Wrabetz: "Ich stehe zu kuschelig"
profil: Vor zehn Jahren waren Sie "Super-Alex". Was blieb davon? Alexander Wrabetz: Zunächst der ORF, er ist nicht privatisiert worden, ich habe durch die Finanzkrise geführt. Es gibt Unabhängigkeit in den Redaktionen. Am stolzesten bin ich auf ORF III, den neuen Sender, der in Herzen und Hirnen der Kulturinteressierten einen festen Platz hat.
profil: In Erinnerung sind Flops wie "Mitten im Achten". Haben Sie deshalb nichts mehr riskiert? Wrabetz: "Vorstadtweiber" war auch riskant, aber ein Riesenerfolg. Einige Dinge sind, wie üblich im Fernsehen, fundamental schiefgegangen. Aber das soll uns nicht davon abhalten, Neues auszuprobieren. Auch "Willkommen Österreich" war anfangs kein Erfolg, die ersten neun Folgen waren legendär schlecht. Dann hob es ab. Es lohnt sich, wenn man sich etwas traut.
Drei Monate vor der Wahl eine dreistündige tägliche Sendung zu starten, das macht kein Feigling.
profil: Eine Politik-Satiresendungen wie die "heute-Show" traut sich der ORF nicht. Wrabetz: Wir haben einige Formate, die mindestens so hart sind wie die deutschen Sendungen - die "Staatskünstler" etwa.
profil: Die gibt es aber fast nie mehr. Wrabetz: Vier Mal spielen wir sie heuer. An Mut fehlt es mir nicht: Wir haben vor Kurzem mit dem Frühstücksfernsehen begonnen. Drei Monate vor der Wahl eine dreistündige tägliche Sendung zu starten, das macht kein Feigling.
profil: Außer man will den Landeshauptleuten durch mehr kuschelig-heimelige Berichterstattung einen Gefallen tun. Wrabetz: Im Frühstücksfernsehen ist bisher kein einziger Landeshauptmann vorgekommen. Aber das Regionale ist für mich politisch: Wir stehen ratlos dem Phänomen gegenüber, welche Spaltung durch Österreich geht, dass Menschen in Städten anders denken als die Landbevölkerung. Daher ist es gut, in einem TV-Format nicht mit dem Wiener Inner-Circle zu sprechen, sondern auch mit Menschen in kleinen Dörfern. Und zu kuschelig stehe ich: Die breite Masse will in der Früh nicht mit all dem Schrecklichen konfrontiert werden, sondern angenehme Seiten des Lebens sehen.
profil: Aber die Leute wollen doch nicht heile Welt vorgegaukelt bekommen. Wrabetz: Zum Glück beschäftigten sich die Menschen nicht 24 Stunden am Tag mit Terroranschlägen, sie interessieren sich auch für Wetter, Konsumentenschutz und andere Dinge.
profil: Wollen die Menschen überhaupt etwas mit Tiefgang sehen? Wrabetz: Wir Bildungsbürger sind teils Pharisäer, die immer hochwertiges Programm verlangen und sich dann oft nur unterhalten wollen. Wir bieten trotzdem so viel Kultur an wie noch nie.
Leitmedium heißt natürlich nicht, dass wir den Menschen sagen, was sie denken sollen.
profil: Ihre Bewerbung hat die Hauptbotschaft: Der ORF hat nur Berechtigung, wenn er ein Leitmedium ist. Was soll denn ein "Leitmedium" sein? Wrabetz: Kann ein nationales Medium einen Beitrag leisten, um die auseinanderdriftende Gesellschaft zusammenzuhalten? Es hat einen großen Wert, dass man Millionen Menschen dazu bringt, sich zeitweise mit demselben Thema zu beschäftigen, das verbindet. Leitmedium heißt natürlich nicht, dass wir den Menschen sagen, was sie denken sollen. Leitmedium bedeutet nicht, bei jedem Thema der Erste zu sein. Manchmal muss man den Mut haben, so lange zuzuwarten, bis wir wissen, ob eine Nachricht auch stimmt.
profil: Wie geht ein Leitmedium mit dem Thema Flüchtlinge um? Wrabetz: Natürlich ist es beim Flüchtlingsthema besonders schwer, den richtigen Umgang zu finden. Wir müssen versuchen, ein breites Meinungsspektrum abzubilden und uns Formate trauen, die in aufgeheizter Stimmung riskant sind. Etwa das viel zitierte "Bürgerforum".
profil: Bei dem ein "Identitärer" unerkannt auftrat. Wrabetz: Das war ein Fehler. Aber die Sendung insgesamt hat viel gebracht, die Stimmung in der Bevölkerung abzubilden. Natürlich dürfen wir auch beim Ausländerthema keinen kriminellen Vorfall verschweigen, aber wir müssen auch nicht jeden Vorfall hochspielen und zur Hauptmeldung machen.
Unser Rechercheergebnis zum Tempelberg war unvollständig, das haben wir eingestanden.
profil: Der ORF leidet unter dem Vorwurf des "Lügen-TV". Seine Glaubwürdigkeit ist seit der Flüchtlingskrise abgesackt. Wrabetz: Das Flüchtlingsthema zerreißt die Gesellschaft, bei dem Thema gehen die Wogen hoch - bei der Emotionalität ist man für beide Seiten nie objektiv. Wir versuchen, uns dem zu stellen, etwa dadurch, dass Journalisten auf Social Media mit dem Publikum diskutieren. Und wir müssen auch zugeben, wenn wir Fehler machen.
profil: Ihr Konkurrent Richard Grasl sagt, es war ein Fehler, Bundespräsidentschafts-Kandidat Norbert Hofer im TV-Duell mit dem Vorfall am Tempelberg zu konfrontieren? Wrabetz: Unser Rechercheergebnis zum Tempelberg war unvollständig, das haben wir eingestanden. Aber es wundert mich, dass Grasl, der sieben Jahre hier nebenan saß, nun tut, als hätte er in einem anderen Unternehmen gearbeitet und plötzlich alles kritisiert.
profil: Ist das nicht Wahlkampf? Wrabetz: Ich finde es absurd, dass wir uns in Serien-Doppelinterviews seit Wochen durch die Zeitungen bewegen als wären wir Präsidentschaftskandidaten.
profil: Wahlkampf nervt Sie? Wrabetz: Nein, Aber er schadet dem Unternehmen. Ich weise es zurück, dass Grasl sagt, der ORF sei in finanziellen Turbulenzen. Er macht das Unternehmen schlecht.
profil: Alle ehemaligen ORF-Chefs klagen, dass sie vor ihrer Wahl politische Personalpakete schnüren mussten. Wer ist in Ihrem Team? Wrabetz: Es ist kein Geheimnis, dass ich mit Kathrin Zechner weiterarbeiten möchte und Michael Götzhaber einen guten Job als Technischer Direktor macht und ich mir einen neuen kaufmännischen Direktor suchen werde.
Meine Kandidatur entstand damals sehr kurzfristig aus einer kritischen Situation für den ORF heraus.
profil: Wer wird das sein? Wrabetz: Das weiß ich noch nicht. Bis vor sechs Wochen ging ich davon aus, dass wir keinen neuen brauchen. Grasl hatte ja gesagt, dass er nicht gegen mich kandidiert.
profil: Monika Lindner behauptet, Sie hätten ihr das auch versprochen. Wrabetz: Nein. Meine Kandidatur entstand damals sehr kurzfristig aus einer kritischen Situation für den ORF heraus.
profil: Manche Ihrer damaligen Regenbogenkoalitionäre sind heute ein Fall für den Staatsanwalt. Macht Ihnen das Sorgen? Wrabetz: Sorgen macht mir, dass vieles gar nicht passiert wäre, wenn der ORF unter Schwarz-Blau kritischer berichtet hätte. Daher will ich sicherstellen: Haben wir die Augen offen für kritische Entwicklungen und berichten, auch wenn es manchen Politikern nicht passt?
profil: Sie wollten einmal Politikerinterventionen veröffentlichen. Warum tun Sie das nicht? Wrabetz: Es gab keine derart gravierenden Interventionen, die man veröffentlichen müsste.
profil: Haben Sie sie dokumentiert? Wrabetz: Da können Sie sicher sein. Es gab zum Teil sehr unangenehme Gespräche, bis wir uns auf einen neuen Standard der nicht willfährigen Berichterstattung verständigt hatten.
profil: Warum hatte Ex-Kanzler Werner Faymann kein Vertrauen zu Ihnen? Wrabetz: Wir hatten gewisse Auffassungsunterschiede. Mehr will ich nicht sagen.
profil: Verstehen Sie Ihren Job politisch? Wrabetz: Nicht parteipolitisch, aber politisch schon. Welche Haltungen im ORF vertreten werden, ist ganz entscheidend für das Land. Man muss kein großer Kenner der österreichischen Seele sein, um zu wissen, dass unsere Aktion "Helfen wie wir" für Flüchtlinge nicht überall ankommt und auch eine politische Haltung ist. Oder die Klima-und Zeitgeschichte-Schwerpunkte.
profil: In Zeiten wie diesen wünschen sich Menschen mehr Information im ORF. Sie haben - im Gegensatz zu ihrem Konkurrenten Grasl - keine neuen Talkshows im Programm. Wrabetz: Doch, wir sollten uns was trauen. Wir müssen den "Club 2" wieder neu erfinden. Wir brauchen Formate für kontroverse Debatten. Grasl und ich unterscheiden uns in der Frage gar nicht wirklich. Es ist halt so: Der Amtsinhaber verströmt eine gewisse Gelassenheit und Stabilität, und der Herausforderer sagt: Ich kann alles, ich will alles, ich, ich, ich - das steht 200 Mal in seinem Konzept.
Grasl will die Technik zerschlagen - aus einem klaren politischen Motiv
profil: Warum finden Sie es gefährlich, wenn die Technik aufgesplittet wird, wie Grasl es fordert? Wrabetz: Grasl will die Technik zerschlagen - aus einem klaren politischen Motiv: Sie ist eine SPÖ-Bastion. Damit kann man unliebsame Betriebs- und Stiftungsräte entfernen.
profil: Eine Auslagerung käme aber billiger. Wrabetz: Wir haben in den letzten Jahren Sparmaßnahmen im Technik-Bereich gesetzt, sehr diszipliniert und mit Einverständnis des Betriebsrates. Man kann solche Dinge nur sozialpartnerschaftlich lösen. Und wir sind ein Produktionsbetrieb und keine Abspielstation wie RTL2.
profil: Sind andere Dinge noch zeitgemäß? Etwa, dass der Salzburger Landesdirektor 1800 Euro Trennungszulage bekommt, weil er aus Steyr kommt und in Salzburg arbeitet und im Hotel wohnt? Wrabetz: Ich kommentiere sicher keine Einzelverträge. Nur so viel: Der Salzburger Landesdirektor ist einer der erfolgreichsten Landesdirektoren in der Geschichte des ORF. Er ist sein Geld mehr als wert.
profil: Von 3000 ORF-Angestellten sind nur 200 jünger als 30. Ist so digitale Medienzukunft möglich? Wrabetz: In den nächsten Jahren stehen uns 1000 Pensionierungen bevor. Wir brauchen natürlich mehr junge Leute. Das gibt auch die Chance, dass wir uns der Bevölkerungs-Wirklichkeit annähern. Wenn ich mir unsere Namenslisten anschauen, dann repräsentieren wir höchstens die Einwanderungswellen von vor 100 Jahren, aber nicht die Bevölkerung heute.
Vielleicht war ich zu geduldig.
profil: Im ZDF werden Nachrichten von Moderatorinnen mit Migrationshintergrund präsentiert. War der ORF da säumig? Wrabetz: Es braucht Role Models und wir brauchen eine Durchmischung.
profil: In der höchsten Gehaltsgruppe im ORF finden sich gerade 14 Prozent Frauen. Wrabetz: Wir haben in den Jahren massiv Mitarbeiter abgebaut und Führungsfunktionen eingespart. Auch dadurch sind wir bei den Frauen noch nicht so weit gekommen, wie wir wollten.
profil: Gibt es Dinge, die Sie wegen Grasl nicht haben umsetzen können? Wrabetz: Einiges. Er hält mir vor, ich würde zu langsam entscheiden. Das hatte oft seinen Grund darin, dass ich den Konsens mit ihm gesucht und viel diskutiert habe. Vielleicht war ich zu geduldig.