Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka

Wolfgang Sobotka: "Teilverstaatlichungen können sinnvoll sein"

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka über die Gründe, die App zur Kontrolle der Kontakte verpflichtend zu machen, Demokratie in Zeiten der Corona-Krise, Ungarn und das Versagen in Ischgl.

Drucken

Schriftgröße

Anmerkung: Aufgrund des großen Interesses stellen wir bereits heute das gesamte profil-Interview mit Wolfgang Sobotka online.

INTERVIEW: EVA LINSINGER

profil: Die April-Zahlen schocken: 562.000 Arbeitslose, die höchste Zahl seit 1946. Das ist die Konsequenz der Corona-Maßnahmen. Sobotka: So kann man das nicht sehen.

profil: Der Einbruch der Wirtschaft und die Explosion der Arbeitslosigkeit kommen vom Shutdown. Sobotka: Der Wirtschaftseinbruch würde auch stattfinden, wenn wir die ungehinderte Ausbreitung des Virus zulassen. Außerordentliche Zeiten erfordern außerordentliche Maßnahmen. Natürlich ist die Zahl der Arbeitslosen schrecklich. Eine meiner größten Sorgen lautet: Wie schaut die wirtschaftliche Situation danach aus, wenn es nach so kurzer Zeit derart gravierende Folgen gibt.

profil: Haben Sie mit einem derart drastischen Einbruch gerechnet? Sobotka: Das war erwartbar. Deswegen treibt der Staat enormen Aufwand. Durch das gute Modell der Kurzarbeit wird einiges aufgefangen, aber in einigen Branchen wie dem Tourismus ist das Geschäftsmodell weggebrochen.

Wer staatliche Hilfe beansprucht, kann keine Dividende ausschütten.

profil: Manche nutzen die Kurzarbeit aus. Pierer Mobility, früher KTM, schickt Menschen in Kurzarbeit und zahlt gleichzeitig Dividenden. Soll das verboten werden? Sobotka: Es liegt auf der Hand, zu sagen: Wer staatliche Hilfe beansprucht, kann keine Dividende ausschütten. Mittlerweile sieht das auch Pierer so.

profil: Soll der Staat im Gegenzug für Hilfen Beteiligungen an Unternehmen bekommen und nach der Krise so Geld zurückerhalten? Sobotka: Das muss man genau prüfen. Grundsätzlich bin ich kein Etatist.

profil: Manches ändert sich in der Krise. Sobotka: Natürlich. Darum muss man zumindest bei der kritischen Infrastruktur Beteiligungen prüfen, die können auch temporär sein. Wir haben etwa die ÖBB nicht privatisiert, das stellt sich als richtig heraus. Auch bei anderen Infrastrukturbetrieben kann man das überlegen, sei es auch in Form von Haftungen. Wie weit das bei anderen Unternehmen geht, muss man diskutieren.

Österreich hat viele Krisen bewältigt, es wird auch diese Krise überwinden.

profil: Vizekanzler Werner Kogler schlägt Teilverstaatlichungen vor. Sobotka: Österreich hat mit Verstaatlichungen nicht immer die besten Erfolge erzielt. Aber die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit. Beteiligungen oder Teilverstaatlichungen, vielleicht befristet, im Gegenzug für Hilfen des Staates können durchaus sinnvoll sein. Ich verschließe mich Diskussionen darüber sicher nicht. Es hängt von den Modellen ab.

profil: Es wird auch diskutiert, in der Krise Grundeinkommen auszuzahlen. Wäre das sinnvoll? Sobotka: Grundeinkommen halte ich für prinzipiell falsch, es muss immer um Leistungsbereitschaft gehen. Österreich hat viele Krisen bewältigt, es wird auch diese Krise überwinden. Das zeigt die Geschichte deutlich.

profil: Sie sind Historiker: Zuletzt gab es 1931 derartige Notfallgesetze, wie sie im Parlament im Eiltempo beschlossen wurden, auch diese Woche gibt es Covid-19- Sondergesetze. Was macht die Krise mit der Demokratie? Sobotka: Es ist entscheidend, dass wir nicht den Weg der Rechtsstaatlichkeit verlassen und das Parlament arbeiten kann. Ja, es wird eine Fülle von sehr weitreichenden Gesetzen beschlossen. Aber diese Gesetze haben alle - das ist wesentlich - eine Sunset-Klausel. Die hören automatisch wieder auf. Und wir mussten schnell helfen.

profil: Es sind Grundrechte ausgehebelt: etwa das Recht auf Versammlungs- und Bewegungsfreiheit. Darüber wurde kaum diskutiert. Sobotka: Die Verfassung sieht keinen Krisenmodus vor, das wurde diskutiert. Wir haben nur ein Epidemiegesetz.

profil: Das teils aus der vordemokratischen Zeit der Monarchie stammt. Sobotka: Auch Gesetze im Schulbereich stammen aus 1869, manche Gesetze waren in der Monarchie vielleicht besser und prägnanter als heute. Aber: Sie haben recht, wir brauchen ein bundeseinheitliches Krisen-und Katastrophenmanagementgesetz, derzeit ist der Bereich unterschiedlich zwischen Ländern und Gemeinden aufgeteilt. Dem Bund bleibt fast nur das Epidemiegesetz. Das sollten wir ändern. Zurück zu den Grundrechten: Sie sind nur temporär eingeschränkt. Darum ist es wichtig, dass das Parlament funktioniert. Wir treten aus Eigenverantwortung nur mit 96 statt 183 Abgeordneten zusammen.

Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass wir verlängern und verlängern, noch dazu ohne ordentliche Diskussion.

profil: Auch weil bei einer Sitzung ein Abgeordneter teilnahm, der später positiv getestet wurde. Sobotka: Eine zweite Kollegin ist infiziert.

profil: Könnte das Parlament online tagen wie das Europaparlament? Sobotka: Das ist in der Verfassung nicht vorgesehen. Und es wäre keine gute Beispielwirkung: Wenn Pflegekräfte, Ärzte und Polizisten arbeiten, dann muss auch die Politik ihrem Job nachgehen und darf sich nicht verstecken. Wir werden natürlich Masken tragen.

profil: Was machen Sie, wenn ein infizierter Abgeordneter ins Parlament käme - erlaubt das das freie Mandat oder können Sie ihn hindern? Sobotka: Das ist strittig, wir haben bei drei Universitätsprofessoren Gutachten in Auftrag gegeben. Meine Haltung ist klar: Abgeordnete müssen sich wie alle an Vorgaben der Gesundheitsbehörden halten. Wenn sie krank oder in Quarantäne sind, endet das freie Mandat. Gott sei Dank ist das eine theoretische Diskussion, alle erkrankten Abgeordneten sind vernünftig und bleiben zu Hause.

profil: Sie sagen, die Aushebelung der Grundrechte endet automatisch. In Frankreich wurden Anti-Terror-Sondergesetze beschlossen, immer wieder verlängert, dann Regelgesetz. Kann das mit Österreichs Notfallgesetzen auch passieren? Sobotka: Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass wir verlängern und verlängern, noch dazu ohne ordentliche Diskussion. Gerade bei heiklen Themen wie der Freiheitsbeschränkung gilt die Sunset-Regelung.

Maskentragen ist entscheidend, das lernen wir aus Asien.

profil: Die Ausgangsbeschränkungen gelten bis Ostermontag. Werden sie danach verlängert? Wie lange kann man Menschen einsperren? Sobotka: Gute Frage. Ich sehe große Bereitschaft in der Bevölkerung, sich massiv daran zu halten. Nur wenige verstoßen gegen die Regelungen. Auch häusliche Gewalt stieg offenbar nicht so sprunghaft an wie befürchtet, allerdings erzählen mir Kollegen von telefonischen Scheidungen. Was die Menschen aber brauchen, ist eine Perspektive. Die Ungewissheit, wie lange es dauert, ist schwierig. Wir sind auf einem guten Weg, die Kurve der Infektionen flacht ab, vielleicht gibt es bald Bewegung.

profil: Nach Ostermontag könnte gelockert werden? Sobotka: Möglich. Maskentragen ist entscheidend, das lernen wir aus Asien. Ich will nichts versprechen, wir müssen von Woche zu Woche entscheiden, aber es ist uns bewusst, dass die Leute Perspektiven brauchen.

profil: Sie sagten neulich, die Menschen sollen hinaus in ihre Gärten. Viele haben aber weder Garten noch Terrasse oder Balkon. Sobotka: Keine Frage, dass sich viele eingesperrt fühlen. Darum noch einmal: Die Maßnahmen sind richtig, aber es braucht Perspektiven.

profil: Wie lang hält eine Demokratie derartige Einschränkungen aus? Sobotka: An die Einschränkungen kann sich eine Demokratie nicht gewöhnen. Falls die Corona-Krise andauert, müssen wir nachdenken, wie wir Grundrechte in der Krise garantieren. Das ist zentral. Gewisse Zeit hält man das aus, einige Wochen oder Monate. Aber danach muss man Versammlungen oder Demonstrationen unter Auflagen zulassen.

profil: Ungarn und Viktor Orbán nutzen die Krise, um die Demokratie abzuschaffen. Sobotka: Das Parlament hat das dort selbst beschlossen. Den Beschluss kann es auch wieder revidieren.

Herr Orbán genießt es, zu provozieren.

profil: Vizekanzler Kogler fordert, Ungarn EU-Gelder zu streichen. Sind Sie dafür? Sobotka: Ich sehe das pragmatisch: Die EU soll prüfen, wie die ungarischen Beschlüsse mit den Grundrechten zu vereinbaren sind. Es ist nicht meine Aufgabe, anderen Ratschläge im Krisenmanagement zu erteilen. Wir haben uns auch im Jahr 2000 gewehrt, als die EU Sanktionen verhängte und Staaten tolle Ratschläge gaben.

profil: Warum ist die ÖVP bei Ungarn derart zurückhaltend? Kanzler Sebastian Kurz sagt, er habe keine Zeit, sich mit Ungarn auseinanderzusetzen, Sie sind defensiv. Österreich ist Teil der EU und kann eine Meinung haben. Sobotka: Warum soll ich ein Urteil fällen? Die Österreicher interessiert das am Rande. Herr Orbán genießt es, zu provozieren. Wenn die EU in Ungarns Regelungen ein Problem für die Rechtsstaatlichkeit sieht, dann ist es im Dialog mit Ungarn zu lösen. Die EU-Kommission ist am Zug. Wichtig ist: Wir gehen in Österreich einen anderen Weg.

profil: Welchen Weg geht Österreich, wenn die Maßnahmen gelockert werden? Staaten wie Südkorea oder Israel setzen auf Überwachung mittels Handy-Daten. Wie weit soll Österreich bei Big Data gehen? Sobotka: Grundlage ist die Europäische Datenschutzgrundverordnung. Wir sollen alles überlegen, was sie erlaubt. Es ist sinnvoll, festzustellen, wer mit wem Kontakt hat, um bei Infektionen rasch warnen zu können. Niemand hat Interesse, irgendwelche Daten zu speichern. Ich habe die Rot-Kreuz-App. Die kann sehr helfen. Wenn sie einen gewissen Verpflichtungsgrad hat, könnte sie noch mehr helfen.

profil: Die Rot-Kreuz-App kann man installieren und dort festhalten, mit wem man Kontakt hat. Wenn jemand infiziert ist, wird man gewarnt. Das ist derzeit freiwillig. Sie sprechen von einem gewissen Verpflichtungsgrad. Was bedeutet das? Müssen alle die App haben und Kontakte dokumentieren? Sobotka: Das ist eine Abwägung der Güter. Können wir damit schneller Stabilität erreichen und die Ausbreitung von Covid-19 bremsen? Beschränkungen für die Wirtschaft lockern und die Arbeitslosigkeit senken? Gibt es dafür Evidenz? Das alles müssen wir abwägen. Und alle Parteien müssen sich im Klaren darüber sein, dass sie Position beziehen müssen.

Mir sagen Experten: Wenn man die Verpflichtung zur App zeitlich befristet und mit einer Sunset- Klausel versieht, dann ist das mit der EU-Datenschutzverordnung und der Verfassung vereinbar.

profil: Was ist Ihre Position? Sobotka: Ich sage ehrlich: Wenn evident ist, dass wir die Menschen schützen können, indem die App verpflichtend ist und jeder Kontakt festgehalten wird, dann sage ich dazu: Ja.

profil: Und für Menschen, die die App nicht haben, bleibt die Bewegungsfreiheit eingeschränkt? Sobotka: Wir müssen prüfen, ob das verfassungsrechtlich geht. Mir sagen Experten: Wenn man die Verpflichtung zur App zeitlich befristet und mit einer Sunset- Klausel versieht, dann ist das mit der EU-Datenschutzverordnung und der Verfassung vereinbar. Man kann auch Zeitlimits definieren: Etwa bis die Wiederansteckungshäufigkeit auf unter 1,0 ist. Man muss sehr sorgsam vorgehen. Ich bin dann für eine Verpflichtung, wenn das klaren Nutzen bringt.

profil: Was passiert, wenn jemand die App nicht verwendet und nicht festhält, wen er oder sie trifft? Sobotka: Damit habe ich mich noch nicht auseinandergesetzt. Wenn es in anderen Staaten einen Mehrwert hat, sollten wir die Verpflichtung diskutieren. Entscheidend ist, was damit bezweckt wird: Ich will nichts kontrollieren, mir liegt die Gesundheit der Menschen am Herzen. Das Instrument muss angemessen sein. Wir warten auf den Vorschlag der Regierung. Und wir brauchen dafür sicher eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat.

profil: Eine Entscheidung, die dem Parlament obliegt: Nach Ostern soll der Ibiza- Untersuchungsausschuss starten. Wird er starten oder verschoben? Sobotka: Das müssen die Fraktionen vereinbaren. Als Präsident treffe ich dazu sicher keine Aussage, stünde aber als Ausschussvorsitzender zur Verfügung.

profil: Wird es einen Corona-U-Ausschuss geben? Sobotka: Es ist das Recht der Opposition, einen einzusetzen.

profil: Die Kritik entzündet sich an Tirol und Ischgl. Was lief schief? Sobotka: Jetzt haben wir Wichtigeres zu tun -danach muss das von A bis Z aufgearbeitet werden. Es gibt Sachverhaltsdarstellungen bei der Staatsanwaltschaft, das Ganze muss auch politisch aufgearbeitet werden.

profil: Der Tiroler ÖVP-Abgeordnete Franz Hörl spielte in Ischgl eine Rolle, haben Sie mit ihm gesprochen? Sobotka: Nein.

profil: Wird sich der Wintertourismus von dem Imageschaden erholen? Sobotka: Dieselbe Frage haben wir in den 1980er-Jahren beim Wein gehört -und der Wein wurde sogar besser. Warum soll man nicht auch jetzt die richtigen Lehren ziehen? Manche bashen Ischgl und tun so, als ob das Virus dort entstanden wäre.

Es wird ein Konjunktur-Impulsprogramm brauchen. Und es liegt auf der Hand, dass wir irgendwann ein Sparpaket brauchen, um das Budget zu sanieren.

profil: Aus Ischgl wurde das Virus quer durch Europa verteilt. Sobotka: Aber das Virus kam vermutlich aus China über Italien nach Österreich. Wenn Fehler passiert sind, sind die aufzuarbeiten. Aber reflexartige Vorverurteilungen à la Profitgier helfen niemand.

profil: In Après-Skibars wurde zumindest fahrlässig gehandelt. Sobotka: Wenn jemand krank ist, gehört er in den Krankenstand. Ich war nie in so einer Après-Skibar, ich weiß nicht, wie es dort zugeht, aber ich verurteile niemand, der dorthin geht.

profil: Sie waren einmal für Finanzen zuständig. Der Staat schnürt milliardenschwere Corona-Hilfspakete. Braucht es danach enorme Sparpakete? Sobotka: Es wird ein Konjunktur-Impulsprogramm brauchen. Und es liegt auf der Hand, dass wir irgendwann ein Sparpaket brauchen, um das Budget zu sanieren. Das Geld ist ja nicht auf Dauer abgeschafft.

profil: Türkis-Grün ist erst kurz im Amt. Bei den Koalitionsverhandlungen war von Corona und Milliardenpaketen keine Rede. Muss der Koalitionspakt neu verhandelt werden? Sobotka: Glaube ich nicht. An den Grundfesten des Paktums halten alle fest.

profil: Auch an Plänen wie der Ökosteuerreform? Sobotka: Eine Regierung gibt sich mit dem Vertrag einen Rahmen. Es ist zu früh, nachzudenken, ob man einzelne Teile adaptiert. Die türkis-grüne Zusammenarbeit funktioniert erstaunlich gut, die Unaufgeregtheit und die klare Haltung überzeugen auch viele, die weder ÖVP noch Grüne gewählt haben.

profil: Sie haben mehrmals Perspektiven angesprochen: Wann wird die Corona- Krise überstanden sein? Sobotka: Wenn die Wiederansteckungsgefahr unter eins ist. Ich hoffe, dass wir in Spitälern nicht italienische Verhältnisse bekommen. Ich hoffe, dass wir vor dem Sommer das Gröbste überstanden haben und Stück für Stück zur normalen Lebensweise zurückkommen. Aber wir werden das ganze Jahr Einschränkungen hinnehmen müssen.

profil: Wird man im Sommer auf Urlaub fahren können? Sobotka: Es ist nicht absehbar, wann die Grenzen wieder offen sind. Daher wird man sich wohl stark mit Urlaub in der Heimat auseinandersetzen. Aber vielleicht ist sogar eine Woche am Meer möglich.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin