Wer hat's erfunden?
In ihren Aussagen vor der WKStA im Oktober 2021 belastete die nunmehrige Kronzeugin Beinschab Kurz und Co schwer. Allerdings sei für sie die Praxis, dass Parteien, Meinungsforscher und Boulevardmedien Umfragen und Inserate absprechen, „nichts Neues“ gewesen. Denn schon die SPÖ unter Werner Faymann habe zwischen 2009 und 2013 Umfragen frisieren lassen, die dann in Boulevardmedien veröffentlicht wurden. Aus Beinschabs Sicht habe es sich „um dasselbe System“ wie bei der ÖVP gehandelt.
Aufgrund dieser Aussagen nahm die WKStA Ermittlungen auf. Insgesamt wurden elf Personen als Beschuldigte oder Verdächtige geführt, darunter – neben Karmasin, einem Medienmanager und Mitarbeitern in SPÖ und Kanzleramt – auch Ex-SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Laura Rudas und Josef Ostermayer, zu seiner Zeit einer der mächtigsten Männer im Politbetrieb. Ostermayer war Faymanns Kabinettschef im Verkehrsministerium, Staatssekretär im Kanzleramt und schließlich Bundesminister für Kunst und Kultur.
Die Ermittlungen der WKStA stützen sich vor allem auf die Auswertung von Sabine Beinschabs Handys. Diese belegten intensive Geschäftsbeziehungen zwischen SPÖ und Karmasin, die sich regelmäßig mit Ideen, etwa „Eigenstudien“, antrug. Allerdings wurden diese Umfragen stets von der SPÖ bezahlt und nicht – wie mutmaßlich im Falle der ÖVP – rechtswidrig von Ministerien.
Ganz so unbefleckt war die SPÖ aber möglicherweise doch nicht, wie aus einem Amtsvermerk der WKStA, datiert mit 1. Juli 2022, hervorgeht, über den „Die Presse“, „Der Standard“ und der ORF im Februar auszugsweise berichteten. In seinem Vermerk schreibt der verantwortliche Staatsanwalt über „starke Hinweise auf Politumfragen der SPÖ über BKA“. „BKA“ steht für „Bundeskanzleramt“. Und dort hatte Josef Ostermayer das Sagen. An diesen habe Sophie Karmasin etwa in den Jahren 2009 und 2010 Angebote gerichtet, „die hauptsächlich oder ausschließlich parteipolitische Fragestellungen enthielten“. In den der WKStA vorliegenden Materialien seien „stark auffällige Vorgänge“, dem Beinschab-Tool für die ÖVP „ähnelnde Vorgänge“ zu finden. Teils sind Karmasins Fragendesigns skurril. Im April 2010 bot sie eine Studie mit dem Titel „Politikerbarometer und Parteipräferenz“ an, in der sie unter dem Schlagwort „Fieberkurve“ erheben wollte, welche Temperatur („normal“, „erhöht“, „niedrig“) die Befragten den Parteien zuordnen würden.
Wer hat's bezahlt?
Allerdings konnten die Ermittler nicht eruieren, ob die von Karmasin vorgeschlagenen SPÖ-affinen Studien vom Kanzleramt auch tatsächlich beauftragt und – falls ja – bezahlt wurden.
Ein Vorgang sticht jedoch ins Auge: Am 30. Juli 2010 kontaktierte ein Mitarbeiter aus dem Kanzler-Büro Sophie Karmasin und übermittelte per Mail einen Fragenkatalog für eine Umfrage zum Thema „Gerechte Steuern“. So weit, so zulässig. Allerdings schickte er am selben Tag ein Mail an SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Rudas mit bemerkenswertem Inhalt: „Hallo Laura, Josef (Ostermayer, Anm.) bittet dich, wie besprochen, deine Fragen anzuhängen. Wir müssen die Batterie heute an Sophie Karmasin schicken.“ Wenige Stunden später schickte Rudas die Themen ihrer Wahl an das BKA zurück, darunter auch Fragen zu Parteienpräferenzen, die inhaltlich nichts mit dem Kanzleramt zu tun haben. Sophie Karmasin brachte schließlich alles in Form und versandte ihren Untersuchungsvorschlag „Gerechte Steuern 2010“ an die Präsidialsektion des Kanzleramts, per Mail und mit dem Hinweis „wie mit Herrn Staatssekretär Dr. Ostermayer besprochen“. Die Kosten für die Umfragen beliefen sich auf 25.200 Euro ohne Umsatzsteuer.
In Karmasins Fragebogen für das BKA finden sich die von Laura Rudas „genannten Themen erkennbar wieder“, ist im Amtsvermerk der WKStA zu lesen. Irritierend fanden die Ermittler vor allem den Fragenblock „Wahrnehmung der Parteien“, in dem die Sonntagsfrage und die Kanzlerfrage gestellt wurden. Auch die „Fieberkurven“-Frage, die Karmasin im April 2010 vorgeschlagen hatte, tauchte in der „Gerechte Steuern“-Umfrage auf. Das Fazit der Ermittler: In der Umfrage, die „im Auftrag für das Bundeskanzleramt“ durchgeführt wurde, seien „auch die Fragen von Mag. Rudas bzw. der SPÖ abgearbeitet“. Ob das Kanzleramt Rudas’ Zusatzfragen der SPÖ verrechnete, ist laut WKStA „nicht ersichtlich, aber … höchst fraglich“.
Die Suppe war der WKStA allerdings zu dünn. Im Juli 2022 verfasste sie einen Vorhabensbericht, in dem sie die Einstellung des Verfahrens vorschlug, und schickte ihn – wie in politischen Fällen vorgesehen – an die Oberstaatsanwaltschaft, die ihn wiederum an das Justizministerium weiterleitete. Dort ließ man sich Zeit.
Erst am vergangenen Mittwoch schickte das Ministerium seine Stellungnahme an die WKStA zurück. Informationen dazu gibt es auf profil-Anfrage keine. Wahrscheinlich ist: Das Verfahren gegen alle Beschuldigten wird eingestellt. Wie zu hören ist, wollte die WKStA in der Causa zunächst kein Ermittlungsverfahren eröffnen, wurde dazu aber von vorgesetzten Stellen mit sanftem Druck ermutigt. Schließlich will sich die Justiz keinesfalls – schon gar nicht von der ÖVP – nachsagen lassen, auf dem linken, roten Auge blind zu sein.
Nachtrag: Am 12. März bestätigte die WKStA die Einstellung des Verfahrens gegen alle Beteiligten. Gut möglich, dass dies durch die profil-Recherchen beschleunigt wurde. Vergangenen Mittwoch hatte sich profil beim Justizministerium nach dem Stand des Verfahrens erkundigt. Am selben Tag ging der Akt vom Ministerium an die WKStA zurück, die sich schon zuvor für eine Einstellung ausgesprochen hatte. GB