WKStA führt Bundeskanzler Kurz als Beschuldigten
Aufregung in der ÖVP: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hat ein Ermittlungsverfahren gegen ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz und dessen Kabinettschef Bernhard Bonelli eingeleitet. Kurz und Bonelli werden als Beschuldigte geführt – nach gemeinsamen Recherchen von profil und „Falter“ steht der Verdacht im Raum, dass sie bei ihren Befragungen im parlamentarischen „Ibiza“-Untersuchungsausschuss unter Wahrheitspflicht mehrfach die Unwahrheit gesagt haben. Kurz hatte am 24. Juni 2020 im Ausschuss ausgesagt, Bonelli am 27. Jänner 2021.
Laut Paragraf 288 des Strafgesetzbuches wird die „Falsche Beweisaussage“ von Zeugen im Gerichtsverfahren und Auskunftspersonen in U-Ausschüssen mit bis zu drei Jahren Haft geahndet.
Ausgelöst hat das Verfahren eine Sachverhaltsdarstellung der NEOS, die am 29. März dieses Jahres an die WKStA gegangen war. Die Mitteilung richtete sich ursprünglich gegen Kurz, Bonelli und ÖVP-Finanzminister Gernot Blümel (er war am 25. Juni 2020 im Ausschuss).
Bei Blümel scheint die sogenannte Anfangsverdachtsprüfung aber zu keinen belastbaren Ergebnissen geführt zu haben, weshalb nun nur gegen Kurz und Bonelli ermittelt wird. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Im Kern geht es bei dem Verfahren um Aussagen von Kurz und Bonelli in Zusammenhang mit der Besetzung der Aufsichtsrats der Staatsholding ÖBAG und der Bewerbung/Bestellung des nunmehrigen Alleinvorstands Thomas Schmid. Kurz hatte im Ausschuss auf mehrfache Nachfrage der Abgeordneten die Vorgänge so dargestellt, dass er weder mit der Bestellung von Thomas Schmid noch mit der Zusammensetzung des ÖBAG-Aufsichtsrats befasst gewesen sei. Für die Personalie Schmid sei ausschließlich der Aufsichtsrat der Staatsholding zuständig gewesen, für die Zusammensetzung desselben das Finanzministerium. Von der WKStA ausgewertete Chats legen allerdings den Verdacht nahe, dass Kurz (und Bonelli) entgegen ihrer Aussagen sehr wohl in die Vorgänge involviert waren.
profil und dem „Falter“ liegen nunmehr die Verständigungen vor, mit welchen Kanzler Kurz und sein Kabinettschef von der WKStA über die Einleitung der Ermittlungsverfahren informiert wurden. Die gegen Kurz gerichtete „Mitteilung nach §50 Strafprozessordnung“ umfasst 58 Seiten, bei Bonelli sind es 40 Seiten.
Der Tatverdacht gegen Kurz wird so zusammengefasst. Er soll den U-Ausschuss rund um die Postenbesetzungen bei der Staatsholding ÖBAG in vier Fällen „tatsachenwidrig“ informiert haben (auch bei Bonelli sind es vier kritische Punkte).
Die WKStA schreibt: „Sebastian Kurz hat tatsachenwidrig die ab Ende 2017 mit dem gemeinsamen Bestreben, MMag. Thomas Schmid für die ÖVP zum Alleinvorstand der ÖBAG zu nominieren, geführten Gespräche und Telefonate sowie den diesbezüglichen Austausch in Chats mit diesem in Abrede gestellt und behauptet, er sei nur informiert, aber darüber hinaus nicht eingebunden gewesen. Ebenso tatsachenwidrig bestritt er Wahrnehmungen zur Besetzung des Aufsichtsrates der ÖBAg, obwohl er die faktische Entscheidung, welche Mitglieder von der ÖVP nominiert werden, tatsächlich selbst getroffen hatte.“
Der Kanzler und die „dunkle Rhetorik“
Die WKStA weist unter anderem auch darauf hin, dass Kurz bei Antworten zu mehreren zentralen Beweisthemen die Passivform verwendete, „ein Einfallstor für Halbwahrheiten, in denen man verbergen kann, was man (nicht) getan hat“ – die Behörde verweist dabei auf ein Buch mit dem Titel „Dunkle Rhetorik: Manipuliere, bevor du manipuliert wirst!“ (dazu später).
Folgende mögliche Falschaussagen ortet die WKStA:
Die WKStA legt die - aus ihrer Sicht - entscheidenden Passagen des Aussageprotokolls von Sebastian Kurz im U-Ausschuss dar. Unter anderem findet sich darin folgende Stelle:
In der Folge stellt die WKStA den Aussagen des Kanzlers im U-Ausschuss Chat-Protokolle gegenüber, die beim früheren Generalsekretär im Finanzministerium und nunmehrigen ÖBAG-Alleinvorstand Thomas Schmid sichergestellt worden waren. Die Ermittler kommen zu folgenden Schlüssen:
Zur Involvierung des Kanzlers in die ÖBAG-Vorstandsbestellung hält die WKStA unter anderem folgendes fest:
(...)
Zur Rolle des Kanzlers bei der Bestellung der ÖBAG-Aufsichtsräte heißt es in der Ermittlungsverständigung unter anderem:
(...)
(...)
Darüber hinaus sieht die WKStA Hinweise darauf, dass sich Kanzler Kurz, sein Kabinettschef Bonelli und Finanzminister Blümel vor ihren Aussagen im Untersuchungsausschuss abgestimmt hätten:
(...)
Die WKStA hat kommt bei ihrer Analyse der Aussagen zu dem Schluss, dass „mehrere sogenannte Phantasiesignale und demgegenüber kaum Realitätskriterien“ vorliegen würden. Aussagen seien „häufig sehr abstrakt und unkonkret gehalten“ gewesen. „Je abstrakter die Aussage, je allgemeiner und unanschaulicher die Ausdrucksweise und je herkömmlicher der geschilderte Handlungsablauf, desto misstrauischer sollte man werden“, schreibt die WKStA mit Verweis auf Fachliteratur aus der „Glaubwürdigkeits- und Beweislehre“. Folgende konkrete Beispiele führen die Ermittler dazu an:
Ebenfalls aufgefallen ist der WKStA, dass bei Antworten zu mehreren zentralen Beweisthemen des U-Ausschusses die Passivform verwendet wurde. Diese biete „ein Einfallstor für Halbwahrheiten, in denen man verbergen kann, was man (nicht) getan hat”, heißt es mit Verweis auf ein Buch mit dem Titel „Dunkle Rhetorik: Manipuliere, bevor du manipuliert wirst!“ Auch „Verweigerungssignale“ stellte die WKStA bei ihrer Analyse fest - sowie das sogenannte Stereotypiesignal: „Je öfter und je gleichlautender die Aussageperson den Kernpunkt ihrer Bekundung wiederholt, um so mehr sollte man der Aussage misstrauen”. Diesbezüglich identifizierten die Staatsanwälte folgende Beispiele:
Aufgefallen sind den Ermittlern auch „Fluchtsymptome etwa mit Gegenangriffen oder Gegenfragen zur Vermeidung einer inhaltlichen Antwort“. Die Schlussfolgerung: „Je mehr die Auskunftsperson versucht vom zentralen Beweisthema weg zu irgendwelchen Nebensächlichkeiten überzugehen (...) desto wahrscheinlicher ist, dass die Auskunftsperson im Kernpunkt mit der Wahrheit zurückhält (...)“.
Den rechtlichen Rahmen steckt die WKStA folgendermaßen ab:
Kurz sagte in einer ersten Reaktion, er habe sich „stets bemüht“, sich „bestmöglich“ zu erinnern und „wahrheitsgemäße Angaben“ zu machen – zu Themen, die jahrelang zurückliegen, und zu Themenbereichen, die er „teilweise nur am Rande mitbekommen“ habe.
An die Adresse des Ausschusses merkte der Kanzler an, dass dieser „ganz bewusst mit Suggestivfragen, mit Unterstellungen“ arbeite und versuche, die Auskunftspersonen „irgendwie in eine Falschaussage hineinzudrängen“.
Dass der rhetorisch begabte Sebastian Kurz sich in etwas hineindrängen ließe – das wirkt doch etwas überraschend.
Hier finden Sie das zentrale Aktenstück in der Causa Kurz - die Verständigung über die Einleitung des Ermittlungsverfahrens - zum Download. Chatprotokolle wurden geschwärzt, die relevanten Passagen sind jedoch ohnehin von der WKStA in ihren Ausführungen zitiert.