Zaungäste: Die FPÖ ist noch nicht Teil der guten Gesellschaft
„Zu wem wollt ihr?“, fragt die Stimme hinter der Gegensprechanlage samt eingebauter Kamera. Codewort: „Marshall“. Wer es ausspricht, für den öffnet sich vergangenen Mittwochabend die unscheinbare Metalltür in der Wollzeile im 1. Wiener Bezirk. Von draußen deutet nichts darauf hin, dass hier – zwischen Take-away-Bistros, Banken und Geschäftslokalen – ein angesagter Geheimclub versteckt ist: der „Club X“. Jenes Lokal, das vor zwei Wochen den Wiener FPÖ-Vizebürgermeister Johann Gudenus samt Freundin und Entourage vor die Tür setzte und damit für ziemlichen Wirbel sorgte.
Vorbei an einem überdimensionalen Bild von US-Rocker Marilyn Manson führt der Weg nach unten ins Kellergeschoß: Wenig Licht, nur ein paar Kerzen, kahle Betonwände und edle Chesterfield-Couches; die Gäste sind international, jung und reich, tragen Designerkleidung und zelebrieren die geheimnisvolle Aura des Clubs. Die Kellner, durch die Bank Migranten, sind unaufdringlich. Außer, sie geraten an einen FPÖ-Politiker.
„Sie werden hier nicht bedient“, schmetterte der Kellner vor zwei Wochen Gudenus und dessen Begleitern zu. Die blaue Tischgesellschaft verließ daraufhin verärgert den Club. Wie die Blauen zum Passwort oder zum Schlüssel (nur ein paar Hundert sind in Wien im Umlauf) gelangten, weiß niemand. Nur so viel ist sicher: Gudenus musste bereits zum zweiten Mal unfreiwillig das Lokal verlassen. Warum er es wieder versuchte? In dem diskreten Club-Ambiente wurde Außenminister Sebastian Kurz ebenso gesichtet wie Star-Kicker David Alaba und Life-Ball-Chef Gery Keszler. Keine Frage, da will man dazugehören.
Der Rauswurf ist bezeichnend, zeigt er doch: Die FPÖ ist noch immer keine Partei wie jede andere.
Sammy Zayed, Muslim und einer der beiden Betreiber, will an seiner radikalen door policy nichts ändern: „Das sind wir unseren Gästen schuldig, die sich von einem Herrn Gudenus gestört fühlen würden. Der geht sich mit seinem Weltbild hier drinnen einfach nicht aus.“ Der Rauswurf ist bezeichnend, zeigt er doch: Die FPÖ ist noch immer keine Partei wie jede andere. Es gibt für die Blauen uneinnehmbare Tabuzonen in der schillernden Society-Welt. Und das, obwohl die FPÖ so erfolgreich ist wie nie zuvor, in zwei Landesregierungen sitzt und fast die Hofburg eroberte. Das Schmuddelimage bleibt – ein Hemmschuh für Heinz-Christian Strache auf dem erhofften Weg zur Regierungspartei.
Der Gegenwind kommt nicht von ungefähr: „Jetzt heißt es ‚Knüppel aus dem Sack‘ für Asylbetrüger, illegale Ausländer, Islamisten und linke Schreier“, tönte etwa Gudenus vor gut drei Jahren – im Netz sind seitenlange Zitate-Sammlungen blauer Grenzüberschreitungen zu finden. Der Arzt Thomas Unden, der seine Lizenz verlor, weil er Flüchtlinge nicht behandeln wollte, bekam von Gudenus politisches Asyl – er lud ihn persönlich zur Wahlfeier von Norbert Hofer ein. Kritische Journalisten dagegen werden von freiheitlichen Events ausgesperrt. Und wenn eine Bar, wie in Bad Ischl, Asylwerber als Gäste ablehnt, applaudiert Gudenus auf Facebook.
Das erzeugt verlässliche Gegenreaktionen all derer, die von der FPÖ als „Gutmenschen“ verunglimpft werden. Zu spüren bekommen das nicht nur blaue Hardliner. „Ich gehe auf die Barrikaden, ich lasse mir das nicht mehr bieten. Das soll unsere demokratische Kultur sein?“, zürnt Ursula Stenzel, ehemals geachtete ÖVP-Bezirksvorsteherin der Wiener Innenstadt. Mit ihrem Wechsel zur FPÖ vor etwa eineinhalb Jahren wurde Stenzel von der Grande Dame schlagartig zur Persona non grata: Einst befreundete Medienmacher geben ihr nicht mehr die Hand. Und Lokalitäten, in denen sie ehemals gern gesehener Gast war, verweigern ihr nun die Bedienung. So passiert im Nobelhotel und Restaurant „The Guest House“ nahe der Wiener Albertina im Oktober 2015. „Ich habe keinen Tisch für Sie“, wurde Stenzel vom Geschäftsführer des Hauses, Manfred Stallmajer, abgewiesen. Zwischen den beiden entbrannte ein heftiges Wortgefecht: „Er hat gesagt, er will nichts mehr mit mir zu tun haben, weil die FPÖ eine Nazipartei sei“, erinnert sich Stenzel, die um das Hotel seither einen großen Bogen macht. „Dass ich eine Konservative bin, haben mir die Roten und Grünen noch verziehen. Die FPÖ verzeihen sie mir nicht mehr“, mutmaßt Stenzel.
„Dazu stehe ich“, sagt Stallmajer: „Bei uns arbeiten 40 Mitarbeiter aus 14 verschiedenen Nationen. Wenn die FPÖ ihre Pläne umsetzt, darf die Hälfte meiner Mitarbeiter nicht mehr im Land sein.“ Nach seiner Stenzel-Schelte hätten ihm zahlreiche Gäste auf die Schulter geklopft.
Mit der Vertreibung ungebetener Gäste hat Stallmajer Erfahrung: Als Geschäftsführer eines anderen Hotels schmiss er einst den inzwischen verstorbenen Vater von Johann Gudenus aus der Bar. Und den Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider quartierte er nach erfolgter Zimmerbuchung höchstpersönlich wieder aus. „Sie wissen aber schon, wer das ist?“, soll Haiders Sekretärin ihn verdutzt gefragt haben. „Ja, genau deswegen“, sagte Stallmajer.
Spätestens im Regierungsamt wird Anerkennung lebensnotwendig.
Eigentlich passt die Abwehrhaltung der Gastronomen ideal ins Outlaw-Image der FPÖ. Einer Partei, die sich als Stimme des einfachen Volkes geriert und deren Erzählung von Giftpfeilen gegen die Hautevolee lebt. „Es gehört zur Markenpolitik der FPÖ. Aber es tut einfach weh, wenn man immer wieder zu spüren kriegt, dass man nicht dazugehört“, sagt der ehemalige Pressesprecher Haiders, Stefan Petzner: „Das kratzt wirklich am Ego.“ Haider habe das nie ganz verkraftet, etwa wenn die „Kleine Zeitung“ Sportler, Künstler und Politiker zur Weinverkostung lud – nur ihn nicht. Um dazuzugehören, schuf er sich sein eigenes kulturelles Aufmarschgebiet: „Nach dem Motto: Wenn ich nicht zur Seebühne nach Mörbisch eingeladen werde, bau ich eben meine eigene am Wörthersee“, so Petzner – ein teurer Balsam für die gekränkte Landeshauptmannseele. In Opposition wiegt die Distanz der anderen nicht so schwer. Spätestens im Regierungsamt wird Anerkennung lebensnotwendig. „Es gibt gesellschaftliche Ebenen, wo Entscheidungen fallen. Da ist es wichtig, mit am Tisch zu sitzen“, sagt Petzner.
Die Ächtung wirkt bis heute. Ein bekannter Hotelier aus Westösterreich, bei dem auch Politiker gerne absteigen, meint anonym: „Ich würde FPÖ-Politikern empfehlen, ein anderes Hotel zu buchen und sie weiterschicken. Blaue Politik entspricht nicht meinem Weltbild und dem Leitbild meines Betriebes.“ Auch im Hotel Seehof bekämen weder Gudenus noch sonst ein FPÖ-Funktionär ein Zimmer, poltert Gastronom und NEOS-Nationalrat Sepp Schellhorn. Nicht nur Österreichs Rechte müssen draußen bleiben: An der Tür des Alpenhotels klebt ein AfD-Verbots-Sticker, Schellhorn ist richtig stolz darauf. Die Alternative für Deutschland, die deutsche Schwesterpartei der FPÖ, würden aktuell 15 Prozent der Deutschen wählen.
Freilich selektiert die Mehrheit der Gastronomen die Gäste nicht nach politischer Farbenlehre. „Ich kann nicht die Ausgrenzung der FPÖ gegenüber Minderheiten kritisieren und dann selbst ausgrenzen“, sagt Gert Kunze vom Wiener „Café Eiles“, der vier afghanische Kellner beschäftigt.
Die Salonfähigkeit der FPÖ war stets eine Tochter der Zeit. „Vor dem Jahr 2000 warf man Freiheitliche regelmäßig aus Lokalen und behandelte sie wie Aussätzige. Nach der Regierungsbeteiligung, als Leute etwas von uns brauchten, schlug es fast ins Gegenteil um“, sagt Politberater Heimo Lepuschitz, einst Sprecher von FPÖ und BZÖ.
Strache will nicht warten, bis ihm ein Regierungsamt zu gesellschaftlichem Ruhm gereicht.
Herbert Lackner erlebte für profil die Anbiederung an das schwarz-blaue Regierungsduo auf deren ersten Opernball im Jahr 2000. Riess-Passer war damals blaue Vizekanzlerin von Haiders Gnaden, Wolfgang Schüssel Bundeskanzler: Vor deren Regierungsloge stehen Damen und Herren der Gesellschaft halbstundenlang Schlange, um der neuen Macht kurz die Aufwartung machen zu dürfen. Interessanterweise traten auch Personen zu Knicks und Diener an, die noch unlängst auf SPÖ-Proponentenlisten zu finden waren. Macht zieht an. Nach dem Ende der Koalition zwischen ÖVP und BZÖ wurden die Buh-Rufe wieder lauter, erinnert sich Lepuschitz an einen Wahlkampfrundgang durch das Wiener MuseumsQuartier mit Jörg Haider. Der war damals BZÖ-Spitzenkandidat. Haider starb 2008, das BZÖ zerbröselte.
Die FPÖ unter Heinz-Christian Strache ist heute stärker als je zuvor: Strache will nicht warten, bis ihm ein Regierungsamt zu gesellschaftlichem Ruhm gereicht. Jägerball und Opernball stehen dieses Jahr im Terminkalender des blauen Parteichefs. In den VIP-Zonen ist er Dauergast, etwa beim Ski-Abfahrtsrennen auf der Streif oder dem Beachvolleyball-Turnier in Klagenfurt. Der Wiener In-Club „Passage“ ist längst sein zweites Wohnzimmer.
Das Bildungsbürgertum tanzt andernorts, auf Soirées, Lesungen, Vernissagen und Charitys. Der Gesellschaftskolumnist und Autor Dieter Chmelar traut es dem FPÖ-Chef nicht zu, die Schwelle zur Hochkultur zu überschreiten. „Strache lädt man nicht zur Burgtheater-Premiere ein, weniger weil er rechts ist, sondern weil er das Haus nicht schmückt.“ Ihm fehle „die Begabung der Konversation, der feinen Zwischentöne, des charmanten Geplauders“. Haider sei anders gewesen. „Er konnte mit einem Schriftsteller reden, auch wenn es diesem unangenehm war.“ Wagt sich Strache dann doch auf das glatte Parkett vor, droht er auszurutschen. Bei den Salzburger Festspielen 2015 vertonte das „Jedermann“-Ensemble ihren Protest mit der Internationalen, der sozialistischen Kampfhymne. Es war der Aufreger des Kultur-Jahres 2015.
Der Cordon sanitaire, der die FPÖ seit dem Aufstieg Haiders umgab, ist im politischen Alltag weitestgehend gefallen. Dennoch werden sich bei der nächsten Nationalratswahl die Promis wieder in den Personenkomitees von Rot, Schwarz oder Grün tummeln. Extremsportler Felix Baumgartner oder Skifahrer Patrick Ortlieb sind mit ihrer FPÖ-Annäherung Ausnahmeerscheinungen geblieben.
Der Platz der FPÖ liegt im Spannungsfeld zwischen Provokation und Salon: Bierzelt-Rhetorik für den kleinen Mann und Champagner-Talk mit der High Society – das geht noch immer nicht zusammen.