Interview
Wolfgang Katzian: „Dann kommen Köche aus Nigeria und panieren am Arlberg Schnitzel“
Gewerkschafts-Präsident Wolfgang Katzian hält Lohnnebenkosten für einen „Schwurbelbegriff“ und wehrt sich gegen den ÖVP-Vorschlag, das Arbeitslosengeld zu senken. Warum er reden will, wie ihm der „Schnabel gewachsen“ ist und warum er fordert, dass die SPÖ mehr im Wohnzimmer diskutiert.
Von Eva Linsinger
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Wiens Bürgermeister Michael Ludwig sagt: Kraftausdrücke schaden dem politischen Klima. Damit meint er auch Sie mit Zitaten wie: „Das geht mir am Hammer.“ Hat Ludwig recht?
Katzian
Die Frage ist immer: Wie spricht man wo? Ich kann mich natürlich in eine Werkshalle vor 2000 Leute stellen und dozieren wie ein Professor. Dann werden mir die Menschen dort allerhand erzählen. Ich muss also so sprechen, dass ich die Menschen erreiche. Außerdem geht es etwa in einem Arbeitskampf auch um Motivation und Vermittlung von Leidenschaft. Da rede ich so, wie mir der Schnabel gewachsen ist.
Ist „am Hammer gehen“ ein Kraftausdruck?
Katzian
Das ist umgangsprachlich zumindest in Ostösterreich üblich. Politik ist kein Kindergeburtstag. Und meine Sprache ist situativ: In einer Fernsehsendung oder bei einem Staatsbankett rede ich anders als in einer Fabrik. Aber da wie dort will ich die Menschen erreichen, auch mit Wuchteln.
Inhaltlich ging Ihnen die Debatte um die Senkung der Lohnnebenkosten am Hammer. Wirtschaftsminister Martin Kocher hat gekontert, dass Sie nicht verstehen, was im ersten Semester Volkswirtschaft unterrichtet wird.
Katzian
Er hat sich über mich geärgert, das ist ihm unbenommen. Wir wissen seit den Kollektivvertragsverhandlungen, dass die Lohnnebenkosten ein großes Thema werden. Wir sind da ganz anderer Meinung als Minister Kocher.
Sind Sie prinzipiell der Meinung, dass die Lohnnebenkosten zu hoch sind?
Katzian
Die Frage ist, was genau zu hoch ist. Lohnnebenkosten ist so ein Schwurbelbegriff. Es geht darum, wie sehr Arbeit durch zusätzliche Abgaben belastet ist. Bisher gab es bei jenen, die am lautesten schreien, keine klare Positionierung, was sie konkret ändern wollen. Und wo: an der Krankenversicherung, an der Unfallversicherung, an der Arbeitslosenversicherung, an der Pensionsversicherung? All das sind erkämpfte Versicherungsleistungen. Zu keiner Zeit der Welt kamen die Arbeitgeber in die Fabriken und fragten, ob sie den Arbeitnehmern Geld geben dürfen. Nun haben wir ein System der Sozialversicherung aufgebaut. Will man das infrage stellen?
Bei den Familienleistungen herrscht ein Kuddelmuddel aus Förderungen und Steuerabsetzbeträgen. Warum soll das nicht aus dem Budget finanziert werden? Sie als Gewerkschaft müssten doch dafür sein, dass die Steuern auf Arbeit sinken.
Katzian
Diese Leistungen des Familienfonds sind historisch gewachsen. Wir haben vorgeschlagen, die Dienstgeber-Beiträge auf ein Wertschöpfungsprinzip zu ändern: dass also personalintensive Betriebe entlastet werden und kapitalintensive Betriebe mehr zahlen. Das wurde abgelehnt. Man kann schon Familienleistungen aus dem Budget bezahlen – aber was bedeutet das für die Arbeitnehmer, die den Familienfonds 1955 durch Lohnverzicht gegründet haben?
Was fordern Sie konkret?
Katzian
Ich tappe jetzt sicher nicht in die Falle, konkrete Vorschläge zu machen. Wer Familienleistungen aus dem Budget zahlen will, soll sagen, wie das kompensiert wird. Auf jeden Fall muss etwas passieren für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Was ist mit der Wohnbauförderung? Mit ihr werden Kreisverkehre oder Güterwege gebaut – und sie ist Teil der Lohnnebenkosten.
Katzian
Kann man alles diskutieren. Fakt ist: Wir brauchen für den Wohnbau entsprechende Mittel, damit es leistbaren Wohnraum gibt. Wenn es eine andere Finanzierung als aus den Lohnnebenkosten gibt: Feel free.
Grundsatzfrage: Halten Sie die hohen Lohnnebenkosten für beschäftigungsfeindlich?
Katzian
Ah geh. Was haben denn Arbeitnehmer davon, wenn Arbeitgeber niedrigere Lohnnebenkosten haben? Es ist doch eine Mär, dass dann höhere Gehälter bezahlt oder mehr Menschen eingestellt werden.
Der letzte SPÖ-Finanzminister war Rudolf Edlinger, er wollte damals die Lohnnebenkosten senken. Hatte auch Edlinger unrecht?
Katzian
Der Rudi Edlinger hat damals dazugesagt, dass man sich auf der Einnahmenseite bei den Steuern etwas überlegen muss. Denn Millionäre zahlen in Österreich keine Beiträge, weder für Vermögen, noch für Erbschaften. Bei einem stimmigen Gesamtkonzept kann man mit mir über die Entlastung des Faktors Arbeit jederzeit reden. Aber den Lavendel, dass mit niedrigeren Lohnnebenkosten die Löhne steigen, lass ich mir nicht erzählen.
Sind Sie prinzipiell der Meinung, dass die Steuerquote mit 43,6 Prozent in Österreich zu hoch ist?
Katzian
Der Meinung bin ich nicht. Denn die Steuerquote sagt genau gar nichts aus. Sie ist seit dem Jahr 1995 gleichgeblieben – und sie ist umso höher, je höher die Lebensqualität in einem Land ist. Der Staat soll permanent neue Aufgaben übernehmen, das kostet Geld. Die Frage ist eher: Ist das Steueraufkommen richtig verteilt? Dieser Meinung bin ich nicht.
Sie wollen Steuern auf Millionen-Vermögen und Millionen-Erbschaften. Warum die Grenze ab einer Million?
Katzian
Es wäre nicht gerecht, das Sparbuch der Oma, die dem Enkel 15.000 Euro vererbt, zu besteuern. Bei der Grenze von einer Million ist die breite Masse nicht betroffen. Dazu ist sie auch mehrheitsfähig. In meiner Ursprungsgewerkschaft GPA hatten wir zuerst die Grenze von 350.000 Euro, dann 500.000 Euro. Nach langen Debatten haben wir uns auf die Millionen-Grenze geeinigt.
Im Vorjahr gab es Streiks. Rechnen Sie heuer wieder mit Arbeitskämpfen?
Katzian
Im Moment gibt es eine offene Front im IT-Kollektivvertrag. Das ist besonders interessant, weil es eine der nachgefragtesten Branchen ist. Da haben wir die Freigabe für den Arbeitskampf erteilt. Die Kollegen halten gerade Betriebsversammlungen ab. Jetzt kommen spannende Branchen wie die Elektroindustrie dran. Aber klar ist: Wir haben die Arbeitskämpfe nicht aus Jux und Tollerei geführt, die Inflation ist weiter hoch. Da müssen wir etwas tun.
Muss man auch bei der Arbeitszeit etwas tun? In Deutschland wird die 4-Tage-Woche in einem Großversuch erprobt.
Katzian
Ich finde am Versuch in Deutschland seltsam, dass das eine Unternehmensberatung macht und die Gewerkschaft nicht mit am Tisch sitzt. Wir in Österreich haben in fast allen großen Kollektivverträgen die 4-Tage-Woche schon als Option drinnen. Da gibt es unterschiedliche Erfahrungen. Denn die Belastung, an vier Tagen je 10 Stunden zu arbeiten, die ist enorm. Aber ich glaube schon, dass die 4-Tage-Woche ein Modell der Zukunft ist. Vor allem Junge sind sehr daran interessiert.
Mit 32 Arbeitsstunden pro Woche, wie es SPÖ-Chef Andreas Babler vorschlägt?
Katzian
Das ist zunehmend ein Thema. Ich glaube, dass es zu einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit kommen wird.
Die Gewerkschaft war zur 32-Stunden-Woche skeptisch. In welchem Zeitraum wird das kommen?
Katzian
Das weiß ich nicht. Bei Arbeitszeitverkürzungen der Vergangenheit – und da muss ich fast Historiker fragen, so lange ist das her, 50 Jahre sind seit der Einführung der 40-Stunden-Woche vergangen – taten viele so, als würde die Welt zusammenbrechen. Natürlich braucht es einen Vorlauf und mehrjährige Übergangsfristen. Und wir werden in einzelnen Kollektivverträgen anfangen, schon jetzt beträgt die Wochenarbeitszeit in der Sozialwirtschaft 37 Stunden. Es geht Schritt für Schritt nach unten.
Passt Arbeitszeitverkürzung zum Arbeitsmarkt? Dort gibt es Fachkräftemangel, gleichzeitig steigt die Arbeitslosigkeit.
Katzian
Im Jänner gab es 421.000 Arbeitslose, dazu 87.000 offen gemeldete Stellen. Das sind zu wenig Stellen. Offensichtlich haben die Unternehmen Bedarf nach Arbeitskräften und nach Fachkräften: Früher haben sie Fachkräfte selber ausgebildet. Mittlerweile bilden um 10.000 weniger Unternehmen Lehrlinge aus – und sind die Ersten, die klagen, weil sie keine Fachkräfte finden. Außerdem reichen offenbar die Fachkräfte in der EU nicht aus, dann kommen plötzlich Köche aus Nigeria und panieren am Arlberg Schnitzel. Und das nur, weil Koch zum Mangelberuf erklärt wurde, wie plötzlich über 100 andere Berufe. Früher standen sieben Berufe auf der Mangelberufsliste, jetzt sind es über 100. Das sind viel zu viele. Betriebe sollen sich mehr anstrengen, Fachkräfte in Österreich zu finden, und ihnen gute Bedingungen bieten und weniger jammern.
AMS-Chef Johannes Kopf fordert ein neues Arbeitslosengeld: In den ersten Monaten höher, dann sinkend – damit Arbeitslose rascher Jobangebote annehmen.
Katzian
Wir können gern über ein stufenweise sinkendes Arbeitslosengeld reden. Aber es darf nie unter 55 Prozent Nettoersatzrate sinken. Die 55 Prozent sind ein Witz, wenn man davon leben soll. Aber wenn es anfangs höher ist als 55 Prozent: Why not.
Die ÖVP schlägt 50 Prozent vor.
Katzian
Es sind schon 55 Prozent keine Grundlage zum Leben. 50 Prozent geht gar nicht.
In Wien ist mittlerweile jeder fünfte Arbeitslose ein Flüchtling. Was läuft da schief?
Katzian
Die Flüchtlinge aus der Ukraine etwa kommen mit Qualifikationen. Diese müssen wir schneller anerkennen, das dauert Monate und damit zu lange. Und bei den Nicht-Qualifizierten müssen wir mit Nachdruck schauen, wie sie über Spracherwerb und Qualifikationen integriert werden können.
Was halten Sie von der diskutierten Arbeitspflicht für Asylwerber?
Katzian
Wenn die alle Rasen mähen sollen – so viele Wiesen gibts gar nicht. Aber auf keinen Fall dürfen sie um ein Taschengeld arbeiten. Damit unterwandert man jeden Kollektivvertrag.
Oder sind zu viele Asylwerber da, wie Burgendlands Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil sagt?
Katzian
Meines Wissens nach wurde die Genfer Flüchtlingskonvention nicht geändert. Es gibt also Rahmenbedingungen. Aber gewiss ist die EU säumig dabei, die Flüchtlinge gerecht in Europa zu verteilen. Das ist eine der wichtigen Aufgaben der künftigen EU-Kommission.
Sollte die Genfer Flüchtlingskonvention geändert werden?
Katzian
Sie wurde für Konflikte in Europa geschrieben, man könnte sie schon überarbeiten – aber ich wäre sehr vorsichtig, damit man dabei nicht das Kind mit dem Bade ausschüttet. Eine Flüchtlingskonvention ist wichtig. Ich habe mein ganzes Leben in Zeiten des Friedens erlebt. Meine Eltern nicht.
Doskozil hat eine Asyl-Obergrenze gefordert. Er ist einer der Querredner in der SPÖ. Kommt deswegen die SPÖ nicht vom Fleck?
Katzian
Ich bin immer noch Team Wohnzimmer und nicht Team Balkon, ich diskutiere lieber intern. Und möchte um Verständnis bitten, dass ich nicht jede Aussage kommentiere. Wenn es an der Positionierung in bestimmten Punkten Diskussionsbedarf gibt, dann sollten sich alle zusammensetzen und in den Parteigremien diskutieren.
Dort ist Doskozil nicht.
Katzian
Niemand würde ihn hindern hinzukommen und ein wichtiges Thema anzusprechen. Wenn die SPÖ nicht geschlossen ist, kann sie im Wahlkampf nicht erfolgreich sein. Das muss allen Beteiligten bewusst sein.
Gibt es zu Alfred Gusenbauer Gesprächsbedarf im SPÖ-Wohnzimmer, weil er im Sold von René Benko steht?
Katzian
Ich kenne die Verträge nicht, ich weiß nicht, was er in seinen Aufsichtsratsfunktionen gemacht hat.
Sehen Sie Anlass für ein Parteiausschlussverfahren?
Katzian
Das ginge nur bei parteischädigendem Verhalten, dazu kenne ich die Fakten zu wenig. Dass der ganze Fall Benko die Basis aufregt, sie das Gefühl hat, dass es sich Reiche richten und sie die Krot fressen, ist klar.
Sie pflegen spezielle Kleidungsvorlieben, waren etwa im Leiberl beim Bundespräsidenten. Wollen Sie damit gewisses Rebellentum ausdrücken?
Katzian
Überhaupt nicht. Der Termin beim Bundespräsidenten war kein offizieller, ich habe einen Freund besucht zum Vier-Augen-Termin. Sonst war nur sein Hund dabei. Wir haben uns ausgetauscht. Ich sende mit meinem Kleidungsstil keine Botschaften.
Sie sind 67 Jahre alt. Planmäßig wird der nächste ÖGB-Präsident erst 2028 bestellt, dann wären Sie 71. Wollen Sie so lange bleiben?
Katzian
Wenn ich eine Funktion übernehme, erfülle ich sie zu 2000 Prozent und hau mich mit Leidenschaft rein, um das Beste für die Leute rauszuholen. Ich bleibe Präsident, solange das Feuer brennt. Und das Feuer brennt sehr intensiv.
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Eva Linsinger
Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin