bleiben wollte. Seine Begründung damals: Was man in zehn Jahren in der Politik nicht schaffe, gelinge einem später auch nicht mehr. Laut profil-Informationen will Leitl jedenfalls noch die EU-Präsidentschaft Österreichs im zweiten Halbjahr 2018 mitgestalten. Mit einem Rückzug ist damit erst 2019 zu rechnen. Er selbst sagt: "Ich bin in beide Ämter bis 2020 gewählt, habe aber nicht vor, sie auch so lange auszuüben.“ Wie ernst es ihm noch ist, zeigt seine Kandidatur für die Präsidentschaft der Eurochambres, des Europäischen Wirtschaftskammer-Dachverbands, bei dessen Konferenz kommenden Oktober in Barcelona. Schon von 2001 bis 2005 hatte er das Amt inne.

In der Theorie weiß Leitl, dass Generationenwechsel den Lauf der Natur ausmachen. Im Familienkonzern, den Leitl-Werken, übernahm jüngst Leitls 40-jähriger Sohn Stefan die Geschäftsführung von Leitls Bruder Martin. In seiner eigenen politischen Praxis ist Leitl tief überzeugt davon, noch Beiträge leisten zu müssen. Gefühlte oder tatsächliche Wendezeiten, wie Österreich sie derzeit erlebt, verstärken den Glauben an die eigene Unverzichtbarkeit.

Seiner umfangreichen Briefmarkensammlung im Linzer Domizil widmet sich Leitl also auch weiterhin nur zum Freizeitvergnügen. Die Pension muss warten. Gerade jetzt, da die Wirtschaft wieder brummt, spürt er einen neuen Auftrag. 2013 sorgte er für Aufsehen und Empörung, als er den Wirtschaftsstandort Österreich als "abgesandelt“ bezeichnete. Nun will er dabei helfen, sagt Leitl, das Land wieder "aufzusandeln“.

Christoph Leitl über …

… seine Rolle in der neuen Volkspartei: "Ich sehe mich als mentalen Begleiter der vielen jungen Leute, die da am Werk sind.“

Sebastian Kurz: "Er ist der Boss, und der Boss schafft an.“

Sebastian Kurz’ Bewegung: "Der französische Präsident Macron hatte erst eine Bewegung und schafft jetzt eine Partei. Bei Kurz ist es umgekehrt.“

… seine Unlust, bald in Pension zu gehen: "Ich spüre, dass noch einige Aktivitätskapitel vor mir liegen.“

… die Sozialpartnerschaft: "Manche mögen sie für wenig sexy halten. Aber sie wird auch weiterhin den Wohlstand und den sozialen Frieden des Landes garantieren.“

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.