Wolfgang Sobotka tritt ab: „Eigentlich bin ich kein Streithansel“
Nach 42 Jahren zieht sich Wolfgang Sobotka, 68, aus der Politik zurück und beendet seine Rolle als „Prellbock“, wie er sie nennt. Sobotka, im Jahr 2017 die „Abrissbirne“ der SPÖ-ÖVP-Koalition, hofft nun, dass sich die beiden zur Regierung finden. Herbert Kickl nennt er ein „Sicherheitsrisiko“.
Sie treten als Nationalratspräsident ab und übergeben das Amt an FPÖ-Mann Walter Rosenkranz.
Sobotka
Natürlich hätten wir als ÖVP gerne gewonnen und damit den Nationalratspräsidenten gestellt. Die Österreicher haben anders entschieden. Stärkste Partei ist die FPÖ.
Würden Sie Rosenkranz wählen, der Nazis als Leistungsträger bezeichnete?
Sobotka
Wäre ich noch im Parlament, hätte ich mich genau mit seiner Person auseinandergesetzt. Die Wahl zum Nationalratspräsidenten ist eine geheime, über geheime Wahlen habe ich noch nie ein Wort verloren. Alle die mich kennen, wissen, wie ich entschieden hätte.
Das heißt, Sie hätten Rosenkranz nicht gewählt?
Sobotka
Ich gehöre dem neuen Parlament nicht mehr an und gebe anderen keine Tipps. Klar ist: Dass die FPÖ ihre Geschichte nicht aufgearbeitet hat, halte ich für einen Skandal. Aber ich bitte zu respektieren, dass ich zu einzelnen Personen kein Urteil abgebe. Das ist nicht mehr meine Angelegenheit.
Herbert Kickl ist ein Sicherheitsrisiko.
Wie kann die ÖVP argumentieren, dass die FPÖ den Nationalratspräsident – nach dem Bundespräsidenten das zweitmächtigste Staats-Amt - stellen kann, aber nicht den Kanzler?
Sobotka
Der Kanzler führt die Regierung und kann den Staat verändern. Der Nationalratspräsident kann das nicht, er übt nur von der repräsentativen Macht her die zweithöchste Position im Staat aus. ÖVP-Obmann Karl Nehammer schließt nicht die FPÖ per se als Kanzlerpartei aus, aber Herbert Kickl. Kickl ist ein Sicherheitsrisiko, etwa mit seinem Verhältnis zu Russland. Mit ihm und der Kickl-FPÖ ist kein Staat zu machen.
Es gibt nur die Kickl-FPÖ.
Sobotka
In Salzburg geriert sich Marlene Svazek ganz anders, in Wels Bürgermeister Andreas Rabl. Mit ihnen kann man zusammenarbeiten, mit Kickl nicht.
Die FPÖ wurde bei der Wahl Erster, die ÖVP verlor zweistellig. Mit einigen Wochen Abstand: Was hat die ÖVP falsch gemacht?
Sobotka
Wir haben die Rechnung bezahlt: Für die Chats, und für viele Vorverurteilungen. Die ÖVP wurde vier Jahre lang als Korruptionshaufen bezeichnet, man wollte sie einfach zerstören.
Es gab und gibt Ermittlungen, die Vorwürfe sind ja nicht erfunden.
Sobotka
Es gab viele Attacken auf die ÖVP, von einigen Medien und natürlich von der politischen Konkurrenz. Da muss man sich nicht wundern, wenn eine Partei unter so einem Angriff leidet. Natürlich haben wir nicht alles richtig gemacht, im Rückspiegel sehen Corona oder die Teuerung anders aus. Aber das Entscheidende war: Wir haben zwei Mal den Kanzler wechseln müssen, von Sebastian Kurz zu Alexander Schallenberg, dann zu Karl Nehammer. Nur Nehammers Lauterkeit ist es zu verdanken, dass wir noch 26 Prozent erreicht haben.
Die ÖVP hat zweistellig verloren. Ein Wahlmotiv für die FPÖ war Corona, welche Fehler sind passiert?
Sobotka
Die Regierung war in der Verantwortung, Menschenleben zu schützen und die Wirtschaft weiter am Laufen zu halten. Österreich ist sehr gut durch diese Krise gekommen. Aber natürlich sind die Corona-Maßnahmen großes Thema, etwa die Schul-Schließungen und generell das Gefühl des Eingesperrt-Seins. Vielleicht waren wir manchmal übervorsichtig. Aber wir haben die Corona-Zeit wissenschaftlich aufarbeiten lassen. Das ist untergegangen. Viele interessiert nur der Skandal.
Von der Koste-es-was-es-wolle-Politik blieb ein großes Budgetdefizit. Wurde zu viel mit der Gießkanne ausgeschüttet?
Sobotka
Ohne Zweifel. Aber wir wollten schnell und breit helfen, da kann man nicht sozial staffeln. Im Nachhinein hätten Maßnahmen wie der Klima-Bonus vielleicht sozial gestaffelt ausbezahlt werden sollen. Aber dann dauert es natürlich länger, bis das Geld da ist. Auch weil Österreich den Datenschutz restriktiv auslegt.
Karl Nehammer bekam den Auftrag zur Regierungsbildung. Kann eine Koalition mit der SPÖ und einem dritten Partner gelingen? Die Animositäten zwischen ÖVP und SPÖ sitzen tief, die inhaltlichen Unterschiede sind groß.
Sobotka
Da sind vertrauensbildende Maßnahmen notwendig, keine Frage. Koalitionen funktionieren dann gut, wenn die Partei-Spitzen und die Klub-Chefs gut miteinander umgehen. Da braucht es Brücken. Wenn ÖVP und SPÖ sich ernsthaft committen, werden sie Schnittmengen finden.
SPÖ-Kanzler Christian Kern und ÖVP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner wollten zusammenarbeiten, aber ihre Parteien nicht. Deshalb hat Kern Sie als Abrissbirne bezeichnet.
Sobotka
Kollege Kern ist damals an seiner Eitelkeit gescheitert. Und Kollege Mitterlehner an seiner wirklichen Unfähigkeit, die ÖVP zu führen. Das war für mich der Anlass, mich klar gegen diese Koalition zu positionieren. Ich war zu jedem Parteichef immer loyal – wenn er es gut mit der Partei meinte. Das hat Mitterlehner nicht getan, daher konnte er von mir keine Loyalität erwarten. Ich war damals gegen die Koalition. Jetzt bin ich aber zuversichtlich, dass es klappt.
Mit oder ohne dritten Partner?
Sobotka
Das werden die Gespräche zeigen. Wichtig ist: Die nächste Regierung muss die Leistungsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes erhöhen und für unsere Wirtschaft etwas tun, von kleinen Einzelunternehmen bis hin zu großen Konzernen. Jeder zweite Arbeitsplatz hängt am Export, daher ist die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit zentral.
Was ist dabei wichtig?
Sobotka
Österreich leidet an Überregulierung, und Brüssel ist daran nicht alleine schuld. Dazu ist die Last der Steuern und Abgaben zu hoch, das ist kein Leistungsanreiz,.
Die ÖVP ist seit 1987 durchgehend in der Regierung und stellt seit 20 Jahren den Finanzminister. Was hat sie bisher an Steuersenkungen und Bürokratieabbau gehindert?
Sobotka
Man benötigt immer auch einen Partner , um sowas zu erreichen. In der letzten Legislaturperiode ist mit der Abschaffung der kalten Progression ein Meilenstein gelungen. Jetzt müssen wir weitere Schritte setzen, um die Steuer- und Abgabenquote zu senken. Und wir müssen die Bürokratie verschlanken. Unsere Feuerwehren dürfen etwa nicht mehr mit Wasser üben. So ein Unsinn muss weg.
Wifo-Chef Gabriel Felbermayr sagt, Österreich hat über seine Verhältnisse gelebt. Wo sehen Sie Einsparungspotenzial?
Sobotka
Ich lehne die Aussage zutiefst ab, Österreich hat nicht über die Verhältnisse gelebt. Wir haben nach bestem Wissen regiert. Aber natürlich gibt es immer Sparmöglichkeiten: Wir haben viele Doppel-Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern, in der Bildung, in der Pflege, in der Gesundheit. Da muss man überlegen, wie man das pro futuro vernünftiger machen kann. Wir haben zu viele Vorschriften und produzieren zu viel Papier. Und wir haben sicherlich noch nicht die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz ausgeschöpft. Und nicht zuletzt müssen wir die Subventionen durchforsten, da geben andere Länder viel weniger Geld aus, das gibt der Wirtschaft mehr Freiraum.
Leicht werden die Verhandlungen mit der SPÖ nicht. Aus dem Wirtschaftsflügel der ÖVP kommen Stimmen, es doch mit der FPÖ zu versuchen.
Sobotka
Gerade Unternehmen, die im Ausland investieren, müssten wissen, dass ein Kanzler Kickl Österreichs Ruf schaden würde. Auch daher sollten ÖVP und SPÖ alles daran setzen, zu einem positiven Verhandlungsabschluss zu kommen.
Sie kamen 1982 in ihre erste politische Funktion. Damals lag die FPÖ auf Bundesebene bei sechs Prozent. Heute ist sie stärkste Partei – und ÖVP und SPÖ verlieren.
Sobotka
Beide Mitteparteien haben sehr oft Regierungsverantwortung getragen haben, das ist eben nicht so sexy wie Opposition. Dazu schleicht sich der Postmodernismus ein, wo der Begriff der Wahrheit relativiert wird und Fakten wenig zählen. Dazu kommen starke Migrationsbewegungen und Krisen. Das ist ein Giftcocktail für liberale Demokratien. Parteien der Mitte verlieren nicht nur in Österreich. Populisten tun sich mit einfachen Antworten leichter – und viele Menschen hören gern einfache Antworten, weil sie Veränderung als Bedrohung begreifen. Da müssen Mitteparteien grundsätzlich verstärkt nachdenken, wie sie reagieren. Das werde ich in meinem neuen Amt als Leiter der Politischen Akademie der ÖVP machen.
Sie waren Jahrzehnte in der Spitzenpolitik und haben Ihre Rolle als Prellbock bezeichnet: Sie waren Prellbock für Erwin Pröll oder Sebastian Kurz.
Sobotka
Ein Parteichef braucht solche Prellböcke, um nicht immer selbst in jede Tagesaktualität hinuntersteigen zu müssen. Daher räumt die rechte Hand oder die rechte Faust oder der Prellbock, wie immer man das bezeichnet, gewisse Themen weg. Ich war so ein Prellbock: der auch Kritik auf sich zieht, damit sie den Chef nicht trifft.
Waren Sie deshalb immer einer der unbeliebtesten Politiker?
Sobotka
Man kann sich seine Funktion nicht immer aussuchen. Eigentlich bin ich kein Streithansel.
Davon hat man wenig gemerkt.
Sobotka
Ich hatte ja eine andere Funktion. Zu der stand ich treu und die habe ich ausgeübt. Dass man damit keine Sympathiewettbewerbe gewinnt, war mir klar. Ich bin ein sehr pflichtbewusster Mensch. Wenn man mir eine Aufgabe überträgt, erfülle ich sie. Jetzt beginne ich ein anderes Leben – und habe das Ziel, von einer 80-Stunden-Woche auf eine 60-Stunden-Woche zu kommen.
Und dann werden Sie für das Amt des Bundespräsidenten kandidieren?
Sobotka
Definitiv nicht. Dafür bin ich nicht geeignet, dafür bin ich viel zu kantig. Außerdem habe ich meiner Frau versprochen, dass ich mich aus der ersten Reihe zurückziehe.